Der „Anspo Daddy“

Diese Fliege hatte ich schon vor meinem ersten Bier. Seither schmeckt beides. Mir das Bier, den Forellen die Fliege. 

Vor sehr langer Zeit, in meinen Anfängen als junger Jungangler, brachte mein Fachhändler von der Anspo aus Wiesbaden eine Fliege mit. Dort hatte nämlich auf einem Firmenstand, ich denke es war Milwards, ein Engländer seinen Bindestock aufgebaut und vor dem staunenden Fachpublikum gebunden. Das muss so faszinierend gewesen sein, dass ein altgedienter Fachhändler aus dem Land der Aale und Wattwürmer sich in eine Warteschlange gestellt hatte, um eine dieser Fliegen zu bekommen. Die in einem Korken steckende Fliege war für einige Zeit eine Attraktion im Laden, und es wäre gut möglich gewesen, dass sie hinter einer Wasserkugel zu Tode geschleift worden wäre, aber das Schicksal meinte es besser mit ihr.

Nur echt mit echtem Raffia und braun gerippt.

Und mit mir, denn ich hatte sie wieder und wieder bewundert und wohl so lange angeschmachtet, bis ich sie geschenkt bekam. Es war eine „Daddy Long Leg“. Den Namen lernte ich kennen, aber sonst wusste ich nichts und an Fliegenfischen war nicht zu denken, jedoch pflegte ich schon jung alle Macken, für die ich heute noch bekannt bin. Milbro Karpfenruten, Maradeur Spinnruten, Robin Harris Matchruten und Luxor Rollen begleiteten mich auf meinem Weg hin zu den unüblichen Geräten.

Acht Beine einbinden.
Von oben erkennt man die Seitenlage der Beine.

Als neulich ein Freund ins Haus kam, um sich für seinen staycation Urlaub eine Stippe auszuleihen, konnte ich ihm direkt aus dem Vorratslager auf dem Dachboden diverse Matchruten mit kleinen französischen Blechrollen anbieten. „Hast du eigentlich auch irgendwelche normalen Sachen?“, kam die Frage, „oder muss bei dir alles speziell Spezial sein!“ Ja, stimmt schon, erwischt. Aber die Ruten und alten Tipprollen sind gut 50 Jahre alt. Ich halte sehr viel von Langlebigkeit, und schwupp, schon hab‘ ich die Kurve, denn mein durch die Jahre gepflegtes „Daddy Long Leg“ Muster hat ebenfalls Jahrzehnte auf dem Buckel.

Zwei graue Hechelspitzen können genügen.
Ich binde stets vier ein. Das hilft der „schlechten“ Hechel.

Natürlich war ich nicht treu und hatte sie alle: DLL auf Flybody Haken, oder verlängert mit Stroh, mit Nylon, mit gerolltem Latex, mit geknotetem Antron, mit drei Knoten pro Bein, als Parachute, gar als Waterwalker gebunden, eigentlich hatte ich jedes Muster, das die Bindeszene je hergab. Und womit sitze ich jetzt am See – wieder mit dem alten Muster. Ja, werden Sie sagen, wenn einer Macken hat, dann ist das ja auch kein Wunder. Aber bedenkenswerter-weise, nur mal so angenommen, könnte es auch Altersweisheit sein. Eine mutige Annahme, so unter 65 aus dem Berufsleben heraus. Am „Daddy“ haben sich viele Binder ausgetobt, und die Fliege in einen Zustand hinein optimiert, den meine Oma „überkandidelt“ genannt hätte. Selbst Augen und Schwingkölbchen habe ich schon imitiert gesehen. Fehlt nur noch ein Poloch und ein fröhliches Grinsen im Kopfknoten. Vielleicht mit Airbrush. Den tollen Fliegen fehlt meist eine Fähigkeit: Sie können nicht sitzen. Diese bei großen Fliegen oft missachtete Qualität steht im direkten Zusammenhang mit Verlängerungen, Leichtigkeit und Schwimmfähigkeit. Klar muss ein „Daddy“ schwimmen, aber nicht zu gut! Fische im See sind oft Steigidioten, denen die vieltausendfache Übung einer Flussforelle einfach fehlt. Sie schieben den DLL vor sich her, er poppt ihnen, weil zu schwimmfähig, wieder aus dem Maul. Man sagt korrekt „God save the Queen“, um den Anschlag zu verzögern, und der Fisch ist wieder 20 cm unten, die Fliege 20 cm über ihm. Genau da liegt das Pfund vom alten „Daddy“. Er sitzt optimal im Film, wird sicher erwischt und mitgenommen. Das geht zu Lasten der Schwimmfähigkeit, und für meine Muster suche ich gezielt nach „schlechten“ Hecheln, ganz im Stil der 60er. Wann immer ich sie binde und fische, gehen meine guten Gedanken rauf zu Heinrich Römer, der das Muster aus Wiesbaden mitbrachte und an mich verschenkte. Auch Frau Römer sei nicht vergessen. Der erste Fliegenfischer, den ich als Bub‘ an der Okertalsperre sah, der Hardy Katalog von Tante Laske, und diese Fliege, vermutlich haben mich diese Drei zu einem Fliegenfischer werden lassen. Klar, können Sie jetzt sagen, sentimentaler Mist, aber lieber wäre mir, Sie sähen das anders und geben der Fliege eine Chance. Sie schwimmt schlecht, aber sie fängt gut.

Klassischer „Daddy Long Leg“ – immer noch die beste Wahl.

Rezept. Haken: Streamerhaken Gr. 12; Bindeseide: schwarz; Rippung: Nähgarn, braun; Körper: Raffia, natur; Beine: 8 Fasanenfibern, geknotet, Flügel: 2 oder 4 Hechelspitzen, grau; Hechel: Hahn, braun, nicht zu gut.

Ingo Karwath