Die Halford Biographie

Die in fünf Teilen geschriebene Biographie hier nun in einem Stück.

Der vermutlich berühmteste Fliegenfischer aller Zeiten, Frederic Michael Hyam, wurde am 13. April 1844 in Spring Hill, Birmingham geboren. Die Hyams waren eine jüdische Familie, und ihr Gründer, Simcha Hyam, wurde um 1740 in Hamburg geboren. Sein Sohn Hyam Hyam heiratete Hannah Lazarus, deren Familie aus der Gegend um Worms stammte. Die Hyams waren im weitesten Sinne in der Bekleidungsbranche tätig, und allein Samuel Hyam (1813 – 1891), einer der Söhne von Hyam Hyam, beschäftigte über 8000 Mitarbeiter. Man hatte Singer Nähmaschinen umgebaut an Dampfmaschinen angeschlossen, und folgte dem bewährten Prinzip bei niedrigen Margen viel und schnell zu produzieren. Da die britische Bevölkerung mehr und mehr von der Stange kaufte, stiegen die Gewinne stetig an. Als Sohn von Samuel Hyam und Phoebe Hyam wurde Frederic als drittes Kind von fünfen sozusagen wohlhabend geboren und hatte dann noch mit sieben das Glück, an der UCS eingeschult zu werden. Die University College School hatte durchaus ein strammes Kurrikulum mit Latein und Griechisch, auch Mathematik, Englisch, Deutsch, Französisch, Zeichnen, Chemie und Physik. Aber an dieser Schule wurde nicht geschlagen. Es gab kein Regiment der Älteren. Religion gab es auch nicht, was der verschieden gläubigen Mittelklasse Elternschaft sehr gut gefiel. Sport wurde angeboten, war aber als Fach noch nicht so ganz erfunden. Einziger Nachteil dieser modernen Schule war nur, sie mit 16 verlassen zu müssen. Frederic stieg in der väterlichen Firma ein und engagierte sich bei den 36th Middlesex Volunteers, bei denen er 1866 Offizier wurde. Er war ein sehr guter Schütze, aber seit jüngstem Alter dem Wasser verbunden und durch und durch Angler. Wir kennen ihn ja als den Advokaten der sehr trockenen Trockenfliegen, aber in den Jahren nach der Schule war er ein Themseangler und fischte mit einer toten Güster am System auf die großen Forellen dieses Flusses. Eine 9lb12oz. Forelle war sein bester Fisch. An einem selbst entworfenen System gefangen, mit drei zusätzlichen nach vorn zeigenden Drillingen. Der Fisch und das System fanden ein Heim in einem Glaskasten von Cooper, Radnow Street, und sind der Nachwelt erhalten. Statt nun nach einem größeren Fisch zu jagen gab Frederic seine Rute auf und erhielt durch einen Freund Zugang zum River Wandle, dem besten Forellenwasser bei London, in nur einer halben Stunde mit dem Zug zu erreichen. Dort fischte man mit der Fliege, und so wurde Frederic im Alter von 24 Fliegenfischer. Nach holperigen Anfängen mit ungeeignetem Gerät wurden seine Fähigkeiten besser und besser, und Seidenschnüre, dünne Vorfächer und kleine graue und gelbe Trockenfliegen brachten Erfolge, und ein weiterer Glaskasten von Cooper mit einer 3lb2oz. Forelle von nur 15 Inch Länge ist noch heute im Besitz der Hyam-Erben.

1872 heiratete Frederic Michael Hyam die einzige Tochter von Samuel St Losky, Florence, und zog mit ihr 1873 in ein eigenes Haus bei Lancaster Gate, 62 Inverness Terrace. Nicht weit vom Hyde Park, eine der besten Lagen in London. Aber schon 1877 zog man um, 35 Inverness Terrace, und verbesserte sich. Frederic verdiente ca. 12.000 Pfund im Jahr. Man kann den Wert des Geldes nur schwer umrechnen, eine Köchin etwa verdiente um die 30 Pfund im Jahr, aber auf der Basis des Goldstandards sind das geschätzt 3.250.000 Euro Jahresgehalt. 22.000 Pfund war sein letztes Jahresgehalt, denn 1888 wurde er Privatier. Da hieß er auch nicht mehr Hyam, denn 1875 hatten sich alle Partner der Firma entschlossen, den Familiennamen in Halford zu ändern. 1877 fischte er erstmals am Test in Houghton, und dem Namen Halford wurde die Bestimmung zuteil, vermutlich der meistgenannte Name unter Fliegenfischern zu werden.

