Forellen im Postkasten

Eine Hommage an alte Kataloge. Und eine Bitte um Neue: Liebe Händler, gebt das Papier nicht auf.

Die Frage, ob für einen Fliegenfischer Bücher, Magazine oder aber Kataloge wichtiger sind, ist ein bisschen müßig. Das ist so wie mit Äpfeln, Orangen und Birnen. Man kann sie nicht vergleichen. Zumal Bücher, Magazine und Kataloge so vernetzt, verzahnt und verbunden sind, dass man sie kaum trennen kann. Das wäre, als würde man einen Obstsalat wieder auseinandernehmen. Trotzdem ist es eine gute Frage.

Ruten aus meiner Werkstatt haben immer einen roten Endknauf. Mir ist jetzt erst aufgefallen, dass das vermutlich an meinem ersten guten Katalog liegt. Da wurde ich wohl geprägt und habe es nicht mal bemerkt.

Denn während es mir inzwischen gelingt, Bücher und Magazine mit einer ruhigen, erwachsenen Haltung zu empfangen, kommt bei Katalogen immer wieder die Junganglerstimmung auf. Dann erinnere ich mich selbst an unseren Labrador Milla, wenn sie einen Knochen bekommt. Obwohl sie schon jede Menge bekommen hat, nimmt sie jeden mit totaler Begeisterung an und verzieht sich unter den Tisch. Das finde ich weniger gemütlich, aber mit einem neuen Katalog und einer Tasse Kaffee im Lesesessel zu sitzen ist ein Hochgenuss.

Für meinen ersten guten Katalog war ich nicht reif genug. Meine weitgereiste Tante Laske, eine verwitwete Grundschullehrerin, die ihr Jahresgehalt in Weltreisen investierte, brachte mir 1968 aus London einen Hardy Katalog mit, den ich bis heute besitze. Die Bedeutung des Inhaltes konnte ich mit 12 noch nicht verstehen, aber meine Vorliebe für Fliegenruten mit rotem „rubber butt“ muss damals schon entstanden sein. Spätere Hardy-Kataloge, von Herrn Niedermeier aus München, sind voll mit Notizen, Preisen, Plänen, Wünschen und Pfeilen. Damit die Eltern zu Weihnachten und zum Geburtstag alles richtig machen. Der englische Jahres-Katalog war das Highlight meiner frühen Jahre. Bis ich dann im Haus von unserem Freund Col. Willard McQuary einen amerikanischen Katalog entdeckte. Ich war hingerissen. Es gab zwar nur zwei Farbseiten mit Fliegen, aber auf der Seite 21 waren Lachsnymphen von Charles De Feo. Man konnte außerdem Bindekurse buchen. Mit Lefty Kreh, Dick Talleur, Ted Niemeyer, Al Brewster, Dave Whitlock und Bill Hunter selbst! Aber mitten im Wintersemester für ein Wochenende nach New Boston zu fliegen war nicht meine Preisklasse als armer Studiker. Immerhin hatte ich den Katalog.

Hunter’s Angling Supplies machte wunderbare Kataloge und war das Epizentrum der Bogdan-Szene. Stan Bogdan wohnte gleich um die Ecke.

Lange Jahre war der Mittelpunkt meiner Interessen der Central Square in New Boston, New Hampshire. Wenn Sie auf eine Karte schauen, werden Sie New Boston unweit von Nashua finden, und damit dürfte klar sein, was an „Hunter’s Angling Supplies“ so besonders war. Ich will Bill Hunter nun wahrlich nicht als Drogendealer bezeichnen, aber er war schon der Pablo Escobar der Bogdan Szene. Nur eben friedlich. Bill und Sim hatten in New Boston einen wunderbaren Fly Shop aufgebaut, und mit Stan Bogdan gleich um die Ecke, war der Hunter’s Katalog die Quelle für Bestellungen. Trotz der ausgewiesenen Wartezeiten ging das meist schneller als angekündigt, aber es konnte auch drei Jahre dauern. Wenn ich das Objektiv meiner Nikon mal auf die Preise von 1980 halte, werden Ihnen vermutlich die Tränen kommen. 280 Dollar für eine Bogdan 300 M. Falls es interessiert, der Dollar stand 1980 bei 1,82 DM im Jahresschnitt. Der Wert der Rolle, zumal wenn man 10 Dollar für eine Schwarze zuzahlte, hat sich locker verzwanzigfacht.

