Rügen im Mai

Die Saison 22 auf Rügen zu starten, bei Sonnenschein und leichtem Westwind – was für ein Geschenk.

1. Mai. Schneidertag. Immerhin Matjes.

Am 1. Mai auf Rügen zu schneidern, dass muss man erst mal hinbekommen, aber dieses Jahr ist es mir mühevoll gelungen. Ich war an vier bekannten Stellen insgesamt 12 Stunden im Wasser und habe fleißig gefischt, habe Hechte beim Waten vertreten, habe sie überleint und erschreckt, hatte Nachläufer, einen Rupfer und einen festen Kontakt, aber der einzige Fisch, dem ich an diesem Tag näher gekommen bin, war der Matjes in Schillings Gasthof in Scharprode. Da bin ich einfach zu gerne. Dazu ein Störtebecker Kellerbier und einen Hiddensee Aquavit. Angeln ist ja so viel mehr als nur Fische zu fangen, aber mal ehrlich, im Kern ist es Fische fangen. In den Schlaf geweint habe ich mich dann letztlich doch nicht, aber nach all den Hoffnungen vom Januar bis jetzt hätte ich ganz gern gedrillt heute. Es ist ja ermüdend wenn alte Kerle von den guten alten Zeiten erzählen, aber früher habe ich nach dem ersten Mai auf Rügen immer lügen müssen. Die Zahlen der Bisse, der Nachläufer, der Drills und der Landungen waren so unglaubwürdig hoch, das konnte man im Interesse der eigenen Glaubwürdigkeit keinem erzählen. Ich hatte mal einen Tag mit so vielen Hechten, dass ich es mir im Nachhinein fast selbst nicht geglaubt hätte. Also habe ich das nach unten korrigiert, damit ich es überhaupt berichten konnte. So ein Dutzend Bisse und acht Hechte bis zur Hand, an einem Tag!, das konnte man sagen, aber es war ein Vielfaches.

2. Mai. Vier Hechte. Ich kann’s noch. Gebratener Dorsch.

Diese Art Korrekturen waren am 1.5.2022 nicht nötig. Ich hab’ vier Hechte vertreten, drei überleint, hatte drei Nachläufer und zwei Bisse. Und keinen Fisch berührt. Der 2. Mai gestaltete sich besser, und ich hatte zwei Hechte zur Hand am Vormittag und zwei am Abend. Vier also, so zwischen 70 und 80 cm, und die Welt war wieder in Ordnung. Und die üblichen Wirbel und Platscher ohne Ergebnis. Aufregend genug. Die Kollegen um mich herum fingen mit dem leichten Ondex Spinner, und am Ufer wurde eifrig filetiert und geschuppt. Einer erklärte mir, die Hechte werden wegen der vielen Touristenfischer immer weniger, aber dem Argument fehlte die Kraft, denn außer mir war da keiner und die sechs blauen Tüten mit den langen Filets verschwanden in regionalen Kofferräumen. Die Fische waren wirklich ausnehmend schön dieses Jahr, mit kleinen Köpfen, und da wo ein Hals sein könnte, verdickten sich die Körper zu einem breitrückigen Fisch. War wohl ein guter Winter für Räuber. Sie kämpfen auch gut und sprangen im Drill, und waren auch farblich eine Zierde ihrer Art.

3. Mai. Vier Hechte. Schillings hat Ruhetag. Lunch in Sassnitz.

Ganz im Gegensatz zu mir, denn die Waterei auf den weichen Böden und die rhythmische Bewegung einer Sage Pike mit einer Billy Pate Bonefish Rolle machen im Alter ganz schön platt nach zehn, zwölf Stunden im Wasser. Mir war aufgefallen, dass die Hechte sich anscheinend vor Flasahbou erschrecken, und hatte die langen Glitzerfäden aus meinem weißen Le Broc Streamer rausgeschnitten. Ab da lief es ganz gut für mich. Noch besser war dann die Schwarze Hechtbürste, aber so richtig inhaliert wurde die auch nicht. Ich brauchte nicht einmal die Zange, konnte bei jedem Hecht die Fliege greifen und im Wasser aushaken. Sehr bequem. Ein paar Verluste hatte ich auch. Im Randwasser, so fiel mir auf, gab es deutlich mehr Stichlinge als früher. Außerdem hatte ich keinen Barsch gefangen, und immer mal einen zu haken war früher ebenfalls normal. Weniger Barsche, mehr Stichlinge, zu viel Entnahme, man muss kein großer Seher sein, um zu sehen in welche Richtung das geht.

4. Mai. Ausflug nach Stralsund. Zwei Hechte am Abend.
Im Ozeaneum ’nur‘ Zander.

Ich wäre für ein Schonmaß von 80 cm. Alles über 80 muss wieder schwimmen. Aber mit der Meinung ist man, wenn auch unter Fliegenfischern sicher kritiklos akzeptiert, hier wohl ein Rufer in der Wüste. Die Bestände nehmen deutlich ab, und ich würde so gern Unrecht haben. Am 3. Mai fing ich wieder vier, gleiche Größe, zwischen 70 und 80, und alles auf die schwarze Bürste. Am Abend kämpfte einer praktisch nur in der Luft und war minutenschnell platt. Das hatte was. Schillings hat Dienstag Ruhetag und ich aß bei Kutterfisch in Sassnitz, was auch lecker war. Am 4. Mai verbrachte ich den Vormittag in Stralsund und hab’ im Ozeaneum Fische geguckt. Die hatten keinen Hecht im Aquarium. Schade!

Die „Schwarze Hechtbürste“, mal wieder.

Da der halbe Tag fehlte, fehlte auch der halbe Fang, und ich konnte nur zwei Hechte verbuchen. Erneut die bekannte Größe und sehr fit. Schillings hatte wieder geöffnet, und mir stand der Sinn nach einem Steak, aber ich bekam keins. Konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass zwar sehr wohl Filet im Vorrat war, aber schon für den kommenden Muttertag zurückgehalten wurde. Der Kellner sagte ja zum Steak, die Küche sagte nein. Aber der Backfisch war hervorragend und ich nehme das nicht übel. Wer bin ich schon gegen eine Mutter, die zum Essen eingeladen wird. Der 5. Mai war dann schon mein letzter Tag und ergab einen verschneiderten Vormittag. Die Abendsession, nach Fish and Chips bei Schillings, erbrachte aber wieder zwei gute Hechte. Morgen ist leider alles vorbei und die Rückfahrt steht an. 500 Kilometer zurück, zwölf schöne Hechte gefangen, bei Kaiserwetter und mildem Westwind, bestens gegessen und die Nase verbrannt, doch, das ist eine Hechtreise, von der man erzählen kann. Besser geht ja immer, aber wie jeder Angelreisende weiß, schlechter auch.

5. Mai. Letzter Tag. Zwei Hechte. Backfisch zum Abschied.

Ingo Karwath