Halford und Houghton

Die Fischerei an den südenglischen Kreideflüssen hatte schon eine lange Tradition, als Halford 1877 an den Test kam. Es war allerdings üblich, die Forellen mit allen möglichen Methoden zu dezimieren. Vierzig oder fünfzig „brace“, also je zwei Fische, konnten die Tagesbeute von einem Angler sein. Es waren aber nur wenige Angler, die an den Kreideflüssen fischten, und nach der Maifliegenzeit hörte man für gewöhnlich auf. Die Flüsse verkrauteten, und schützten ihre Forellen vor weiteren Übergriffen. Außer vor den zahlreichen Hechten, die das Kraut sicher vorteilhaft fanden. Trotzdem und trotz des Nahrungsreichtums wurde die Fischerei um die 1850er Jahre stetig schlechter. Der Ertrag aus der Landwirtschaft reduzierte sich ebenfalls, und die Fischwilderei wurde intensiver. Mit durchaus robusten Mitteln. Der Bowler wurde ja erfunden, um Wildhüter, Keeper und Parkwächter vor Schlägen auf den Kopf zu schützen. Mode wurde er erst später. Hinzu kam die Verschmutzung der Flüsse, die entweder von einzelnen Höfen oder aus Städten kam, weniger von Industrien.

Schon 1836 hatte Ronalds in seiner „Fly Fisher’s Entomology“  47 Arten beschrieben, die man mit Fliegen imitieren kann, aber in dieser Hinsicht herrschte an den Kreideflüssen eine gepflegte Ignoranz. Es war durchaus üblich die natürlichen Fliegen als „Hares Ear“ oder „Ginger Quills“ zu bezeichnen. Entomologisch war man noch lange nicht auf der Höhe. Bei den gebundenen Fliegen nicht minder, und der Zusammenhang von Insekt und Imitation war längst nicht allen klar, sondern Fliegen hatten einen ganz eigenen Ruf als „Killer“, unter welchen Bedingungen auch immer. Namen wie „Drake’s Extractor“, „Artful Dodger“, „Flight Fancy“ und „Little Wonder“ sind uns verloren gegangen. Aber die ganze Sache entwickelte sich, und kleinere, imitative Fliegen von Eaton & Deller, Mrs. Brocas, Mrs. Ogden, Currell und Mrs. Cox hatten einen guten Ruf. Eine Maifliege wurde als Ein-Fisch-Fliege benutzt, also nach nur einem Fang pensioniert, und es war üblich, sich für die Saison mit zehn Dutzend pro Muster einzudecken. Denn die Verwendung von Parafin musste erst noch erfunden werden. Die alten Maifliegen hatten Kiele unter ihren Körpern, um für Schwimmfähigkeit zu sorgen. Darum die verwunderlichen Bindeanleitungen, bei denen man einen Kiel windet und dann noch mit Raffia abdeckt. Hinzu kommen die gewaltigen Flügel und Hecheln, und es war ein etablierter Trick, nach jedem Wurf das Vorfach bis zum Spitzenring einzuholen und die Maifliege das Vorfach wieder ausdrehen zu lassen. Eine Fan Wing wirkt nämlich wie ein Hubschrauber am Vorfach.

1877 hatte er seine erste Saison in Houghton, und über das Jahr und auch über 1878 wissen wir wenig. Man darf annehmen, dass die wohl höchstens mäßigen Erfolge der ersten beiden Jahre die Initialzündung waren, mit denen Halford der werden sollte der er wurde. Denn er beschloss sich einer ausgedehnten Studie des Flusses, seiner Fische und ihres Verhaltens und ihrer Insektennahrung zu widmen. Ab 1879 wissen wir exakt wie es ihm dabei ergangen ist, denn er fischte bald sechzig bis siebzig Tage pro Jahr und in drei Jahren mehr als hundert Tage. 1879 fischte Halford 37 Tage, davon 28 am Test, und fing fünfzig Forellen mit einem Gewicht von zusammen 41lb10 oz. Am Test erwischte er 16 seiner 50 Forellen.

