Lachse an der Wand

Begegnungen mit dem dänischen Maler und Fliegenfischer Svend Saabye.

Meine erste Begegnung mit Svend Saabye hatte ich im Blinker Heft 2 1972. Der Blinker war gerade in den Besitz des 1971 frisch gegründeten Jahr Verlags übergegangen und war noch nicht in der leserorientierten Phase, in welcher der unvergessene Karl Koch ihn stark prägen würde. Man kannte ‚den Leser’ ja noch nicht und die „Fisch & Fang“ lauerte als gefährlicher Hecht im Hintergrund. Zu diesem frühen Zeitpunkt waren noch ein paar andere Meinungsbildner am Start, nämlich Helmut Schulz, Detlev Balkenhohl und Karl-Heinz Kloth, und ein Artikel über gespließte Lachsruten und esoterisch teure Gewässer wie Laerdal und Aröy war möglich. Auf Seite 26 ein Foto von Ray Brooks mit einem wunderschönen 19 kg Aröy Lachs. Auf Seite 27 dann aber ein stilles Schwarzweiß-Foto von einem Mann, der im Gras kniend mit einem kräftigen Stück Kohle einen Lachs zeichnete. Svend Saabye. Der Zusammenhang von Kunst, Gespließten und Lachsen faszinierte mich, und das Bild brannte sich unauslöschlich ein. Dass das eine teure Sache werden würde, war nicht absehbar. Obwohl in dem Artikel ja zu lesen war, eine Saabye Rute koste 341 Mark. Meine nächste Aktion kostete mich nur ein paar Groschen, denn ich schickte einen Freiumschlag an „Tramm & Hinners“ und bekam einen Falcon Katalog. Katalog ist etwas zu hoch gegriffen, aber das bedruckte Blatt verstärkte noch die Prägung, die ich schon erhalten hatte. Da gab es zwei Fotos von Svend Saabye, die mich noch mehr an meine Zukunft fesseln sollten.

Ein prägendes Bild aus dem Falcon Katalog. Svend Saabye am Laerdal.

Dann, oh Glück, machten wir eine Klassenfahrt nach Hamburg. Nach einem Museumsbesuch, ich weiß nicht mal mehr welches es war, irgendwo am Bahnhof, bekamen wir etwas Freizeit, wurden aber strikt angewiesen einen bestimmten Bereich um das Rathaus nicht zu verlassen. Mir war vorher klar, dass das für mich so nicht in Frage kam, und mit einer Zeichnung, die ich mir vom Stadtplan gemacht hatte, fand ich wie ferngesteuert den Weg zu „Tramm & Hinners“. Natürlich reichte mein Geld weder für eine Falcon Gespließte noch eine Hardy Rolle, und ein Päckchen „Sunray Shadows“ wollte ich mir auch nicht leisten, aber der sehr nette Herr hinter dem Tresen schnitt mir eine „Sunray Shadow“ aus der Fünferkarte heraus, und dafür reichte mein Geld. Ich war einer „Svend Saabye Dry Fly Special“ so nahe gekommen wie danach lange nicht wieder, bis ich letztlich eine erwerben konnte, aber es lagen Jahrzehnte dazwischen. Ein altes Tagebuch verzeichnet den August 1993 als Ankaufsdatum. Dass ich damals nur wenige Schritte vom Eingang des Jahr Verlag und somit meinem zukünftigen Arbeitsplatz entfernt war, ist wie ein biografischer Witz im Leben. Ich war aber später beim Vorstellungsgespräch bei Karl Koch so an- und aufgeregt, dass ich die Umgebung nicht wahrnehmen konnte und die Nähe zum Chilehaus nicht bemerkte. Aber, herje, ich hatte damals ja noch nicht mal Abi. Mit der Fliege in der Tasche stieß ich unauffällig zur Gruppe zurück und war sofort der Hero, weil alle annahmen, ich hätte mich in ein Bordell absentiert. Tja, Leute, so ähnlich, nur teurer. Den guten schlechten Ruf gab es obenauf, wie man im Norden so sagt.

