Ostseetagebuch

Ein Tag für Tag Bericht aus der Sicht einer Fliege.

  • 1. April 2019. Moin zusammen, ich wurde gerade gebunden und als letzte meiner Familie in eine Reihe gesteckt. Ich habe sieben Geschwister, die auch alle Vaskebjörn heißen. Ich bin die jüngst gebundene und noch ein bisschen feucht. Er bindet ja immer mit viel Lack und so trockne ich hier in der Dose noch ein wenig aus. Ich konnte mich noch nicht so gut umsehen, aber bei uns hier ist anscheinend kein Bett mehr frei, wir sind ausgebucht. Jetzt ist es dunkel und ich werde ein wenig schlafen. Man hört schon das Schnarchen der Mitbewohner.
Der „Sea Beetle“: Schwertfeder, Pfauengras, Ovalsilber, Flashflügel, Goldfasan, Perlenaugen.
  • 2. April 2019. Heute wurde es mal wieder hell und der Mann, der uns bindet, hat die Dose aufgemacht. Ich werde ihn Chef nennen. Der Chef hat noch eine Kollegin in die Reihen geklemmt, da war tatsächlich ein Platz frei. Er muss ein ziemlicher Pingel sein, so ordentlich ist das hier. Die Neue hat so rote Augen. Sie sagt sie heißt „Sea Beetle“ und der Chef habe sie vom „Foster Beetle“ abgekupfert. Und wir sollten uns nicht wundern, wenn er sie zuerst ans Vorfach knüpft, weil er sie lieber mag als andere. Na, wir werden sehen. Sie sieht schon gut aus, aber wir hier sind alle Germanys next top fly.
  • 6.4.2019 Wir sind da. Sehr schönes Haus direkt am Meer. Der Chef hat den ganzen Nachmittag „Camp gebaut“, wie er das nennt. Nun hat alles seinen Platz. Obwohl er ja kokett damit ist, nicht mehr so viele Ruten zu haben, hat er eine 6er, eine 7er und eine 8er bespannt und unten am Steg ausprobiert. Es sind schon mehrere Fischer unten vorbei gelaufen. Trotzdem ist er die Ruhe selbst und hatte erst mal ’ne Vega Fina und ein Fyns Forars Bierchen. Morgen will er zu Go Fishing und den Wiegeschluss der Seatrout Open anschauen. Außerdem hat er mal wieder seinen Topografischen Atlas und das Angelstellenbüchlein vergessen. Davon stehen sechs oder sieben zuhause im Regal. Hildesheimer vermutlich, die Vorstufe von Alzheimer. Trotzdem scheint er quietschfidel und unerschüttert. Soll kälter werden, sieht aber insgesamt gut aus.
Ein Kilometer östlich der Hütte sieht es gut aus.
  • 7.4.2019 Noch so ein Bierchen, ist ein Korken drauf und 0,7 drin, hat beim Chef zu einem tiefen Schlaf mit spätem Sonntagsfrühstück geführt. Derweil konnten wir in den offenen Fliegendosen auf dem Tisch den Sonnenaufgang über dem stillen Meer erleben. Immerhin waren er dann von mal ’ne Stunde fischen, aber er hatte nur seine neue 6er mit und die „kleine Dose“. Wir konnten ihn vom Haus aus sehen. Weiter als bis zum Steg ist er nicht gekommen. Natürlich hat er nix gefangen. Jetzt packen wir den Hund ein und fahren nach Odense. Dort ist um 14 Uhr Wiegeschluss der Seatrout Open. Siegerfisch 5920 Gramm. Auf Gulp. Pfui. 2. Sieger Lars Henriksen mit 3920 Gramm. Mit geliehener Fliegenrute. Bravo. Danach war der Chef sehr motiviert und vier Stunden im Wasser. Er hat sich in der Garnelendose bedient, also bei uns. „Sea Beetle“ und „Brenda“. Gefangen hat er nix. Aber der neue 16 Gramm Volantis an der Vision Ultra Light Nymph fliegt ganz wunderbar. Um 20 Uhr war er wieder in der Hütte, hatte Bratkartoffeln, Salat, Kuchenreste und ein Bier.
Hier mit einem 8 Kilo Fisch vorzufahren wäre mal was.
Die beiden Siegerfische können sich sehen lassen.
Die diesjährige Spende von Go Fishing zum Wohle der Meerforellen.
  • 8.4.2019 Heute Vormittag hat der Chef die ganze Zeit gearbeitet. Er zeichnet Fliegen für „das Buch“, was immer das ist. Am Nachmittag waren wir ernsthaft fischen. Er hat der Reihe nach „Seepferdchen“, „Magnus“, „Brenda“, „Red Tag“ und „Hindsholm“ versucht. Am 4 m Vorfach auf 0,23. Das Wasser ist sehr klar, die Sonne scheint, Luft 10 Grad, Wasser 9 Grad. Etliche Fischer im Wasser bei Damsbo Strand. Keine Chance für die Vaskebjörn-Familie. Wir sind zu schwer für die flachen Tangzonen hier.
