Es gab mal eine Zeit, da war ich deutlich fitter als jetzt. So zwischen 20 und 30 wog ich bei 189 cm Länge nur 76 Kilo und rannte täglich ein paar Kilometer um den Göttinger Kiessee. Mit etwa 40 hatte ich eine zweite Sportphase, und lief in der Woche mehrmals eine Stunde und am Wochenende auch mal zwei Stunden, gern in der Früh um sechs. Mit 50 kam dann eine Schwimmphase, um fürs Tauchen fit zu sein, aber auch das legte sich wieder. Das hat auch alles wunderbar Spaß gemacht, aber zurückblickend kann ich sagen, dass diese ganzen Sprüche von wegen 20 Jahre lang 40 sein, einfach nur Mist sind. Man ist immer so alt wie man ist, aber eben fitter. Hätte mich in meinen Joggingjahren ein Karpfenangler aus Versehen hinten an der Hose gehakt, hätte ich ihn chancenlos hinter mir gelassen. Ähnlich chancenlos war ich selbst bei einigen Gelegenheiten mit so richtig großen Fischen am Band, und ich habe in Schweden und Norwegen Lachse verloren, in Kanada Steelhead und am dänischen Strand wohl auch mal einen Lachs, er verschwand ungesehen nach Osten, und eine gewaltige Meerforelle von vermutlich über zehn Kilo. Ein großer und fitter Kerl, ob Mensch oder Fisch, ist eben schwer zu halten. Da ist es sicher von Vorteil, ein paar Kenntnisse davon zu haben, was beim Drill in einem Fisch passiert. Immerhin gibt es einen Wunderfisch, den Thun, der im Drill anscheinend nicht müde wird. Er hat je nach Art keine oder aber eine kleine Schwimmblase und muss beständig schwimmen, sonst sinkt er zum Grund hinab. Besser trainiert kann kein Fisch sein. Sein Körper ist ideal strömungsangepasst, selbst die Übergänge von den Flossen zum Rumpf sind hydrodynamisch optimiert. Und dass der Schleim die Fische schnell macht, ist allgemein bekannt. Wie viele schnelle Hochseeschwimmer besitzt der Thun eine halbmondförmige Schwanzflosse an einem dünnen Schwanzstiel, über den die Kontraktionen der Seitenrumpfmuskulatur ideal übertragen werden. Aber so ein Thun ist nicht nur außen perfekt, er ist auch innen perfekt. Darum ist er ja so beliebt und wird in Dosen eingekocht, aus denen wir dann dieses typisch feste Muskelfleisch auf den Teller bekommen. Gegen diese Muskulatur muss man kämpfen, will man gegen einen Thunfisch gewinnen. Spürt er den Haken, macht er Maul und Kiemendeckel zu und flitzt los. In seinem Blut ist zunächst ausreichend Sauerstoff, im Gewebe ebenfalls, der Körper bevorratet freie Glucose, Glykogen wird ausgeschüttet, und mit überwiegend aus anaerober Verbrennung gewonnener Energie kann der Thun bei einer ersten Flucht mehrere Hundert Meter Schnur von der gebremsten Rolle ziehen. Zum Glück kann er nicht endlos schwimmen, muss letztlich doch das Maul aufmachen, die Kiemen öffnen und atmen. Aus der anaeroben Verbrennung fiel Milchsäure an, und die muss abgebaut werden, und eben dazu braucht der Fisch Sauerstoff. Der Angler hat noch lange keinen Grund zur Freude, denn der Thunfisch hat ein hochentwickeltes Kreislaufsystem und kann nun aus der viel effizienteren aeroben Verbrennung auf noch mehr Energie zugreifen. Er schwimmt und atmet, und wenn er durchgeatmet hat, startet er wieder durch zum Horizont. Findet der Fisch dabei einen guten Rhythmus, kann so ein Drill viele Stunden dauern und es besteht die Chance, dass der Fisch gewinnt und der völlig erschöpfte Angler aufgeben muss. Findet aber der Angler eine Möglichkeit die Erholung des Fisches zu stören, also seine Atemphasen zu behindern und die Sauerstoffaufnahme zu mindern, kommt es zum Sauerstoffmangel im Gewebe, Anoxie, und der Milchsäureabbau wird behindert. Dann muss der Fisch aufgeben. Nun werden die wenigsten von uns das mit einem Thunfisch ausprobieren können, aber mit einer Makrele erlebt man ein ganz ähnliches Phänomen. Lässt man ihr im Drill eine Erholungspause, legt sie wieder von vorne los wie frisch gehakt. Das macht man natürlich nicht mit Absicht, aber mir ist es vom Kajak aus schon einige Male passiert, dass man mit der Schnur oder dem Anker oder dem Treibanker mal eben kurz was richten muss, und schon flitzt die Makrele aufgefrischt wieder los. Thun und Marlin sind sicher die gewaltigsten Kämpfer im Meer, aber auch Bonefish und Snapper haben so ihren Ruf.