Die wunderbare alte Zeit war von den Fängen her durchaus nicht so wunderbar wie wir annehmen möchten. Es sollte auch in den kommenden Jahren so bleiben, dass jeder zweite Fischtag kein Fangtag war. Die Gründe sind vielfältig. Am Test wurde besetzt, aber nur mit Fingerlingen. Die Befischung von Houghton erfolgte durch 20 höchst motivierte und teils sehr erfahrene Angler. Halford fischte zuerst eine 11 Fuß Eaton & Deller und dann eine 10,5 Fuß derselben Firma, 11 ¼ Unzen schwer. Die Fliegendosen waren schwer und es war üblich eine nass gewordene Fliege mit dreißig und mehr Luftwürfen zu trocknen. Und mehr noch: Halford galt eher als langsamer Fischer, kümmerte sich rührend um Gäste und nahm sich mehr Zeit Insekten zu studieren als Fische zu fangen.

Das alles hat Halford nicht angefochten. Unerschütterlich saß er in seinem angemieteten Räumen in der Halford Mill und widmete sich seinen Studien. Bis 1881 fischte er gern allein. Ab da aber formte sich langsam eine Freundschaft mit George Selwyn Marryat, die ab 1884 zu einer intensiven Zusammenarbeit an einem Buchmanuskript führte. Dazwischen, wenn man so sagen darf, nämlich 1882, trat der Öhrhaken in Halfords Leben, und mit dem Haken von Carlisle und dem Knoten von Mayor Turle begann eine neue Bindeepoche.

1883 verlor „The Field“ mit Francis Francis den anerkanntesten Angelautoren der Zeit, durch einen Schlaganfall, und William Senior, sein Nachfolger, gab sich alle Mühe diese unersetzliche Autorität auszufüllen. Er überredete Halford zu schreiben, und nach einigem Zögern wurde dieser letztlich einer der prominentesten Autoren und lieferte bis 1912 über 200 Artikel ab. Derweil er weiter mit Marryat an seinem ersten Buch arbeitete. Sein Verleger, R.B. Marston von Sampson Low hatte in „The Field“ immer mal eine Vorankündigung gemacht, und so waren im April 1886 die 100 Luxus-Editionen schon verkauft, und die erste Auflage von 500 „Floating Flies and How to Dress Them“ war zügig ausverkauft. Das Buch stellte 90 Fliegen vor, von denen 55 Eintagsfliegen waren. Halford war in diesem ersten Buch noch nicht so streng, aber seine Ansage war klar: An Kreideflüssen hatte man trocken zu fischen. Seine Muster waren überwiegend mit Kielen gebunden, auch mit Seide, einige mit Raffia und Pferdehaar, aber Dubbing kam selten vor. 

Das Buch wurde begeistert aufgenommen, aber ein paar anglerische Schwergewichte wie Senior und Marston lehnten den absoluten Fokus auf die Trockene ab. Und aus Halfords Fangbüchern wissen wir, wie viele Fische er mit der „trockenen“ Hares Ear fing. Von dieser Fliege ist es nur ein winziger Schritt zur Nymphe. Mit den typischen Flügelchen jedoch, und zwei steifen Hecheln gebunden, ist sie eben doch eine Trockene. Diese für uns klassischen Trockenfliegen sollten für Jahrzehnte der Standard werden, und hinzu kamen eine ausgefeilte Wurftechnik und eine komplexe Fachsprache, die so manchen davon abhielten ein Fliegenfischer zu werden. Außerdem musste man etliche Pfund auf den Tisch legen, um in Hampshire fischen zu dürfen. Dort formte sich eine Elite, die später dogmatischer werden würde als der Hohe Priester selbst.

Der aber war 1886 auf einem Gipfel angekommen. Er war plötzlich berühmt, jetzt erst war er der Halford, den wir kennen, oder zu kennen glauben. Die Fischerei am Test war jedoch immer schlechter geworden, und 1888 gab Halford seine Rute bei Dr. Wickham auf und suchte sich eine neue Heimat. 