Die erste Forelle des Jahres.
  • 9.4.2019 Er hat wieder den ganzen Vormittag gezeichnet, war dann in Odense in Brandts Klaederfabrik und am Nachmittag fischen. Trotz des kalten Nordwindes war es bei Horne sehr schön warm und windstill. Eine kleine, dicke Forelle biss auf eine „Hindsholm Flue“. Sie war wohl knapp maßig, aber der Chef nimmt nur ab 50 cm und bis 60 cm mit. Da war sie doppelt auf der sicheren Seite. Zu klein und die Erste des Jahres geht ohne Ansehen ihrer Größe ohnehin zurück, auch bei perfektem Zwischenmaß. Da ist der Chef streng mit sich. Die „Hindsholm“ Reihe freut sich auf die kommenden Tage. Vermutlich kommen sie verstärkt zum Einsatz.
Nach getaner Arbeit werden die Fliegen mit Leitungswasser gespült und getrocknet.
  • 10.4.2019 Heute war der Chef früh aktiv und hat Flundern besorgt. Er hatte ein Grundblei an der Sage 296 Spin und einen Pümpel mit. Ich will gar nicht wissen was er gemacht hat. Zwei Stunden später war er mit drei Flundern wieder da. Am Nachmittag waren wir korrekt fischen, aber so flach, dass nicht mal die „Hindsholm“ ging. Auf „Sea Beetle“ mit Glasaugen hatte er wieder ’ne Mitte 40er. Läuft ganz gut dieses Jahr. Natürlich wartet er auf die Große. Aber das Jahr ist ja noch lang.
Eine Flunder ergibt vier Filets. Wie man sieht ist die Pfanne zu klein.
So früh im Jahr sind die Badestege noch nicht beplankt.
  • 11.4.2019 So eine Woche vergeht wie nix. Gut dass wir zwei haben. Heute wollte er es wissen und hat zwei Angriffe gestartet. Am Vormittag und am Nachmittag. Aber trotz des ganzen Aufwandes nicht mal ’ne Kleine zum Trost. Am Abend gab es Hühnchen Tikka Masala und er musste zwei Bier haben. Weil das „so scharf war“. Dann hat er mit dem Hund um die Wette geschnarcht.
Käffchen und Zigarre am Hafen. Dänemark ist einfach schön.
  • 12.4.2019 Heute hat der Chef erst gezeichnet, er hat jetzt 31 von 100 fertig, und war dann Schollen holen. Anständig, mit Kronen, ohne Würmer! Außerdem war er in Faaborg beim Frisör und hat bei Imerco eine 32er ScanPan gekauft, weil die Hüttenpfanne innen aussieht wie schwarzes Wildleder. Typisch Mann, für 58 Kronen Scholle und für 699 Kronen Werkzeug. Beim Haarschnitt hatte er die Brille nicht auf und sieht nun sehr manlyman aus. Der Frisör war Iraner. Was heißt wohl Zipka auf Farsi? Na, egal, es wächst ja nach. Am Nachmittag war er fleißig angeln, bei sanftem Schneefall, wieder ohne meine Familie zu bedenken, und hatte eine Forelle Mitte 40. Gibt’s nur die hier? Wann kommt mal eine Bessere vorbei. Am Abend gab es Scholle, Bratkartoffeln, Gurkensalat und Möhren. Das kann er wirklich gut, trotz der U-Boot-Küche. Das Bier mochte er nicht. Ein dänisches Triple. Fehlkauf. 
Was wäre der April ohne seine Kapriolen.
  • 13.4.19 Ich mag es gar nicht sagen. Er war nicht angeln! Gar nicht. Hat den ganzen Tag Möbelhäuser, Lampenläden, Galerien und Antikshops besucht. Immerhin hat er eine Lampe erbeutet, die ist schon mal höher als seine Forellen lang. So kann’s weitergehen. Morgen wieder zwei Angriffe. Ist Sonntag und das Wetter wird besser.
  • 14.4.2019 Sogar drei Angriffe und ein Fisch. Aber wieder ein paar Zentimeter unter 50 cm. Die Forelle ging in der Morgen-Session an ein „Seepferdchen“. Die schönste Fischerei war dann am Abend. Die Sonne hat uns wieder. Am Strand waren etliche Fischer aus den Hütten. In Schuhen. Auch Fliegenfischer. Sie fischen nur die Kante ab. Sehr ungewöhnlich und interessant.
It’s hard life. But somebody has to do it.