Der Schule folgte der Wehrdienst, ich traf Sabine, dem Wehrdienst folgte das Studium, ich lernte Udo kennen, mein Vater starb. Kaum zu glauben wie das alles in einen Satz passt. Fliegenfischer war ich jetzt auch praktisch und ausschließlich, und es zeigte sich früh ein Talent zum Binden. Außerdem war ich wie wild hinter Büchern her. Das Lachsfischen wurde vom Traum langsam zur Realität. Svend Saabye war und blieb mein Stern über Norwegen. Meine erste eigene Lachsrute, eine Hardy Wood Nr. 3, die ich bei Hardy in London gebraucht erstehen konnte, war dieser frühen Faszination geschuldet. In den Jahren danach begegnete mir Svend Saabye eher im „Fliegenfischer“, den Jochen Schück 1974 gegründet hatte. Auch in „Flugfiske i norden“, die ich 1984 erstmals abonnierte, gab es Artikel und wunderbare Zeichnungen und Aquarelle von Svend Saabye. Bei Angelkunst war ich als junger Sammler noch nicht so ganz angekommen, aber einige Blätter hatten sich eingefunden. Bertil Ekholm Erb aquarellierte mir einen Hornhecht, Gunnar J:son schenkte mir eine Zeichnung, und von Marita bekam ich eine radierte Trockenfliege. In einer Galerie in Göttingen fand ich den colorieren Druck „Trout Fishing in Scotland“, der als erstes Werk einen teuren Rahmen bekam. Eine Falcon Rute hatte noch nicht ihren Weg zu mir gefunden, aber der Wunsch war unvermindert da. Kohlefaser war gerade schwer angesagt, und die Ablösung von Glas und Bambus war in vollem Gange. Eine weitere Begegnung ergab sich mit den Büchern von Svend Saabye, von denen ich „Lyskfiskerliv“ als Erstes erwarb. Obwohl ich sehr viele dänische Angelbücher habe und die Sprache recht gut lesen kann, sprechen kann ich nur schlecht, sind das Dänisch und der Stil von Svend Saabye eine Sache für sich. Das war schon schwer zu lesen. Aber meine Kenntnisse führten dann letztlich doch dazu, dass ich für den „Fliegenfischer“ und den Schück Verlag in Nürnberg das Buch „Fisch und Fliege“ übersetzen sollte. Es gab eine englische Rohfassung und eine deutsche Skelettfassung, roher als roh. Ich mühte mich jedenfalls wochenlang mit einer Übersetzung ab und habe auch geliefert, aber das Arbeitsverhältnis mit dem Schück Verlag war inzwischen im Streit beendet und der Co-Übersetzer Ingo Karwath fand später keine Erwähnung. Ich bekam auch kein Belegexemplar und musste mir dann antiquarisch eines kaufen. Aber, lang ist’s her, Schwamm drüber, ich bin nicht nachtragend. Mit mir war ja manches auch nicht so leicht. Svend Saabye hat sich sehr über die Geschichte amüsiert, und erzählte mir, dass er seine Bücher und gerade „Lysfiskerliv“ sehr viel in Taxen und in der Bahn geschrieben hatte, wenn er von Kopenhagen nach Odense und Stenlose oder zurück unterwegs war.

Nach drei Seewintern zurück im Fluss.

Zunächst durch einen Briefwechsel und dann einen Besuch bei Preben Torp Jacobsen, bei dem ich 1984 meine erste Hobelform kaufte, wurde ich ein häufiger Besucher in Hvilsom. Preben hatte sein Haus auf der Grundfläche eines alten Bauernhauses erbaut, und die Baugenehmigung bezog sich exakt auf den Verlauf der Grundmauern. Rundherum war nichts als Natur, Weiden und Äcker. Sein liebenswerter Labrador ist der Grund, er hieß Bullar – aber ich weiß nicht ob man das so schreibt – warum bei uns gerade Janne als dritter Lebens-Labi schnarcht. An den Wänden hingen verschiedene Werke von Svend Saabye, auch andere Motive als Fische, aber das Aquarell über das Fliegenbinden als eines nachdenklichen Mannes Erholung neben der Couch im Wohnzimmer war mein Lieblingsbild. Mein Traum, auch einmal einen Saabye zu besitzen, blieb still aktiv. Die Jahre als Chefredakteur von „FliegenFischen“ brachten mich als Sammler schwer voran, ich kaufte auf Reisen Kunst oder bekam sie geschenkt. Wolfgang Lange, der Verlagszeichner, war in der Hinsicht sehr großzügig, und ich hoffe einige seiner Zeichnungen in meiner Sammlung noch veröffentlichen zu können. Muss mal sehen wie das rechtlich geht. Obwohl ich behaupten würde immer der Gleiche geblieben zu sein, änderte sich mein Leben ab der Geburt unserer Tochter doch ein wenig ins Bürgerliche und ich sammelte Diplome und Staatsexamen ein und schlüpfte frisch promoviert in den seriösen Landesdienst.