Umzug an den Itchen

Die Saison 1887 wurde schwierig, weil die Forellen nicht eben zahlreich und zickig waren. Selbst mit „cobweb“, dem dünnsten Vorfach der Zeit, und bei einer Wurfposition fünf Meter vom Ufer weg, konnte man sie nicht mehr überzeugen. Das ist wenig verwunderlich, wenn jedes Jahr 20 gute Fliegenfischer 50, 100 oder 150 ansehnliche Fische entnehmen, dann hat man irgendwann ein Problem. Dr. Wickham beugte sich dem Druck und baute Teiche, doch die Schlachter um Winchester konnten gar nicht genug Leber liefern, um die Forellen damit zu mästen. Es entzaubert den Test doch gewaltig, bedenkt man seinen Besatz mit „Leber-Forellen“. Die Saison 1888 war noch schlechter als das Vorjahr, und für Halford, der ein Anhänger großzügiger Besatzmaßnahmen war, kamen alle Bemühungen zu spät. Er kündigte seine Rute am Test und zog an den Itchen. Dazu renovierte und möblierte er ein Cottage in Headbourne Worthy, und, das macht ihn doch sehr sympathisch, kaufte sich ein Tricycle, um im Winter und Frühling in London an seiner Fitness zu arbeiten. Der Saisonbeginn 1889 sah vermutlich einen sehr motivierten Halford am Ufer des Carey-Wasser oberhalb von Kingsworthy stehen. Am 6. April, um genau zu sein. Die Forellen am Itchen waren weit zahlreicher als die am Test, außerdem sehr steigwillig, aber im Durchschnitt nur 1lb4oz. schwer, am Test 1lb12oz., und Fische über 2lb waren sehr selten. Der Itchen wurde sehr großzügig besetzt, Carey hatte 250000 Brütlinge in seiner Anlage. Zehn Jahre zuvor waren durch einen Baufehler viele Hechte aus dem Alresford Pond in den Itchen gelangt, und die Keeper hatten Jahre damit zu tun ihnen den Garaus zu machen. Halford beschäftigte sich nun noch mehr mit Entomologie, und seine Artikel spiegeln das in Zitaten McLachlan, Eaton und Pictet wieder. Er unterschied fast alle seine gebundenen Fliegen in männlich und weiblich, selbst Ameisen und Mücken, und so ist es seither ein Witz, von einer „Male Red Tag“ und einer „Female Red Tag“ zu sprechen. Sein neues Buch, „Dry-Fly Fishing in Theory and Practice“ erschien ebenfalls im April 1889, passend zum neuen Fischwasser.

Dieses Buch, man kann es nicht anders sagen, ist nicht ein Meilenstein, sondern der Meilenstein in der Geschichte des Fliegenfischens. Es bewegte zumindest unsere kleine Welt. Werfen üben und lernen, Präsentieren üben und lernen, schleichen und waten, Entomologie, Strömungen analysieren, Fliegen binden, Knoten knüpfen, Rhythmen verstehen, fischen wo andere nicht fischen, warten können, eine Seidenschnur herstellen, Gerät auswählen – wirklich alles wurde beachtet und vernünftig beschrieben. Aber es markiert auch den Beginn des Purismus. Es macht keinen Sinn Halford als einen Fliegenfischer zu begreifen, der sachlich und offen Dinge erprobt und ehrlich davon berichtet. Er ist, spätestens ab 1889, ein Politiker der Trockenfliege. Man darf annehmen, dass er mit Nassfliegen, Nymphen und Shrimps experimentiert hat. Er hat den Mageninhalt hunderter Forellen untersucht. Und behauptet dann doch, mit den wunderbar gebundenen Shrimps von George Holland nicht gefangen zu haben. Es gibt sehr schöne Umschreibungen für diese Umstände, und ich mag sie nicht verwunderlich oder ein Puzzle nennen. Er hat schlicht und einfach gelogen. Höflicher gesagt die volle Wahrheit ohne voll. Ein Politiker eben.

Hätte er diese Position nicht eingenommen, wäre sein Ruhm ein anderer, vermutlich mäßiger geworden. Er hatte sich entschieden der Advokat der Trockenfliege zu werden und endete als ihr Papst. Mit seiner Meinung, seinen Ansagen, hat er nicht hinter dem Berg gehalten. Aber er hat niemals den Boden des Anstands verlassen und Konflikte eher abtropfen lassen. Die englische Klassengesellschaft hätte sicher mit voller Wucht zugeschlagen, wäre er in dieser Hinsicht nicht so klug gewesen. Mit der Rute am Itchen und dann noch mit seinen guten Beziehungen war Halford sehr gut aufgestellt, aber 1890 konnte er den Mietvertrag für seine Worthy-Cottage nicht verlängern und fischte die 91er Saison durchaus zufrieden mal hier und mal da, besuchte auch Houghton und nahm sich für 1892 dort wieder eine Rute. Besatz mit fangfähigen Fischen hatte die Situation in Houghton erheblich verbessert, und vermutlich hätte Halford dort nun sein Leben lang weiter gefischt. Dr. Wickham jedoch wollte verkaufen, und nach einigem missglückten Hin und Her in den Verhandlungen gelang es dem vor 18 Jahren nach Stockbridge verdrängten Houghton Club den Houghton Fly Fishing Club mit einer hervorragend vorbereiteten Aktion wieder in die Wüste zu schicken. Sie hatten lange und geduldig Geld gehortet und zahlten Wickhams Preis. Die auslaufende 92er Saison verlief unglücklich, denn der anstehende Verlust des Fischwassers bedrückte auch die schönsten Tage. Halford musste einmal mehr ein neues Wasser suchen, und natürlich war er erfolgreich, aber so wie in Houghton sollte es nie wieder werden.

