Auf ein Hundertstel genau ist ein Wunschtraum, dem viele Hobby-Rutenbauer nachjagen. Auf zehn Hundertstel genau ist oft Realität, auf fünf Hundertstel schon ein Optimum. In der Industrie ist das Vermessen von Bauteilen eine Wissenschaft für sich, und es werden beachtliche Summen für Messungen und Studien ausgegeben. Wenn nun ein Fachmann, der den lieben langen Tag nichts anderes tut als Teile zu vermessen, ebenfalls Abweichungen hat, und zwar bei Metall und Kunststoff, wie soll dann ein Laie mit einem dreieckigen Stück Bambus das toppen. Eine Überprüfung von Messreihen geschieht mit mehreren Testern, die mehrere Teile mehrmals messen. Jeff Spira berichtet in seinem Artikel im Januar/Februar Heft 1998 in „The Bamboo Fly Rod“ von 3 Testern, 10 Teilen und 3 Messungen, es entstehen also 90 Werte, die mit einer Schiebelehre z.B. zu 0,004 Zoll genau, mit einem Mikrometer zu 0,002 Zoll genau sind. Die Werte meinen vermutlich die Standardabweichung. Bedenkt man zusätzlich, dass Spleiße besonders schwer zu messen sind, wir den Vorgang vorher nicht tausende Male üben, dass gehobelt und geklebt immer ein Unterschied ist und auch ein letzter Schliff noch einmal die Maße ändert, muss man das Streben nach der absoluten Genauigkeit im buddhistischen Sinne als Pfad begreifen. Denn unter Annahme der Messfehler ist ja selbst genau nicht genau. Das tröstet, wenn man mal wieder ein Taper hobeln will, bei dem über Lack gemessen wurde. Da liest man immer, man möge 0,006 Zoll oder auch nur 0,004 Zoll bei dünnem Lack abziehen, und fühlt sich ein wenig unglücklich über soviel Ungenauigkeit. Denkt man aber an einen Bogenschützen in Bhutan, der mit einem handgemachten Pfeil auf 145 Meter eine kleine Scheibe trifft, und diesen Pfeil weder wiegen noch messen konnte, dann kann man doch beruhigt annehmen, dass unsere Messschrauben aus Fernost zusammen mit unseren westlichen Fingern in jedem Fall zu einem Gegenstand führen werden, mit dem wir auf ein Zehntel der Entfernung ähnlich genau werfen (möchten). Und obwohl es mir schwerfällt, den oben benannten Messfehler auch für meine Rollen anzunehmen, muss ich doch sagen, ja, es stimmt. Ich kann zwar drei Rollenstege aus Nickelsilber auf ‚exakt‘ 4 mm drehen und lappen, so 0,02 genau, und ich kann sie auch auf 30 mm ablängen, aber eher nur auf 0,05 genau. Dann habe ich z.B. drei Stege mit 3,98 und 30,05, mit 4,01 und 30,00 und 4,02 und 29,97. Hinzu kommt die Abweichung meiner Messungen. Esoterisch gesehen schon Mist, aber praktisch völlig egal. Meine Mehrfachmessungen schwanken und die Genauigkeit ist schlicht eine Mitte, die sich aus all diesen Fehler ergibt. Das macht aber nichts. Ich bin auf dem Pfad. Und baue ja keine Satelliten.
Ingo Karwath