Editorial

Auch Frühlingsgrün ist eine Herbstfarbe. Jedenfalls für Hechte.

Liebe Fliegenbinder und Fliegenbinderinnen!

Das letzte Quartal des Jahres hat begonnen, und ich muss sagen, dass ich dieses Jahr sehr unzufrieden mit meinem Angeljahr bin. Das norwegische Lachsangelverbot legte sich wie ein Schatten über mein Gesamtbefinden, und obwohl es ja gar nicht so wichtig ist und für mich nur eine oder zwei Wochen an der Gaula bedeutet(e), trug es einen gewissen Pessimismus in meine unbeschwerten Fischerfreuden hinein. Ich habe schon an vielen Stellen gern und häufig postuliert, ich sei zu einfach gestrickt für psychische Probleme, und ich kann gute Argumente vortrefflich ignorieren, wenn sie meine Interessen schneiden. Nehmen wir mal Bier, Steak, Zigarren und Fliegenfischen, diese vier Dinge, die so schön zueinander passen. Mir ist schon klar, dass die ersten Drei mir nicht ganz zuträglich sind, die Apokalyptischen Reiter der Männergesundheit sozusagen, und ich regle das mehr oder weniger vernünftig über die Menge. Na ja, und die ganze Diskussion um Catch & Release und vernünftige Gründe will ich hier natürlich nicht aufrollen, und habe trotz meines fortgeschrittenen Alters das kindliche Argument „ich will aber“ zu meiner Maxime erhoben. Ich bin mir vergleichsweise sicher, dass es Bier, Steak, Zigarren und Fliegenfischen im Himmel nicht gibt, und ich wäre sehr überrascht, wenn ich da irre. Also muss man die Dinge, die mal will, im Hieruntensein genießen. So einfach ist das. Zu diesem Genuss gehört seit bald vier Jahrzehnten dazu, in Norwegen auf Lachs zu fischen. Meine Bedenken, ob man so einen Fisch auf seiner epischen Reise überhaupt stören dürfe, zerstreute vor über dreißig Jahren Hakan Norling mit dem Satz: Du willst fischen. Also fische! In diesem Wollen steckt eine gewisse Rücksichtslosigkeit, die man sorgfältig auf dem Arschlochgrat ausbalancieren muss. Zuviel ich will macht einen nämlich zu einem. Ich stelle mir nun die Frage, warum eine Nation, die so viel Volksvermögen hat und so sehr ihre Traditionen lebt und auf eine gesunde Zukunft hofft, ihre Fjorde in industriellem Umfang durch Lachsfarmen verschmutzen lässt, derweil die Verschmutzung an Land sorgfältigst geregelt ist. Das Meer gehört doch auch allen. Das passt nicht zusammen. Falsche Seite vom Grat. Visit Norway hat Millionen ausgegeben, auch und gerade in Angelmagazinen, um uns anzulocken, aber man muss wohl konstatieren, dass es in Norwegen saubere Umwelt und schmutzige Politiker gibt. Meine private Lösung: Ich mache Zuchtlachs als Dreck schlecht wo ich nur kann. Ich probiere nächstes Jahr mal die andere Seite vom Atlantik, denn in die isländische Grilsefabrik möchte ich auch nicht. Aber genug von solchen Dingen. Während die Meerforellen und Butte heuer ganz nett zu mir waren, haben mich die Steinbutte ignoriert. Hechte waren okay, Zander eher nicht, Regenbogenforellen ja, Bachforellen wenig, Äschen keine, und ich freue mich auf ein paar Tage Rügen. Ansonsten will ich in den kommenden Monaten die Inhalte wieder mehr hochfahren, nennt man ja Content, aber so richtig an den Bindetisch zieht es mich noch nicht. Es ist eher so, dass ich wie Frederick die Maus raus will, raus muss ans Wasser, weil ich noch nicht alle Farben beieinanderhabe. Aber so geht es uns wohl allen. Darum Tight Lines für den Herbst. Raus ans Wasser.

Herzlichst und mit besten Wünschen

Ingo Karwath, am 11.10.2024