  • 15.4.2019 Wieder ne Kleine. Warum immer nur eine. Wieder auf „Hindsholm“. Die sollten doch in Gruppen schwimmen. Und wo ist mal die eine Größere. Andererseits ist es nur eine Frage der Umgebung. Eine runde 45er Meerforelle hat geschätzt etwa ein Kilo. Am Bach wäre das ein Superfisch.
Wer noch nie 10B hatte weiß nicht was er versäumt. Oder sie.
  • 16.4.2019 Und noch eine aus der 40er Bande. Diesmal auf „Silver Ant“ als Springer über einer grünäugigen „Magnus“. Das Wetter wird besser, etwas mehr Wärme. Gute Wellen, gute Strömung. Dabei war heute wenig Zeit. Der Chef musste mit der Fähre nach Fynshav und dann nach Flensburg übersetzen und hatte dort zu tun. Um 15 Uhr war er wieder zurück. Mit Umweg über Central Moebler in Odense. Da hat er noch ’ne Lampe gekauft. Irgendwie macht er zu viel Kram. Er muss mehr angeln, mehr Einsatz zeigen.
An den bekannten Stränden stehen diese Schilder.
  • 17.4.2019 Der Chef hat Besuch von seiner Tochter und musste heute zum Shopping nach Odense. Zum Trost mit Hereford Beefstouw. Am Nachmittag und Abend war er dann fleißig und hatte für die letzten Würfe die Eingebung mit dem „Modul Worm“ zu fischen. Da der nicht gut absank und die Dose mit den Perlen alle war, hat er ihn an einen Karabiner gemacht. Die Outcast WF 7 hatte fast schon Mühe die Konstruktion zu werfen. Immerhin gab es einen Zupfer, und bei völlig eingestellter Bewegung straffte sich die Schnur. Der Chef schüttete genug Adrenalin aus für den Kampf mit einer 10 Kilo Forelle, aber es war mit 30 cm dann seine kleinste jemals in der Ostsee gefangene Regenbogen.
Immer mal ’ne Pause ist auch nett.
  • 18.4.2019 Heute hat er echt Gas gegeben, weil er nämlich morgen Geburtstag hat und 63 wird. Also hatte er die fixe Idee heute eine 62er Meerforelle zu fangen. Morgen dann eine 63er. Das Wetter spielte schon mal mit, und am Vorfach waren zwei Fliegen mit Erfolgsgarantie. Ein „Seepferdchen“, und als Springer eine „Silver Ant“. Die „Silver Ant“, eigentlich eine Steelheadfliege, ist seit Jahren als Springer einen Meter über der Endfliege sein Geheimnis. Aber trotz der Fahrten zu fünf Plätzen kein Biss. Am Abend dann direkt vor unserer Hütte ein 72er Hornhecht. Ein ganz früher Geselle. Er ist den ganzen Weg vom Atlantik in die Ostsee gekommen um den Chef mit seinen Zentimetern zu verarschen. Das Lebensjahr geht ohne Forelle zu Ende.
Schon im Drill ahnt man ‚die ist besser‘.
  • 19.4.2019 Nach den Erfahrungen der Vortage wäre es als Erfolg zu werten, mal wieder eine von den Kleinen zu fangen. So hübsch und dick sie auch sind, man freut sich schon, aber nicht so richtig. Das Wasser ist im Windschatten des Ufers superglatt und der Chef kutzelt den Intermediate 6er Schusskopf an. Wir wollen die Firma mal nicht nennen, aber Schlaufen können die schon mal nicht. Das klappert durch die Ringe wie eine geflickte Fahrradkette. Das Fliegenteam von gestern ist draußen, und exakt um 11 Uhr kommt ein Biss. Kaum ist die Schnur auf der Rolle, zieht der Fisch tatsächlich mal kräftig Schnur ab. Scheint was Besseres zu sein. In der Nähe sieht man den Fisch dann am Springer sitzen. Also schnell ein paar Meter ins Tiefe waten, damit die Endfliege kein Tangbüschel findet. Aber der Fisch sitzt gut und muss sich zur Seite legen. Eine 58er Meerforelle, schon wieder fit, aber noch nicht fett und noch nicht ganz versilbert. Ein Halbkelt sozusagen. Energisch schwimmt er ins Meer zurück. An diesem Tag hätte der Chef aber auch eine 10 Kilo Forelle wieder schwimmen lassen. Am Geburtstag gilt catch & release unter allen Umständen. Am Nachmittag wird gepackt und geputzt. Am Abend noch mal eine Stunden Sonnenuntergangsfischerei. Aber ohne Zustieg.
Gibt es ein schöneres Geschenk?
  • 20.4.2019 Rückfahrt. Der Chef hasst das. Jedes Mal. Abends wird er begrillt, das tröstet ein wenig. Spät in der Nacht sitzt er am Computer und bucht sich ein Zimmer in Odense für die Himmelfahrttage. Bis dahin haben wir Fliegen wohl frei. Er hat keine einzige von uns verloren. Weder vorn noch hinten.