Sollte er auf einen Fischer treffen, möge es ein C&R Fliegenfischer sein.

Als unsere Lütte sechs Monate alt war, gönnten wir uns als junge Eltern anläßlich des Geburtstages meiner Frau eine kurze Fahrt nach Kopenhagen mit zwei Übernachtungen. Oma und Opa waren zwar zuverlässige Babysitter, aber das schlechte Gewissen begleitete uns wie eine lästige Fliege. Kopenhagen war Ende November schon weihnachtlich beleuchtet, und nach der langen Zeit der Häuslichkeit genossen wir dann doch das Leben in der Großstadt. Shoppen, hier und da einen Kaffee trinken, viel zu früh am Tage ein Craftbeer, Museen, Straßenmusik, Smörbrod und am Abend ein Tisch im Hereford Beefstouw in der Vesterbrogade. Wir mussten am Eingang etwas warten, und bekamen dann den Tisch aller Tische. Direkt unter einem Lachsgemälde von Svend Saabye. Nach Salat, Steak und Bier, zuletzt Kaffee, war mir nicht mehr zu helfen. Ich war schockverliebt. Ich musste so ein Bild haben. Am nächsten Tag standen wir wieder um einen Tisch an, warteten aber länger, weil ich den Kellner gebeten hatte, uns wieder in der Nähe der Lachse einen Platz zu geben. Er hat sich nicht mal gewundert. So hatte ich die Gelegenheit weitere zwei Stunden meine Entscheidung zu prüfen. Der Entschluss stand fest. Die Adresse von Svend Saabye war leicht zu ermitteln, ich musste ja nur Preben fragen. Wieder daheim schrieb ich Svend Saabye einen Brief, erzählte die Geschichte mit dem Bild, erzählte von meiner ersten Begegnung mit ihm im Blinker, erzählte von Preben und dem wunderbaren Aquarell neben der Couch – und bekam tatsächlich Antwort. Ich würde ein Bild bekommen. In einem weiteren Brief wünschte ich mit ein aufsteigendes Lachspaar in hellem, sonnigen Sommerwasser, ähnlich dem im Hotel an der Nausta, nur heller, und ohne sonstige Kenntnisse vom Kunstmarkt oder Preisen, in einem mittleren Format. Wenige Wochen später kam eine Skizze. Ich schrieb zurück, bestellte das Bild und rahmte die Skizze. Mit der ergab sich dann ein denkwürdiges Ereignis. Ich hatte sie rechts im Bindezimmer aufgehängt, und eines Tages knallte es beim Binden und das Glas im Rahmen splitterte. Die Backen in meinem HMH waren gebrochen, und einer der Schenkel war wie ein Geschoss abgeflitzt und in den Rahmen eingeschlagen. Die Zeichnung hatte keinen Schaden genommen, und in nun bald 50 Jahren Binderei ist mir so etwas nicht wieder passiert. Ich schickte die Backen an Bill Hunter und bekam anstandslos neue.

So träumt man sich den Sommer. Mein Saabye.