Mit einem frischen Ami-Katalog war man fast besser am Puls der Entwicklung als mit Büchern und Magazinen, und die Farbseiten mit den Fliegen waren absolut stilbildend für mich als Binder. Es hatte ein bisschen was vom „Playboy“, wenn man die berühmte Mittelseite bei Hunter’s aufschlug. Zu den Bindern gehörten damals u.a. A.K. Best, Warren Duncan, Billy Munn, Monty Montplasir und Barry und Cathy Beck! Die einsame Doppelseite nahm außerdem zu, und bald waren mehrere Farbseiten mit Fliegen im Katalog. Dann gab es noch einen Bindekatalog dazu, „The Fly Tyer’s Catalog“, und ich wünschte ich hätte die Weisheit gehabt mir noch mehr alte und seltene Haken zu kaufen. Die weißen Pappschachteln mit Allcocks und Carlisle und den „celebrated“ 993ern sind lange schon leer.

Die Fliegenseiten im Hunter’s Katalog haben mich als junger Binder sehr beeinflusst. Und Vorbilder wie A.K. Best und Warren Duncan waren die beste Schule.

Und obwohl ich mit drei verschiedenen Bindestöcken binde, zwei neueren Datums, ist der 1980 erhaltene HMH-Stock immer noch das Zentrum des Geschehens. Bill Hunter hatte 1975 angefangen einen Bindestock zu entwickeln und kam 1977 mit dem HMH auf den Markt. Die Nachfrage überstieg schnell das Angebot, weil Bill die von Angling Products Inc. angelieferten Teile im Keller selbst polierte und montierte. HMH steht dabei für Hunter’s Mad House, ein Ehrentitel, dereinst durch einen Handwerker verliehen. Der Stock hat vier Backen, Midge, Trout, Magnum und Restricted. Die massive Messingplatte wiegt über 4 Pound. Nur Meerforellen kommen immer wieder an dieses Gewicht heran, bei den Bach- und Regenbogenforellen gelingt es seltener. Beim Binden schaue ich immer mal wieder auf die schwere Basis und wünsche mir so einen Fisch.

Die Fliegenseiten bei Kaufmann’s Streamborn stehen dem nicht nach, und man erkennt sehr schön den Unterschied im Bindestil von Küste zu Küste.

Mein zweiter Lieblingskatalog war der von Kaufmanns’s Streamborn. P.O. BOX 23032 Portland, Oregon. Auch dieser Laden und seine Kataloge gingen den Weg des Dodo. 2011 machte man ohne große Erklärung dicht. Kann wohl sein dass eine Vorliebe für europäische Sportwagen und anglerische Fernreisen ein wenig zu viel Gewinnmitnahme erzeugt hatte. Aber nach 40 Jahren im Geschäft kann eine Marke wie „Kaufmann’s Streamborn“ eigentlich nicht mehr kentern. Randall Kaufmann und Lance Kaufmann betrieben drei Shops, u.a. in Downtown Seattle, boten Reise und Kurse an, hatten mit John Hazel, Trey Combs und Brian O’Keefe prominente Spitzenleute am Start, und verschickten einen wunderbaren Katalog. Die Lieferungen von Portland nach Göttingen waren legendär schnell.

Pezon und Ragot aus alter Zeit. Im Pezon steht zu lesen nur zehn Leute kennen das Geheimnis des „Levisham Spinner“. Ja, zehn Leute und ich!

