Hahn in Ruh‘

Das Ergebnis einer 5-Uhr-Club Bindewoche sind 55 Nymphen. Die Lücken muss ich noch füllen. Das Foto hab‘ ich mit dem Handy gemacht. So ganz authentisch um 6 Uhr in der Früh.

Den letzten Tag der Zandersaison hab‘ ich verpasst, weil ich mit meinem operierten Knie nicht über den Zaun kam. Jasper hatte zwar vorgeschlagen mir einen Tritt zu bauen, aber man muss ja auch mal loslassen können. Mit dem VISpas könnte ich in Holland fischen, dem Land der anglerischen Selbstdarsteller, die mit ihren Videos den deutschen Markt bestellen, aber ich bin mehr so der regionale Typ. Von der Haustür weg bin ich in 15 Minuten am Wasser. Außerdem tut eine Zwangspause auch mal ganz gut. Im Gegensatz zur Jagd ist bei uns Fliegenbindern ja Hahn in Ruh‘ nicht so das Thema, denn je ruhiger die Saison, umso mehr geht es den Hähnen am Bindetisch an den teuren Kragen. Die Lücken in den Fliegendosen sind meist augenfällig, und so ist der Februar/März vielleicht die beste Zeit, daran etwas zu ändern. Die einschlägigen Lifestyle Magazine waren zum Jahresanfang voll mit atemlosen Ideen, mit welchen Veränderungen wir unser Leben in bessere Bahnen lenken können. Besonders amüsant fand ich den Einfall, die senile Bettflucht nun den 5-Uhr-Club zu nennen. Dazu steht man um 5 Uhr in der Früh auf, macht zwanzig Minuten Sport, liest zwanzig Minuten und lernt zwanzig Minuten etwas Neues. Das klingt zunächst wie eine dieser typischen Ideen von und für Klopapiereinzelblattabreißer, könnte aber übertragen auf das Fliegenbinden sehr ertragreich sein. 20 Minuten Trockenfliegen binden, 20 Minuten Nymphen binden, 20 Minuten Streamer binden für 7 Tage, das müsste doch den Dosen einen mächtigen Schub geben. Andererseits könnte man auch 20 Minuten binden, 20 Minuten Dänisch lernen und 20 Minuten Yoga machen. Das wäre näher am Original. Aber ich bin schwach auf der Brust bei den modernen Nymphen, also sollte ich eine Woche lang einfach nur Nymphen binden. Ich habe das im Selbstversuch erprobt, und das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen, aber ich schlafe eigentlich recht gern und habe auch sonst keine Lebensprobleme. Mich selbst zu optimieren treibt mich nicht an, und ich eutrophiere gut gelaunt vor mich hin. Also bin ich aus dem Club nach sieben Tagen wieder ausgetreten. Trotzdem erstaunlich, was man in so einer Extrastunde alles schafft. Wie ich aber an meinen Schwiegereltern sehen kann, er 94, sie 87, gehen die Bewohner im Altenzentrum alle so gegen 18 Uhr ins Bett und sagen sich Gute Nacht. Kurz vor Mitternacht geistern die ersten schon wieder auf den Fluren herum, und da uns dieses Schicksal wohl allen blüht, werde ich jedenfalls an meinem guten Nachtschlaf von zehn bis sieben nichts mutwillig ändern. Das muss man auch gar nicht. Gerade die Wartezeit auf das Frühjahr ist unsere genussreichste Tüddelzeit, da kann man auch mal sein ganzes Tackle aus den Ecken hervorholen und damit spielen. Die Grundidee kann wohl mal gewesen sein, dass man seine Ausrüstung ordnen möchte, aber hat man lange Jahre geangelt, würde selbst eine völlig schlaflose Schonzeit nicht ausreichen, um dieses Ziel zu erreichen. Es ist eher so, dass man der Angelzeug-Sedimentation eine Schichtung geben kann, mit der man später einen gesuchten Gegenstand wiederfinden kann, vor allem weil man weiß, dass man ihn hat. Bei den Fliegen habe ich Altbestände früher immer zu Udos Auktionen gegeben, darum sind meine Fliegendosen in einem ordentlichen Zustand. Natürlich habe ich Gläser und Schubladen, in denen ich Bindeversuche verschwinden lasse, und bei den heutigen Hakenpreisen kommt man auf die Idee, die Muster wieder auszuziehen. Aber meine Fliegen sind so haltbar, dass das wenig Freude macht. In der Früh aufzustehen und etwas so Destruktives zu tun gibt ein schlechtes Karma für den ganzen Tag. Der einzige Grund früh aus dem Bett zu steigen ist angeln zu gehen. Am Ende einer Saison wünsche ich mir immer ich hätte es häufiger gemacht. In die Richtung würde ich im 5-Uhr-Club wohl mitmachen. Unregelmäßig. Neulich in Kiel machte ich einen Erstversuch unten vor dem Maritim. Tagsüber Tochter und Enkel, vor dem Frühstück Fliegenfischen, das hatte was. Fisch gab‘s nicht, aber good vibrations.

Ingo Karwath