Im April des folgenden Jahres kam ein Brief von Svend, in dem stand mein Bild sei fertig. Da wir im Sommer ohnehin auf Langeland sein würden, verabredeten wir ein Treffen im Juli. Ich bekam eine Skizze und Beschreibung zur Anfahrt, denn Handy und Navi waren als Gemeingut noch unbekannt. So fuhr ich mit 2000 Mark in bar und meinem Scheckbuch aufgeregt nach Stenlose, und erlebte einen wunderbaren Tag im Haus und Garten des verehrten Künstlers. Ich erinnere mich an Kaffee, Campari und Capstan Tabak aus der gelben Dose, bewunderte die Bilder im Atelier, die Lachsruten in eigens dafür gebauten Schränken, die Fliegen und Rollen in eigens gebauten Schubladen, und der Tag zog an mir vorbei wie an einem Kind im Schlaraffenland. Mein Bild stand auf einer Staffelei, viel größer als ich erwartet hatte, und es kam letztlich doch der Moment über den Preis zu reden. „Eightthousand“, sagte Svend, und ich war so entsetzlich blöd zu fragen: „Krowns?“ Den Grad meiner Unbedarftheit erkennen und charmant zu ignorieren war schon sehr gentle, und die sanfte Antwort war: „No, Marks!“ Mir rutschte das Herz in die Hose. Du bist so jung, sagte Svend, das ist ein spezieller Preis. Aber du musst das Bild nicht nehmen. Bei mir nahm der Blutfluss im Hirn wieder zu. Ich überlegte was ich verkaufen und mir leihen konnte, um das zu stemmen. Und sagte: „No, I want it!“, ohne darauf eine Antwort gefunden zu haben. Ich stellte einen Scheck über 6000 DM aus, nicht ohne zu erwähnen, dass wir ja im Urlaub sind und ich zuhause erst noch für Deckung sorgen muss. Es spricht wohl für das Vertrauen und die Menschenkenntnis von Svend Saabye, dass er den Vorschlag akzeptierte. Mit dem Bild im Auto fuhr ich von Stenlose nach Langeland zurück, ohne jedoch meiner Frau zu gestehen, dass mein Bargeld nicht gereicht hatte. Drei Lithografien mit Widmung hatte Svend mir zusätzlich geschenkt. Einen Stier für unsere Tochter, einen Barsch für meine Frau, eine Bachforelle mit Schwalbe und Maifliege für mich. Ein Buch mit Widmung und Zeichnung noch dazu. Meine Nerven lagen blank und mein Verstand war in der Tonne und die Tonne verschollen. Meine Frau erkannte sofort ein anderes Problem: „Wie wollen wir das denn nach Hause kriegen?“ Ja, das war ein Argument, denn mit unserem ganzen Kram war der Volvo V 40, den ich damals fuhr, schon so bis unter das Dach voll. Da man in jedem Problem ja eine Chance erkennen soll, beschloss ich die 700 Kilometer mit dem Bild heimzufahren, groß beim Lidl und Aldi einzukaufen, und sofort wieder zurückzukommen. Unserer Tochter sagten wir: Papa holt Hanuta. Die waren ohnehin alle. Die Grenze war dann doch etwas spannend. Kunst, Zoll, Steuer? Ich fühlte mich wie Peter O’Toole in „Wie klaut man eine Million?“. Nur nicht so hübsch. Am sehr späten Nachmittag war ich auf Langeland zurück. Mit vollen Taschen und Tüten und gebeutelten Nerven. Geh’ man angeln, sagte die beste aller Ehefrauen, und ich sah es als eine Bestätigung des Himmels, als ich dann ziemlich genau bei der abendlichen Vorbeifahrt der Kiel-Oslo Fähre eine gute 60er fing. Die weitere Finanzierung des Bildes regelte ich später mit dem Verkauf meiner Mauser 66, nicht zu vergessen ein so großzügiger Zuschuss meiner Mutter, der den eiligen Verkauf auch obsolet gemacht hätte. Ich hatte schon mit 17 Bilder über meinen Verhältnissen gekauft, aber im bescheidenen Bereich grafischer Blätter. Als Student habe ich wegen Kunst oft trockene Brötchen gegessen. Für zwei Farbholzschnitte von Oscar Droege wohl zwei Monate. Sie kannte den Finanzierungskummer eines armen Sammlers nur zu gut. Die Probleme sind vergessen, die Bilder hängen immer noch.

Das Bild mit den Lachsen ist der Besitz, von dem ich mich in der Not als Allerletztes trennen würde. Ich würde mir wünschen, dass unsere Tochter es als Erinnerung an ihren verrückten Papa behält. Aber ich finde es auch richtig, dass man sich das nicht wirklich wünscht. Nicht jeder mag Fische hängen haben. Wenn sie es dereinst verkauft, dann hoffe ich sehr auf einen würdigen Käufer aus unserer Szene. Saabye Preise gehen nach Größe und Sujet. Also keine Kronen bieten.

Ingo Karwath