Das Kennet Intermezzo

Die Mitglieder des Houghton Fly Fishing Clubs mussten sich nun ohne Wasser eine neue Heimat suchen und Halford verfolgte einen ambitionierten Plan. Marryat stellte den Kontakt zu Robert Long her, ein Weinhändler und Brauer aus Marlborough, der wiederum den Kontakt zu Sir Francis Burdett ermöglichte, und Burdett saß auf Ramsbury Manor und hatte über vier Meilen Kennet, die er verpachten wollte. Nachdem Long die ersten Verabredungen für Halford gemacht hatte, übernahm Basil Field die Verhandlungen und erreichte sehr vorteilhafte Ergebnisse. Für 300 Pfund pro Jahr pachtete Halford den Kennet für die Dauer von 21 Jahren, erhielt das Recht die Keeper selbst zu bestimmen, und Sir Francis übernahm aus rechtlichen Gründen die Kosten für seine fischenden Hausgäste, von denen nur zehn pro Jahr zugelassen waren. Halfords Partner waren Basil Field, William Quiller Orchardson und Nathaniel Lloyd. Ab 1893 kamen diese vier Fischer mit Freunden und Familie und wohnten entweder in der Park Farm oder im Mühlenhaus. Die Fischerei war in den Vorjahren etwas verwildert und musste auf Vordermann gebracht werden. Mit Drähten, Drillingen, Flinten, Speeren, Fallen, Köderfischen und Netzen wurden allein 1893 insgesamt 2087 Hechte entfernt. Zusätzlich wurden 1141 Häslinge abgefischt. Vermutlich weil sie steigen, und man kann sie dabei leicht mit Forellen verwechseln. Die wurden reichlich besetzt, vornehmlich dicke, silberne Wycombe-Fische. Die 1893er Saison entwickelte sich sehr gut. Am 22. Mai zeigten sich die ersten Maifliegen, und die Forellen im Abschnitt Ramsbury Lower konnten sich ungestört an sie gewöhnen. Halford wollte seine Theorie testen, dass man mit zu früher Fischerei eine gute Entwicklung der Maifliegenzeit stört. Die Annahme bestätigte sich, und vom 30. Mai bis zum 10. Juni hatten die Angler eine gute Zeit. 108 Forellen wurden gefangen. Bis zum 14. Juni noch 8 dazu, und dann notierte Halford: End of Mayfly. Die Saison 1894 war noch besser als das Vorjahr, allerdings war der Maifliegenschlupf schlechter und die Kennet-Forellen zeigten danach wenig Neigung nach kleinen Trockenfliegen zu steigen. Sie futterten eher auf Skues-Niveau, aber der fischte ja selber trocken und hatte seine Nymphen noch nicht so ganz erfunden. Man konnte auch diese Fische trocken fangen, aber es war egal mit welcher Fliege man auf sie fischte! Sie stiegen nicht selektiv, was ja nun gar nicht zu Halfords Gedankengebäude passte. Nicht selektiv ist fast nass. Wie wir heute wissen, wurde der Kennet schon 1893 schlimm überbesetzt, und man darf annehmen, dass ein viel besserer Maifliegenschlupf möglich gewesen wäre, wäre er nicht in den Bäuchen der vielen Forellen gelandet. Der Kennet wurde nun seinem Ruf als Nassfliegenfluss noch mehr gerecht als vorher. Das hielt Halford nicht davon ab, 1895 das Buch „Making a Fishery“ zu publizieren. Die Ökologie war als Wissenschaft noch in ihren zartesten Anfängen, und dass wir heute eher von Halfords Fehlern lernen als von seinen Erfolgen muss notwendig so sein. John Waller Hills fasste es schon 1930 in „A Summer on the Test“ so zusammen: „Weißfische wurden getötet; ein- und zweijährige Fremdforellen aus High Wycombe wurden wannenweise ausgesetzt; alles wurde getan die Fischerei zu verbessern: und trotzdem, eine Fischerei, die schon vor dem Besatz von 1893 gut war, wurde bis 1896 so ruiniert, dass die Fischer sie angewidert auskotzten.“ (im Orginal: threw it up in disgust!) Starke Worte, aber Hills fischte Ramsbury von 1899 bis 1922, zuletzt war sein Bruder Jack Hills der Pächter, und erlebte wie gut der Kennet sein konnte.

