Schmeckt’s?

Eine Prise Salz oder Hasenohr, ein paar Umdrehungen Tinsel oder Pfeffer, eine Messerspitze Fluodubbing oder Chili. Sind wir nicht alle ein bisschen Jamie?

Ein Päckchen geschälte Erbsen, ein Suppengrün, eine große Kartoffel und eine kapitale Zwiebel mit einem schönen Stück Hohe Rippe und geräucherten Rippchen, man gebe Lorbeer, Nelke, Pfeffer, Salz und Piment hinzu, mit einer angemessen Menge Wasser zu kochen, durch eine Flotte Lotte zu drehen, ohne das Fleisch selbstverständlich, und mit gebratenen Zwiebelringen auf den Teller zu bringen – gemeinhin als Erbsensuppe bekannt – führt heutzutage in den Kochsendungen zu Lobpreisungen, die meine Oma Aldenburg doch sehr verblüfft hätten. So ’ne einfache Suppe hatte sie locker drauf. Was früher einmal kochen war, ist heute auf vielen Kanälen zu einer Selbstdarstellung verkommen, die oft viel lustiger ist als absichtliche Comedy. Kaum rösten ein paar Curryzutaten in der trockenen Pfanne, geben die beteiligten Damen und Herren Ahhs! und Ohhs! von sich, die den gespielten Orgasmus von Meg Ryan in „Harry und Sally“ zu einer stillen Andacht degradieren. Man stelle sich vor alle indischen Frauen würden so kochen wie Rainer Saß. Das Land wäre Delhi bis Bangalore von begeistertem Gestöhne erfüllt.

Eine Fliege ohne Tinsel ist wie ein Ei ohne Salz. Es kommt auf die Menge an. Zu viel Salz ist bekanntlich Gift. Und auch Kupfer ist Tinsel.

Als Fliegenfischer kann man sich dem Kochen schon deshalb nicht entziehen, weil am Ende unserer Leine die schmackhaftesten Fische Mitteleuropas zappeln. Eine Sommerforelle aus einem eiskalten Bergbach, eine Äsche an einem Nachmittag im September, eine Meerforelle im sonnigen Mai, ein silberblanker Lachs oder ein kupferner Huchen. Man kann sie zärtlich fassen und wieder schwimmen lassen, und ein Lebewesen seinem Leben zurückgeben. Oder kräftig auf den Kopf schlagen. Dann hat man einen Fisch. Ein Produkt. Das eine führt uns an den Herd, das andere nicht. Wie mögen Sie denn Ihre Forelle? Ich bin ja so ein Salz-, Pfeffer-, Mehl-, Butter- und Zitrone-Typ. Salzkartoffeln und grüner Salat und fertig. Andererseits gibt es da ein Rezept, Truite au Porto, aus der Auberge du Père Bise in Talloires, für dessen Geschmack sich alle Mühen lohnen. Also, ich habe es ein wenig vereinfacht und lasse die Forellenklößchen in der Füllung weg und die zwei Löffel Sauce mousseline bei der Montage müssen auch nicht immer sein. Crème épaisse und gut ist es. Man kann es drehen und wenden wie man will. Einfache und auch komplizierte Rezepte führen zu hervorragenden Ergebnissen, wenn man mit frischen Zutaten kocht.

Natürlich binden wir auch mit Kräutern, und man erkennt wohl nur auf den zweiten Blick, was hier den Zoologen und den Botaniker etwas angeht.

Sowohl in der Küche als auch auf dem Bindetisch habe ich die Angewohnheit, die kommenden Arbeiten vorzubereiten. In der Küche liegen dann die nötigen Gewürze auf einem weißen Teller, Sellerie und Möhren gewürfelt auf einem anderen, und überhaupt hat alles seine Ordnung. Auf dem Bindetisch benutze ich für das Vorsortieren von Material Plastikschalen, von denen früher einmal Flugpassagiere gegessen haben. Die Schalen wurden nach dem 11. September aussortiert, weil man ihre Splitter waffenfähig schleifen kann.Schaut man so auf seine Tellerchen, fällt einem schon auf, wie sehr sich Kochzutaten und Bindezutaten gleichen. Diese Ähnlichkeiten hören da nicht auf, denn auch der Binder handelt nach Rezepten und gleicht, auch wenn Frische kein Thema ist, ein wenig dem Koch. Ein Stück Bindeseide und eine gute Hechel sind in Sekunden zu einer fängigen Fliege gewickelt, schnelle Küche sozusagen, eine Lachsfliege aus über zwanzig Federn braucht eine Stunde und ist Kochkunst. Und da stellen sich doch die Fragen, gibt es Zutaten am Bindetisch, welche aus einer Fliege eine großartige Fliege machen, gibt es Zutaten, mit denen man alles versauen kann? Was ist der Knoblauch des Binders? Haben wir ein Chili? Und was ist mit Salz und Pfeffer?