Der Kaufmann’s Katalog war noch dichter gepackt als der von Hunter’s und bot hervorragende Fliegenseiten. Ich habe nur noch den 1992er als vollständigen Katalog, und der hat 14 Farbseiten mit Fliegen. Alle anderen Kaufmann’s Kataloge habe ich zerschnitten und die Fliegenseiten in Klarsichthüllen in Aktenordnern aufgehoben. Der 92er hat nur überlebt, weil der 91er die gleichen Seiten hatte. Ich würde mich ja gern vor dieser Aussage drücken, aber die Fliegen waren nach meinem Geschmack noch besser als die von „Hunter’s“. Das ist aber auch dem Phänomen Ostküste und Westküste geschuldet. Die Lachsfliegen, Streamer und Nassfliegen der Ostküste kommen vornehmer daher, die Steelheadfliegen, Alaskafliegen und Pazifikfliegen der Westküste knallen schon von den Farben viel mehr. Die Binderei an der Westküste hatte immer schon mehr Puls. Denn 1992, während ich noch ahnungslos den Katalog von Kaufmanns studierte, waren die „Intruder“ ja schon heimlich geboren. Die „Rabbit Leeches“ auf den Fliegenseiten sind jedoch heute noch konkurrenzfähig. Aber auch die Hairwing Dries, die Standard Dries und die Nymphs hatten einen besondern Touch. Das wird daran liegen, dass der Rückraum dieser Fliegen der Grindstone Lake war, die Douglas Ranch und die Yamsi Ranch. Das waren Traumziele der 80er. Da waren die Bellyboote noch rund wie ein Doughnut. Aber eine 10 Pfund Regenbogen sieht auch vor einem runden Bucks gut aus.

Walter Brunner schrieb von Jahr zu Jahr die aktuellen Preise in seinen Katalog. Die Austria-Ruten sind heute deutlich begehrter als die Wildwasser Serie.

Natürlich gab es viele andere Kataloge, die mich auf meinem Weg beeinflusst haben. Besonders als Binder. So etwa die klassischen Lachsfliegen bei Fosters, ein Spent Spinner im Pezon & Michel Katalog, die kleine Maus bei Bavaria, die Nymphen bei Ragot, der Traum vom Laerdal im Falcon Katalog, die Trockenen im Katalog von Devaux. Aber da war auch mehr als nur Fliegen. Die Haltung und der Stil von Walter Brunner in seinem legendären Katalog. Ein Vorbild. Lässig, ein Gentleman, völlig bei sich selbst. Nur zu vergleichen mit Michel Piccoli. 

Ein Foto von Svend Saabye im Falcon Katalog. An der Holzwand eines seiner Gemälde mit einer Trockenfliege. Die berühmte Rute ist die „Svend Saabye Dry Fly“.

Vielleicht ist ja das Besondere an Katalogen, dass sie so gnadenlos praktisch sind. Ich werde beraten, bekomme Tipps, man zeigt mir Ziele, verkauft mir Bücher, Ruten und Rollen, ich kann Hemden, Hosen und Jacken bestellen, Taschen und Rucksäcke, die Fliegen nachbinden und eine kleine Tüte Entendaunen bestellen. Ob 1000 Dollar oder 10, ich bin dabei, mitten drin, mache mit. Über einen Wurstverkäufer sagt man ja, er verkaufe das Bruzzeln, nicht die Wurst. Kennen Sie das, dieses leicht säuselnde Bruzzeln, und dann noch der Duft? Nürnberger, Thüringer oder Münchner, ja, ich weiß, ist nicht egal welche, aber dieses Zischeln auf dem Grill ist ihnen gemein. Wer kann da widerstehen. Darum, liebe Katalogmacher unserer Tage, schaut auch mal in die alten Dinger. Da wurde nicht jeder Layoutmillimeter dem direkten Verkauf gewidmet. Man hat etliche Stellen dem Bruzzeln gewidmet. Denn wir, die Kunden, wollen nur dann die Wurst.

Ingo Karwath