Schall und Rauch?

Gegen das Vergessen! Von Fliegennamen, Bindern und Binderinnen. Ein Plädoyer für die Erinnerung.

„Wer zählt die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammenkamen?“

Erinnern Sie sich noch an die Schule, die vergnüglichen Wochen im Deutschunterricht mit den Kranichen des Ibykus, oder wie wir sagten, die Ibisse des Kranykus. Ist das immer noch so?

In jedem Fall kamen mir diese Zeilen in den Sinn, als ich im vorletzten Herbst in Sitikat, BC, war. Wegen der Steelheadforellen natürlich. Und obwohl ich eigentlich immer mal in einer Lodge bin, hatte diese Woche eine besondere Qualität, denn ich hab’s gern ohne Guiding, und dort geht’s nur mit. Nicht nur wegen der wirklich zahlreichen Bären, sondern wegen der unbegehbaren, völlig pfadlosen Landschaft. Vielleicht erklärt man es am besten so. Die Hunde dürfen tagsüber raus, die Welpen aber nicht, sonst droht TDA. Tod durch Adler. Um 21.30 geht der Generator im Camp aus. Dann müssen die Hunde rein. Wegen der Wölfe. Um 5.30 geht der Generator an, dann erwacht das Lager, und die Hunde müssen wieder raus, die Bären wegbellen. Denn was da nachts im Laub raschelt sind keine Igel. Man hat also wirklich gern einen Guide an seiner Seite, wenn man dort fischt.

In den Gesprächen mit den jungen Leuten fiel mir auf, dass sie eigentlich nur noch angeln und nicht mehr mit dem Fundament unserer Passion verbunden sind. Im Winter lesen sie keine Bücher und binden Fliegen, sondern sind dann wieder für Touristen tätig und Tour-Guides beim Heli-Skifahren. Sowohl der zu verdienende Lebensunterhalt als auch die fehlende Lebensmuße lassen es gar nicht zu, sich solchen alten Vergnügungen zu widmen. Zwischen den Zeiten wird das Haus gepflegt, wohl auch die Beziehung, wenn vorhanden, und dann geht es wieder los. Raus in die Wildnis, rauf in die Berge.

Classics?

Daraus ergibt sich anscheinend ein gepflegtes Desinteresse für alle feineren Bereiche des Fliegenfischens, mit Ausnahme der Handschuhe. Und anderer Bekleidung. Dann wachen sie auf und diskutieren jeder Zentimeter Naht. Gerät und Fliegen interessieren im Kostenzusammenhang, also entweder günstig oder geschenkt, und fängig und einfach. Der Anblick berühmter Steelheadfliegen in wunderschönen Reihen wird mit einem müden „oh, classics“ kommentiert. Die Jungs können weder „Bosquito“ noch „Mosquito“ unterscheiden, kennen die alten Hausdegen der Szene nicht, wie Tommy Brayshaw, Harry Lemire oder Karl Mauser, und würden für eine 9 Fuß „Garrison“ in Klasse 8 nicht mal die Augenbraue lüften. Ich war verblüfft. Und habe überhaupt keinen Anspruch das ändern zu wollen, aber haben wir da einen Traditionsabriss, der die Zukunft des Fliegenfischens verändern wird. Sind diese geschichtslosen Gesellen der Untergang des fliegenfischenden Abendlandes?

Classics!

Nun hat es den Anschein, als hätte man sich früher einen Namen machen können, indem man das rote Chenille in einer Fliege gegen gelbes austauschte. Doch das ist ein Holzweg. Es geht um die Geschichte dahinter. Wenn ein Fliegenfischer mit 3000 gefangenen Steelhead das Chenille änderte, dann wird da etwas draus. Im Kern hat sich durch die Jahrzehnte gezeigt, dass ein Name vor einer Fliege selten Bestand hat. Manchmal geht auch nur die Hälfte verloren, wie bei der Goddard & Henry Sedge, weil das ist einfach zu viel Signatur. Die Namen kamen früher aus einer Szene, die von Verlagen und professionellen Fliegenbindern bestimmt war. Die Männer hinter den Fliegen hatten meist einen richtigen Beruf, gern Juristen und Ärzte oder Offiziere, und Zeitschriften, Bücher und Fliegenbinder nahmen sich ihrer Ideen und Fliegen an. Typisch etwa in Frankreich, die Fliegenserien Dr. Massia und Dr. Juge. Und auch in England war es hilfreich aus dieser Schicht zu kommen. Fliegenfischen war elitär, aber letztlich nach unten offen, aufrücken war möglich.

Classics 🙂

Früher war der Mensch führend, heute ist es das Material. Das Fundament der Printmedien und Profibinder ist verschwunden. Die moderne Szene ist Online orientiert, Kunststoff zentriert, Influenzer bestimmt. Und warum sollte man den Namen einer Fliege kennen, wo sie der Fangmeldung sowieso als Bild angehängt ist. Aber da sind noch immer die anderen, die sich weder durchs Netz klicken noch texten, und einfach ihre alten Muster von Devaux, Ragot, Bavaria und Chamberet fischen. Muster mit einem Namen, mit einer Bindeanleitung, die, soweit es der Artenschutz erlaubt, auf ewig gebunden werden können.

Die Taxonomie in der Biologie ist eine Wissenschaft, die Arten beschreibt. Und genau da ist unser Problem. Die modernen Fliegen, die mit neu erfundenen Materialien jedes Jahr in Umlauf kommen, sind keine Arten. Es sind Mutationen. Sie haben keinen Namen verdient. Sie werden verkauft, weil sie jemand in Vietnam eingekauft hat. Da sind plötzlich 30.000 Nymphen auf dem Markt. Völlig unbekannt, nie gesehen, nie erprobt, ohne Renommee. Man nennt sie „Bob’s Catchy“ und haut sie für 1,85 raus. Sind sie weg, ist auch ihr Name weg. Dann verkauft man eben „Bob’s Fletchy“. Schauen Sie doch einmal quer durch mehrere Kataloge. Da gibt es Namen, die gibt es gar nicht. Keiner kennt sie. Nie gehört. Bei vielen Naturvölkern war es früher üblich, ein neugeborenes Kind erst dann in die Gemeinschaft aufzunehmen, wenn es gesund und vital war. Wascht es!, war dann die Entscheidung des Häuptlings, und dieses Kind würde leben.

„Bob’s Catchy“ wird keiner waschen. Mit jedem Grundhänger mehr stirbt sie aus. Ja, werden Sie nun sagen, schön und gut mit den alten Dingern, die „Palaretta“ bindet ja auch keiner mehr. Wohl wahr, aber sie ist getauft, erprobt, berühmt, benannt und bekannt, man kann sie binden, wieder entdecken, mal auf retro fischen. Darum sollten man seine Fliegen beim Namen kennen. Denn das ist die Grundlage, um über sie zu reden.

Ingo Karwath