Die „Gilled Nymph“ von Shane Stalcup.
„Nymphs“, das wirklich großartige Nymphenbuch von Ernest Schwiebert, hat sich einst schwere Kritik zugezogen, weil kaum einmal eine Seite vergeht, ohne dass man von irgendwelchen Luxusgegenständen lesen muss, die er bei sich hat. Da hat sich wohl einiger Neid entwickelt, aber ich war damals als Leser zu jung, um mir über Leica oder Gewürztraminer Gedanken zu machen. Das Buch beginnt mit großen Steinfliegen und leitet einen dann von Nymphe zu Nymphe, von Traumwasser zu Traumwasser. Garrison, Payne und Young liefern die Ruten dazu. Den Madison in Montana und den Malleo in Argentinien hätte ich ja auch gern befischt, aber solche Träume standen noch nicht zur Debatte. Das Buch beginnt allerdings mit einer Erinnerung an die Lauterach in Bayern. Schwieberts Vater war nach dem Krieg in der amerikanischen Verwaltung in Bayern tätig und der sehr junge Ernest hatte die Gelegenheit, an schönsten Gewässern zu fischen. Die ganze Geschichte über den alten Lagelträger an der Lauterach wirkt ein wenig montiert, eine Prise Skues und eine Wirtshausgestalt, aber das ist in der Fischschreiberei ja eine gute Tradition. Ereignisse, die letztlich stimmen, werden verdichtet, obwohl sie womöglich nicht an einem Tag, sondern in Wochen an verschiedenen Orten passierten. So what? Im Kern geht es um die simplen Nymphen des alten Angelführers und seinen Ratschlag die Nymphe quer stromab in der Strömung ein wenig arbeiten zu lassen. Damit imitiert man die schwimmenden Nymphen der Siphlonurus, und es kommt wie es kommen muss, auf einen weiten Wurf mit seiner „Granger“ Gespließten packt eine prächtige Bachforelle zu und gibt der Geschichte ein erfolgreiches Ende.
Die rauh gedubbten Nymphen des alten Bayern würden sicher auch heute noch fangen, aber für die Imitation schwimmender Nymphen haben sich die „Gilled Nymphs“ bewährt. Man kann sie nicht als Muster bewerten, sondern muss wohl eher von einer Gruppe sprechen. Die Bauweise ist jedoch immer wieder gleich und kann dann im Thoraxbereich variiert werden. Für die Flügelköcher sind verschiedene Materialien denkbar. Modern sind verschiedene Folien und sogar Flash, aber es geht auch klassisch mit Federfibern. Man kann beruhigt davon ausgehen, dass alle Bindeweisen die Fische überzeugen können. Ob die eine oder andere Folie besser ist oder ob ein Flasakzent mittig darüber das noch toppt, muss man selbst erproben und für sich entscheiden. Entscheidend ist vermutlich eher die Führung der Nymphe, die von sehr traditionellen Fischern als verkappter Streamer bewertet wird. Die imitativ richtige Führung ist nämlich in der Tat, die Nymphe quer stromab zu werfen und mit der Rutenspitze durch die Strömung zum eigenen Ufer zu zubbeln. Das kann je nach Bindeweise einem Streamer recht nahe kommen, und dort, wo Fischchenfliegen verboten sind, ist man völlig legal in einem Grenzbereich unterwegs. Die Nymphe fängt auch dann, wenn die Forellen seit Tagen keine Siphlonurus mehr gesehen haben.
Obwohl im Grundsatz ein „grassroot“ Muster, wird die hier vorgestellte „Gilled Nymph“ Shane Stalcup zugerechnet. Das für den Flügelköcher nötige „Medallion Sheeting“ ist ebenfalls seine Erfindung. Shane Stalcup ist 2011 mit nur 48 Jahren verstorben. Sein Material verschwand in der Folge vom Markt, wurde aber wiederentdeckt und erneut produziert. Es ist vergleichsweise teuer, lässt sich aber nur schwer mit anderen Materialien ersetzen. Kunstbast und Pantone Pen erzeugen jedoch eine prima Fälschung. Will man die echten „Stalcups“ binden, muss man es besorgen. Für meine eigenen Muster bin ich durchaus auch mit Federsegmenten glücklich. Aber durch die vielen Jahre der Binderei habe ich eine ganze Kiste mit verschiedenen Kunststoffen. Die kommen und gehen wie Sommerhits. Da fand sich natürlich auch „Medallion“, und darum habe ich das Muster mit dem wahren, echten Stoff gebunden. Das finde ich dem Gedenken an Shane Stalcup auch angemessen, aber wie man sehen kann, wäre ein Federsegment auch für die klügste aller klugen Bachforellen nicht zu unterscheiden. Zupft man eine „Gilled Nymph“ durch ihre Angriffszone wird sie bestimmt nicht denken: Ach, der alte Knicker, hat er sich das Geld für Medallion gespart und ’ne alte Rebhuhnfeder genommen!
Ingo Karwath