Vermutlich haben wir uns alle schon mal eine Nymphe an den Kopf gepfeffert. Zusammen auf einem Bild kann man erkennen warum das so heißt.

Da ich keine Kochsendungen schaue, bin ich mit den aktuellen Diskussionen um diese oder jene Küche nicht so vertraut. Bei mir haben sich mehr die Basics angesammelt, die sich nach vielen Jahren in unserer früher mal jungen und nun immer älter werdenden Küche ergeben haben. Zuerst als Schüler, dann es Student, jetzt als berufstätiger Mensch und später mal als Rentner. Derweil ich dies schreibe ruhen unten im Kühlschrank 2 Kilo Hüfte in zwei Flaschen Wein und einer Flasche Rotweinessig mit den üblichen Gewürzen und Gemüsen. Ist der achte Tag, Dienstag, denn am Sonntag kommt unsere Tochter. Sauerbraten und Klöße, das wird es werden, fallen so mehr oder weniger in den Bereich Meat and Potatoes, Fleisch und Kartoffeln, die Basis der Familienküche. Und eine Basis, eine fängige Basis, die hat das Fliegenbinden auch. Das sind Fliegen wie der „Königskutscher“, die „Märzbraune“ oder die „Blaue Aufrechte“. Ein deutscher Name hat ihre universelle Verwendbarkeit geadelt. Die Zutaten zu diesen und ähnlich wichtigen Fliegen sind Fäden, Hecheln, Dubbingwollen und Federn. Damit kann der Binder eine ganze Menge anstellen und seine Gäste im Wasser jederzeit satt machen. Tinsel, ob Gold oder Silber, wäre dann wie Salz, mit dem wir unserer kulinarischen Basis einen Pfiff geben können, denn Salz macht fast immer den Unterschied zwischen schmeckt und schmeckt nicht. Was sich mit jedem gekochten Ei beweisen lässt.

Mit Chili und mit Fluofloss wurde schon manches versaut. In der Küche nehme ich gern ein Drittel der angegebenen Menge. Am Bindestock nehme ich gern eine Portion, die ich für klein halte, und halbiere sie.

Da wir mit unserer Hände Arbeit Fliegen binden, gibt es am Bindetisch kein Fastfood. Eine Currywurst an sich ist ja nur deshalb so schnell in der Pappe, weil andere die Wurst gemacht und die Sauce gerührt haben. Eine schlichte Nymphe aus vorgefertigtem Dubbingstrang kommt aber gefährlich nahe an Fastfood heran. Die wirklich simplen Fliegen aus zwei Materialien erinnern jedoch viel mehr an einfache Genüsse wie Bruschetta oder Pamb‘ Oli und sind niemals Fastfood. „Black & Peacock Spider“, Pfauengras und eine schwarze Hechel, „Hares Ear“, Hasenwolle und eine Rebhuhnhechel, die „Gelbgraue“, gelber Faden und graue Hechel, das sind unsere einfachsten Verführer. Und nicht selten konkurrenzlos. Da kann man sich molekular einen Wolf binden, und die Fische wollen trotzdem die einfache Kost. Das Einfache kann man schnell benennen, denn die Analogien des Einfachen sind auffälliger als die komplexen Dinge. Gewürze spielen da in einer anderen Liga. Eine Annäherung ergibt sich über die Ähnlichkeit, und das ist ja auch der Gedanke, mit dem ich begonnen habe. Eine kleine Handvoll Pfefferkörner sieht aus wie eine ebenso kleine Handvoll Perlen, mit denen wir nach gängiger Mode unsere Nymphen beschweren. Da man sich mit Tungstenperlen beschwerte Nymphen wunderbar an den Kopf pfeffern kann, wird jeder Nymphenfischer diese zwingende Beziehung sofort erkennen. Unser Chili sind eindeutig alle Materialen, deren Farbe zu sehr knallt. Beides ist sehr schwer zu dosieren. Immerhin kann man sich nach der Verwendung von Fluofloss gedankenlos durch das Auge wischen, was man selbst nach dem Hände waschen mit Chilifingern lieber lassen sollte. Bei allen Fluomaterialien kann man eine innere Scoville-Skala aktivieren und dann nach dem Gedanken weniger ist mehr verfahren.

Bei Zitrone und Limone stellt sich die Frage Topf oder Shaker. Crestfedern sind über jede Frage erhaben. Sie sind eine goldene Bank für den silbernen Erfolg.

