Florett und Taktstock

Die Bahamas sind das Mekka der hohen Rute.

Die zahlreichen Angelfilme auf youtube und Vimeo sind ein schöner Beleg dafür, dass Rücken- und Haltungsprobleme in unserer Gesellschaft wohl doch nicht so verbreitet sind, wie immer wieder angenommen wird. Fliegenfischen etwa praktiziert man mit dauerhaft ausgestreckten Armen, und ist ein Fisch gehakt, dann vollzieht sich ein Tanz, der mehr an rhythmische Sportgymnastik erinnert als an das, was man früher den Drill nannte. Das Wort kommt aus der militärischen Ausbildung und bedeutet im Prinzip die Wiederholung der immer gleichen Übung bis zur Erschöpfung. Auch ohne Ausbilder stehen hinter jedem modernen Fliegenfischer nämlich im Geiste die Dalton-Brüder und zwingen ihm die Hände hoch. Jedoch erst seitdem es das Internet und GoPros gibt, denn der theatralische Drill ist das unausgesprochene „sach’ mal was!“ des Laienfilms. Auch in den alten Angelfilmen aus den 50er und 60er Jahren gibt es überzogene Einstellungen, vermutlich auf Zuruf des Regisseurs. Die betreffenden Szenen sind jedoch meist der Endkampf, wenn große Fische geliftet werden. Lee Wulff mit seinem 180er Stöckchen machte immer ein energisches Gesicht dazu. Sehr viel Kinn. Im Grundsatz aber vollzieht sich der alte Drill zwischen dem 4ten bis 6ten Hemdenknopf von oben, also vor der Brust, und die Rute wird dort eingestemmt und ruhig aufrecht gehalten. Um die Rolle von der Weste oder Jacke freizuhalten, erfand man für diese Rutenhaltung den Fighting Butt, die Kampfverlängerung, die immer noch ab Schnurklasse 6 gern verbaut und nicht benutzt wird. Den Anfang des modernen Kameradrills verbinde ich mit Gary Borger, der mit Hut und Halstuch ganze Generationen von Fliegenfischern dazu brachte, die Rute beidarmig hochzuhalten und dabei Cowboyrufe zu machen. Jipeeh und so, und ich bekenne mich schuldig, das nachgemacht zu haben. Leugnen wäre zwecklos, wie jeder weiß, der den Steelheadfilm von Hans Konrad Fritzel aus der Zeit von Dr. Thies’ Abenteuerreisen gesehen hat. Darin u.a. ich, mit Lefty Kreh Hut und Jipeeh am Copper River, und ich kann zu meiner Entschuldigung nur sagen, ich war halt unter dreißig. Ich würde es sogar wiederholen und mich gezielt lächerlich machen, denn in meiner besten Woche fing ich 63 Steelheads von 30 bis 41 Zoll. Those were the times. Nachdem also Gary Borger uns vermittelte, für Bild und Ton von Angelfilmen mehr Sinnloses zu tun, bekamen wir später auch einiges über Bonefisch und die Bahamas zu sehen. Das Mekka der gestreckten Arme. Meine persönlichen Erfahrungen sind da sehr beschränkt, ich war gerade mal fünf Wochen je eine Woche auf Bonefish, aber ich habe zwei Erkenntnisse mitgebracht. Die Fische sind im Durchschnitt viel kleiner als auf den meisten Fangfotos, und auch die Großen, so ab fünf Pfund, flüchten nicht die berühmten 100 Meter. Das tun sie nur, wenn man die Rolle zu lose einstellt. Stellt man sie handfest auf 30er oder 35er Tippet ein, dann verhungert oft schon der erste Run. Und das ist schlechtes Marketing. Wegen der Korallen ist es aber auch dann eine gute Idee, die Rute schön hochzuhalten. Vom fünften Hemdknopf nach oben gewinnt man da etwa 80 cm Höhe. Möchte man berechnen, was das auf 50 oder 100 Meter Entfernung ausmacht, muss man keine alten Winkelformeln bemühen. Sinnfrei, leider, wie so manches aus Mathe im Alltag. Keinen Zentimeter, denn die Schnur hängt ja durch. Auf 20 Meter macht die Streckfigur mehr Sinn, da ist die Schnur womöglich kathetengerade. Der spitze Winkel zwischen Grund und Schnur verbessert sich um etwa 2 Grad. Das Vorfach ist damit 1 Meter vor der Fliege gute 2 cm weiter vom Grund weg als beim lässigen Vor-der-Brust-Drill. Das kann schon mal einen Korallenkopf auslassen. Lustig wird’s aber, wenn dieser Scheinriesendrill auf einer Kiesbank in den Voralpen ausgeführt wird. Kein Stein weit und breit, aber eine Drillhaltung wie im Korallengarten auf der einsamen Westseite von Andros. Ein weiterer und ebenfalls mit Sim-Karten beförderter Drillirrtum ist das Florettdrillen. Dabei hält man die Rute vor sich hin, gern auch unterhalb des siebten Knopfes, und reagiert auf jeden Schwenker des Fisches mit einem reaktionsschnellen Gegenschwenker. Das kann mitunter recht komisch aussehen, als würde man mit dem Grafen Fjodor Tolstoi ein Luftduell ausfechten. Oder an Karajan denken. Das Hin uns Her der Rute ist in etwa so, als würde ein Zahnarzt mit einer Extraktionszange am Backenzahn rütteln. Das geht bekanntlich für den Zahn nicht gut aus, denn er lockert sich und wird gezogen. Gerade Lachsangler achten im Drill sehr sorgfältig auf den Winkel zum Fisch und versuchen jeden Lastwinkelwechsel auf den Hakenschenkel zu vermeiden. Der zu schnelle Anhieb und der zappelige Drill sind sicher für die meisten Lachsverluste verantwortlich. In der Ruhe liegt die Kraft, sagte schon Konfuzius, der leider viel zu weit südlich von Guangdong geboren wurde, als dass man ihn mit Rutenbambus verbinden könnte. Meine erste Bambusrute, eine Foster Airsprite, verschaffte mir beim ersten Drill einer pfündigen Regenbogenforelle nämlich einen offenen Mund. So ein Gefühl hatte ich nicht erwartet. Die Rute ermüdete die Forelle irgendwie allein. Da mag man nun streiten, ob Kunstfaser das nicht auch kann, aber wenn die Kraft in der Ruhe und der Rute liegt, dann muss man sie auch anwenden. Der Sportgymnastik-Florett-Taktstockdrill bringt den Fisch nach meiner Ansicht nicht schneller zum Kescher. Ist man da anderer Meinung, muss man ihn anwenden. Das ist kein Grund für Streit, denn den Fisch möglichst schnell abhaken zu können ist der gemeinsame gute Wille. Da ist auch ein Unterschied, wenn man allein mit der Gespließten loszieht oder zu zweit mit vier GoPros und Gumminetzen. Der Bambusmann schätzt mehr Distanz zum Fisch, der youtube-Fischer mag den Infight, denn da hat er ja alles im Bild. Insbesondere sich. Was wirklich zählt ist die schonende Behandlung des Fisches. Im liebevollen Entlassen einer 20er Forelle steckt mehr gute Fischerei als im lässigen keschern einer 50er.

Ingo Karwath