Unter den klassischen Fliegenfischen ist der Lachs die Nummer 1, aber auch große Forellen sind, zumal an leichtem Gerät, eine echte Herausforderung. Der Fliegenhaken, das Vorfach, die Verbindungen und die Nachschnur sollten absolut in Ordnung sein. Sonst muss man sich Sorgen machen und aufs Glück vertrauen. Hat man keine Sorgen, kann man planmäßig vorgehen. Der Plan ist dabei nur ein Grundsatz, den man im Kopf haben muss, denn natürlich erlebt man in jedem Drill chancenlose, haarsträubende Momente, in denen man nur hoffen, in keinem Fall aber planen kann. Der Fisch soll viel schwimmen und wenig atmen. Will er flieht, lässt man ihn laufen, will er ruhen und atmen, dann stört man. Hinzu kommt ein psychologischer Effekt, den Lee Wulff nicht müde wurde zu betonen. Lee war 1964 sozusagen Gründungsmitglied des „Sixteen-Twenty-Clubs“ am Moisie. Um Mitglied zu werden, musste man einen 20 Pound Lachs auf eine 16er Fliege fangen. Erstes Mitglied war Alain Prefontaine, Lee Wulff gelang der Stunt als Zweitem, Lucien Rolland war Dritter. Für einen üblichen Drill rechnete Lee Wulff sonst mit einer halben Minute pro Pound an seiner kurzen Gespließten, brauchte aber mit der 16er Fliege eher die doppelte Zeit. Man müsse so drillen, dass man den Herzschlag des Fisches spüre, erzählte er. Nach seiner Meinung gibt ein Fisch eher auf, wenn er sich chancenlos fühlt. Das hat er bis hinunter zum 28er Haken erprobt. Da ich selbst noch zum „Eight-Twenty-Club“ gehöre, 20 lbs. auf einen Achter hatte ich schon, und auch keine Neigung habe, mit kleinen Haken zu obsiegen, kann ich das nur so wiedergeben. In jedem Fall ist der aktive und störende Drill sicher der beste Weg. Das Ergebnis ist auch hier Anoxie, Milchsäureabbau und Rückbau und die aerobe Verbrennung werden stark gehemmt. Der Fisch wird „sauer“ und muss aufgeben. Das klingt zwar sehr rücksichtlos, ist es aber gar nicht. Verzärtelt drillen ist viel schlimmer. Mit einer möglichst schnellen Kescherlandung im mindestens knietiefen Wasser wird der Fisch letztlich gefangen. Man hebt den Rahmen über die Wasseroberfläche und hält Netz und Fisch im Wasser. Dann entfernt man den Haken und schätzt Länge und Gewicht. Das geht sehr gut mit dem Rutengriff. Oft hat der Fisch dann schon im Kescher etwas durchgeatmet und hat seine aufrechte Schwimmhaltung wieder. Man hält ihn mit dem Kescher in eine mittlere Strömung und unterstützt, wenn nötig, mit einer Hand die Schwimmlage. Dann senkt man den vorderen Rahmen und lässt den Fisch ausschwimmen. So die Theorie. Ich weiß natürlich auch, dass man im Gegenteil meist mitten in einem Geplatsche steht und der Fisch schreckhaft mit Sprühwasser zurück in die Freiheit flitzte. Der Plan ist ja nur ein Grundsatz.
Ingo Karwath