Zitrone und Limone sind wie die Crestfeder vom Goldfasan, mit der man jeder Fliege einen augenfälligen goldgelben Flash mit auf den Weg in die Tiefe geben kann. Es ist noch kein Kunststoff erfunden worden, der in Farbe und Struktur mit einer Crestfederfiber mithalten kann. Sie ist wie durchsichtiger Golddraht aus Stahl, und das findet man sonst bestenfalls zusammen mit durchsichtigem Aluminium auf der „Enterprise“. Unser Safran sind die Augenfedern vom Dschungelhahn, die eine ganz ähnliche Wirkung wie das teure Gewürz haben. Ich benutze Safran natürlich beim Risotto kochen, aber es will mir nicht gelingen, es zwischen Wein, Olivenöl, Zwiebel, Salz, Pfeffer, Knoblauch und Hühnerbrühe so richtig zu schmecken. Ich schmecke wenn es fehlt. Wenn man das Gericht kurz vor dem Teller noch mit Butter und Parmesan abzieht, dann ist das so lecker, dass ich dafür ein Steak stehen lasse. Und sehen Sie, da hätten wir schon die Analogie zur Augenfeder. Sie gehört ebenfalls zum Rezept, macht eine tolle Optik und gibt einer Fliege den gleichen Hauch von Klasse, den Safran erzeugt. Man merkt wenn sie fehlt.Die Begeisterung für den Vogel Pfau und seine gelungene Anpassung an adelige Gärten und mitteleuropäisches Wetter hat dazu geführt, das Pfauengras und Pfauenschwert beim Fliegenbinden so häufig vorkommen wie Petersilie in der gutbürgerlichen Küche. Die Ähnlichkeit zu Kräutern ist augenfällig und gibt dem beliebten Material seinen Platz in der Bindeküche. Ein Weckglas mit Pfauenfedern ist wie ein Kräutertöpfchen aus dem Supermarkt und ziert die Fensterbank mindestens ebenso gut.

Ich bevorrate nicht nur Jungle Cock, sondern auch Hühnerfond. Für ein schnelles Risotto mit 100 Gramm Reis nehme ich ein halbes Döschen Safran, und verzichte exakt 22 Minuten aufs Binden. Und länger, weil ich den Kochwein ausgetrunken habe.

Ob es am Bindetisch so etwas wie Knoblauch gibt, ist schwer zu bestimmen. Allium sativum ist in den letzten Jahrzehnten komplett gesellschaftsfähig geworden. Wer etwa würde vor dem Zahnarztbesuch auf Knoblauch verzichten, wenn doch der gute Doktor selbst stinkt wie ein Wiedehopf. Da wir kein Material benutzen, welches wir pressen oder hacken oder drücken, und auch nichts kennen, was unseren Fliegen einen ähnlichen Geschmack mit Duft und Nachwirkung mit auf den Weg gibt, ist unser einziges Äquivalent zum Knoblauch PMA. Positive mental attitude. Fröhliche Zuversicht. Nur die können wir unseren Fliegen halitosisch schon im Bindestock eindünsten und dies auch am Wasser kultivieren. Nur leider kann man PMA im Gegensatz zu Knoblauch nicht pressen. Wenn Knoblauch die Vanille des armen Mannes ist, dann ist PMA seine Erleuchtung. Wenn ich an die anderen Gewürze denke, die mir sonst jede Woche durch die Hand gehen, fallen mir Kümmel und Nelken ein, Muskat und Lorbeer, Wacholder und Piment, Paprika und Koriander, und wenn es einem in den Sinn kommt, macht man mal eine indische oder asiatische Woche und benutzt Gewürze, zu denen einem nun wirklich kein Bindematerial mehr einfällt. Es ist mehr die Vielfalt, die sich gleicht, denn in einer aktiven Bindewoche, wenn einen der Winterkoller gepackt hat und man intensiv von den Forellen träumt, nimmt man mit Grouse und Partridge, Seal und Opossum, Snipe und Bucktail, Mink und Marabou in die Hand und bindet was das Zeug hält. Außerdem erzeugen wir auch keinen Geschmack, keinen Duft, sondern nur den optischen Eindruck von Fressbarkeit. Dazu haben wir Binderezepte, an die man sich nach meiner Meinung zunächst halten sollte. Ich habe die Angewohnheit von jedem Muster immer fünf Stück zu binden. Diese fünf sollten absolut identisch sein. Von einem Grundrezept ausgehend kann die Kreativität ihren Lauf nehmen. Nehmen wir mal eine „Partridge & Orange“. Die wird ohne Schwanz gebunden. Ich könnte ihr aber einen verpassen. Dann gefällt mir das Ovalgold nicht und ich stelle auf Silber um. Um die Fängigkeit noch mehr zu erhöhen, binde ich dann ein paar Crestfederfibern in den Schwanz und gebe etwas Pearlflash als Flügel dazu. Dann habe ich die Idee zu einem roten Thorax und binde den auch noch. Irgendwo auf diesem Wege verliere ich mich in Variationen und meine Fliege ist keine „Partridge & Orange“ mehr. So wie eine Erbsensuppe mit Orangenfilets und Krebsen keine Erbsensuppe mehr ist. Aber ist das wichtig?

Kochen und Binden sind sich trotzdem mehr als ähnlich. Zum Schluss stellt sich immer die gleiche Frage, ob bei Jamie oder bei mir: Schmeckt’s?

Ingo Karwath