Aber es waren nicht die Fische und Fliegen allein, die Ramsbury den Boden wegzogen. Zu Beginn des Jahres 1896 erreichte eine Grippewelle die britischen Inseln, und Marryat hatte das Pech sich anzustecken. Er lag elend mit Grippe im Bett, als ein Schlaganfall hinzukam, er fiel ins Koma und starb am 14.2.1896. Die Welt der Fliegenfischer hielt für einen Moment an, und viele Freunde waren geschockt, dass ein so vitaler Mann mit 55 schon starb. Halford war schwerst getroffen. Er war selber erkrankt und erholte sich langsam am Meer. Er fischte dann ein paar Tage im Mai und Juni und kehrte Ramsbury für immer den Rücken zu. Wieder keine Maifliegen. Der mögliche Zauber war verflogen. Im Herbst rief er die Partner zusammen und man beschloss Ramsbury aufzugeben. Obwohl man das erst im siebten Jahr hätte tun können, nahm Sir Francis die Kündigung an. Von da an fischte Halford wieder am Test bei Newton Stacey, mit einer Karte von Mayor Turle. Er folgte Einladungen an dieses und jenes Wasser, fischte sogar auf Lachs, stelle aber solche Kapriolen ab 1900 ein. 1000 Meilen Reise, sieben fischlose Tage, und dann ein 34pfünder, das rechnete sich für ihn nicht. Er war durch und durch ein Forellenmann, ein „high-dry-man“, um es mit Marston zu sagen. Und sein Werk war noch nicht vollendet.

Sein Mottisfont Paradies

Das beginnende 20. Jahrhundert markiert wohl den Höhepunkt des Trockenfliegendogmas und Halfords Ruhm und Einfluss ist auf einem Höhepunkt. Nicht auf dem Höhepunkt, denn die 1938er Diskussion um Skues und das Nymphenfischen lässt die rigiden Vorstellungen der Trockenfischer ja noch einmal auf eine große Bühne. Anfang des Jahrhunderts bekam man in den Angelgeschäften Halford Ruten, Halford Rollen, Halford Fliegen, Halford Schnüre und Halford Dosen. Durch den Tod seines Freundes Edgar Williamson war die Saison 1904 Halford‘s letzte am St. Cross Beat. Und es war seine beste Saison aller Zeiten, mit 180 Forellen von insgesamt 221 Pound. Gut vernetzt und wohlhabend wie er war, tat sich für ihn mit Mottisfont am Test eine neue Chance auf. Sein Freund Edgar Valentine Corrie hatte den Beat gepachtet, nahm Halford 1905 mit hinein und übergab ihm für die Saison 1906 die alleinige Kontrolle. Halford sollte hier bis 1913 fischen, und man kann es mit Fug und Recht sein Alterswasser nennen. Er mietete sich Räume im Ort Dunbridge, den er mit der Eisenbahn erreichen konnte. Und stellte Mr. und Mrs. Moore ein. Für fast zehn Jahre entwickelte sich eine wunderbare Routine. Halford kam im April nach Dunbridge und bereitete mit seinem Keeper, Dick Coxon, das Wasser für die Saison vor. Die Besatzabschnitte, die Uferwege und Vegetation, der erste Schnitt der Krautbeete, Arbeiten am Fischerhaus und an einem kleinen Garten waren nur einige der Aufgaben. Mr. Moore fuhr Halford und seine Besucher mit einer Ponykutsche ans Wasser, und kehrte am späten Nachmittag mit einem von Mrs. Moore gefüllten Picknickkorb zurück. Halford hatte keine Passion für Luxusessen und Champagner, sondern einen bodenständigen und mäßigen Geschmack. Völlerei war seine Sache nicht. Das Whiskyregal soll jedoch gut gefüllt gewesen sein, und seine Ausgaben für Zigarren waren legendär. Er soll ein sehr höflicher und zurückhaltender Zeitgenosse gewesen sein, und wir wissen, dass er nie gegen Kritik, sei sie klug vorgetragen oder auch nur blöd herabwürdigend, in irgendeiner Form zurückkeilte. Anthony Quintin überlieferte uns die Erkenntnis, dass die Philosophen Dialoge und Diskussion schätzen, derweil die Weisen dem Zuhörer einfach sagen was Sache ist. Halford neigte zur zweiten Gruppe. Er hat sich in Debatten nie im Ton vergriffen, war bekannt für seine Freundlichkeit und Höflichkeit, für Fairplay und Sportsgeist, er hat unauffällig gespendet und auch direkt Familien in Not unterstützt, er war auch bekannt für Unfug und Scherze und war sich nicht zu gut Forellen mit Sprats Grain zu fangen, einem Fasanenfutter, wenn er gebeten war ein Dinner in London mit Forellen zu unterstützen. Aber diesen ganz privaten Halford kannten nur wenige Freunde. Für die Mehrheit der Fliegenfischer war er eine sehr geschätzte Person, aber weder beliebt noch geliebt. Dazu war die Distanz wohl zu groß. Außerdem war es nicht einfach, der reinen Lehre zu folgen. Man muss sich nur in einen Kollegen der Zeit versetzen. Stressjob in London, freier Tag, Bahnfahrt nach Salisbury, Kutsche zum Test, Wind und Regen, keine Insekten, keine Ringe, kein Erfolg – kurz mal umsehen, Nassfliege anknoten, zwei Zweipfünder fangen, Nassfliege abknoten. Die Fliegenfischer, die da nicht mal schuldig wurden, kann man an einer Hand abzählen. Und natürlich kann man unterschwellig den Kerl nicht leiden, der die Gesetze erfunden hat.

Das alles hat Halford schon bekümmert, aber Mottisfont entwickelte sich so gut, dass er dort sicher seine Freude hatte. Die Zahl der jährlich erbeuteten Hechte fiel von 800 auf um die 50. Im Besatzabschnitt wurden Forellen auf etwa 450 Gramm herangefüttert und zweijährig in den Fluss entlassen. Das Mindestmaß an der Strecke waren 1lb 4oz., so dass die Forellen 100 Gramm Körpergewicht mit Naturnahrung zunehmen mussten. Das wird sich im Einzelfall nach der Nahrhaftigkeit der Insekten und Flohkrebse richten, aber 1000 Gramm Insekten darf man schon annehmen. Insekten wiegt man in aschefreien Milligramm, und man könnte 15 Milligramm Nährstoffe pro Individuum schätzen. So mühsam ernährt sich kein Eichhörnchen. In jedem Fall musste eine 550 Gramm Forelle in Mottisfont ordentlich steigen, um das reinzuholen. Entsprechend gut naturalisiert und fit war der Fisch. Halford hat sich mit solchen Details ausgiebig beschäftigt, und für seine Gäste hielt er eine Auswahl seiner neuen Fliegen parat, die diese fischen „mussten“. Nur ein paar alte Haudegen wie Senior oder Sheringham trauten sich eigene Fliegen zu fischen. Eine der Gäste, C. Ernest Pain, hatte wohl mal einen besonderen Tag mit ausschließlich untermaßigen Forellen, die ab da den Spitznamen „Pains“ trugen.

Alles war wunderbar vorbereitet um sich an diesem schönen Wasser glücklich ins hohe Alter zu fischen. Halford, obwohl bürgerlich, etablierte sich als der zuständige Landadelige der Gegend. Er unterstützte Bedürftige, lud fast den ganzen Ort zum Essen ein und regelte hier und da Probleme. Dann schlug 1907 das Schicksal zu. Florence Halford stürzte am 15. April aus einem Fenster des Beacon Hotel in Crowborough zu Tode. Ihr Arzt hatte sie wegen eines Nervenzusammenbruchs mit einer Krankenschwester zur Erholung nach Sussex geschickt. Ein Selbstmord ist unbewiesen, aber sehr wahrscheinlich.

Für Frederic Halford begann eine schwere Zeit. Er zog sich aus seinem Sozialleben weitestgehend zurück, stellte seine Tätigkeit als Schriftsteller ein, fuhr aber ab Mai wieder nach Mottisfont. Familie und Freunde kümmerten sich um ihn, aber es war ein sehr depressives Jahr. Der Londoner Winter trug nichts dazu bei ihm zu helfen, und Anfang 1908 war er zu Jahresbeginn krank und kam erst im Mai an sein Wasser. Und begann mit Nymphen zu experimentieren! In seinen Fangbüchern ist eine „Martin’s Nymph“ verzeichnet, die wir in ihrer Bindeweise bis heute nicht kennen. Außerdem hatte er Erfolge auf eine „Grannom Pupa“. 1909 machte er weitere Versuche mit Nymphen, hat aber nie davon geschrieben, und muss in dem Jahr den „way of Halford with a nymph“ verworfen haben. Auch seine privaten Schriften erwähnen das Thema nie wieder. Es gibt verschiedene gute Vermutungen warum Halford und die Nymphe nicht zusammenkamen, und eine davon ist, dass es ihm nicht gelungen ist die Technik zu meistern. Skues machte sich ja noch im hohen Altern unbeliebt, weil zu viel und oft mehr als die anderen fing. Er hatte sich jahrelang geschult die Nymphe zu präsentieren und den Biss zu erkennen. Halford und die Nymphe mag ein wenig so gewesen sein wie ein Schachgroßmeister versus einen Fortniteprofi. Es war nicht sein Spiel. Außerdem kam 1910 Halford’s sechstes Buch auf den Markt, „Modern Development of the Dry Fly“.

Anders als man annehmen könnte, beschäftigt sich das Buch nicht mit der Trockenfliege an sich, sondern müsste eigentlich „Development of my Dry Fly“ heißen. Das Buch ist sehr gut aufgebaut und vermindert die nötigen Fliegen von früher 100 Mustern, 1885, auf nur mehr dreiunddreißig Muster. Vermutlich können nur sehr wenige Fliegenbinder den Finger heben, wenn man fragt: Wer hat alle diese Fliegen schon einmal korrekt gebunden? Zwischen den Seiten 56 und 57 findet man nämlich 18 Farbtafeln der französischen Chrysanthemengesellschaft, kein Witz, mit denen man die Farben der Fliegen exakt abstimmen kann. Für den männlichen „Sherry Spinner“ etwa Tafel 298, Farbe 4, Hechel; Tafel 334, Farbe 4, Körper; Tafel 340, Farbe 1, Rippung; Tafel 298, Farbe 1, Schwanz; und drei Wicklungen Pferdehaar als Kopf, Tafel 341, Farbe 1. Diese extreme Hinwendung zur Farbe hatte bereits einige Kritik erfahren, etwa durch Frances oder ganz besonders durch Maxwell. Maxwell hatte mit blauen und roten Maifliegen erfolgreich gefischt, und die argumentative Lösung, seine gefangenen Fische für blöd zu erklären, war schon schwach. Skues und andere schrieben geschliffene Beiträge über die Versäumnisse und Irrtümer des Buches. Die Trockenfliegenpuristen wurden insgesamt mit einigem Humor überzogen und gehörig veräppelt. Trotz aller Kritik haben die Halford Fliegen fast 40 Jahre durchgehalten und wurden erst ab 1945 von den eher impressionistischen Mustern verdrängt. Wichtiger als aller Disput um kleine Fliegen, die schwimmen, und kleine Fliegen, die untergehen, war um 1910 eigentlich die Regenbogenforelle. In die Seen beim Buckingham Palace hatte man sie schon 1903 ausgesetzt, und so langsam kam auch Halford zur schönen Amerikanerin. Die amerikanische Forelle verdrängte anscheinend erfolgreich die Äsche, denn deren Fänge ließen nach und die der Regenbogen nahmen zu. 1912 wurde in Mottisfont die erste gefangen, und 1913 fing Halford’s Enkel Cecil zwei schöne Fische, die mit einem Cooper-Kasten gewürdigt wurden und bis heute existieren. 1913 markiert auch das Jahr einer der besten Mottisfont Bachforellen, denn Halford fing auf eine „Welshman’s Button“ eine Kapitale von 4lb3oz. Das war zwar nicht sein letzter Fisch, aber 1913 war seine letzte Saison. Im Frühjahr 1914 wollte Halford dem Winter entkommen und reiste nach Tunis und ging einer anderen Passion nach, dem Fotografieren. Auf der Rückreise von Tunis nach Marseilles war er noch wohlauf, aber auf dem Schiff von Marseilles nach London entwickelte sich eine fiebrige Erkältung zu einer Lungenentzündung, und obwohl sein Arzt in Plymouth an Bord kam gab es keine Chance den schwachen Patienten an Land zu bringen. Am 5. Marz 1914 verstarb F.M. Halford auf der „Morea“ kurz vor den Tilbury Docks auf der Themse.

Wer dies alles genauer lesen möchte, dem empfehle ich von Tony Hayter das Buch „F.M. Halford an the Dry Fly Revolution“. Dieser Artikel ruht so heftig auf diesem Buch wie ein Anker am Grund. Herzlichen Dank, Tony.

Ingo Karwath