Eine angenommene Konkurrenz, selbst wo sie nicht vorhanden ist, kann zu Erkenntnissen führen. Darum beginnt hier die Artikelserie „versus“.
„Quigley’s Cripple“ vs. „Missing Link“. Runde 1: Der Name.
Die Fliege „Quigleys Cripple“ zu nennen war 1978 eine etwas unbedarfte Entscheidung, die ein Marketing Experte vermutlich damals schon korrigiert hätte. Krüppel ist eines der härtesten, der traurigsten Schimpfworte unserer Sprache, und verhindert den sympathischen Kontakt zu dieser Fliege. Als Zweitname hat sich „Quigleys Emerger“ etabliert, eine deutlich bessere Ansprache, wenn auch allgemeiner. So in die Jahre gekommen könnte man auch nur „Quigleys“ sagen, was mir persönlich am besten gefällt. Die „Quigleys“ ist in den Medien deutlich mehr vertreten als die „Missing Link“. Sie hatte einfach mehr Zeit.„Missing Link“ ist als Name schlicht und einfach genial. Man könnte lange, lange, sehr lange nachdenken und findet nichts besseres. Besonders wenn man ihren anfänglichen Spitznamen bedenkt, denn der war „Cadaver Caddis“. Das toppt selbst Krüppel. Der Begriff vom fehlende Bindeglied geht auf den englischen Geologen George Lyell zurück und wurde von Darwin, Huxley und Haeckel in den wissenschaftlichen Diskurs übernommen. Obwohl wir natürlich ganz viele Fliegen haben, die den simplen Übergang von der Nymphe zum geflügelten Insekt prima darstellen, ist die Assoziation zum Bindeglied zwischen Affe und Mensch, ein Gral der Forschung, von enormer positiver Wirkung. Die „Missing Link“ ist nicht den Kernerweg durch Magazine und Shows gegangen und war gleich auf der großen Bühne.
Runde 2: Die Story
Bob Quigley hat in den 70er Jahren mit dem Muster experimentiert und kam damit wohl 1978 an die Öffentlichkeit. Sein Labor war der Fall River in Kalifornien, der für schwierige Forellen und „Match the Hatch“ bekannt ist. Damals waren Magazine und Conclaves der einzige Weg eine Fliege bekannt zu machen. Bücher und Videos nicht minder, und auch der Handel und seine wunderbaren Kataloge hatten Wirkung. Verglichen zum Internet also eine ganz andere Zeit, mehr so eine Pony Express Verbreitung. Die von Bob Quigley erfundenen Fliegen wurden als „Signature Flies“ von Idlewilde Flies vermarktet. Letztlich auch eine bahnbrechende Entwicklung, denkt man an die Fliegenvermarkter und Vertragsbinder heutiger Tage. So gesehen hat die „Quigley“ natürlich viel mehr Kraft mal Weg hinter sich als die „Missing Link“. Die „Missing Link“ ist nach einem frustrierenden Abend am Lower Sacramento im Verlaufe einer Bindenacht entstanden. Obwohl die Fischerei tagsüber gut war, holte sich Mike Mercer beim abendlichen Köcherfliegenschlupf eine Abfuhr. Also setzte er sich hin und erfand eine neue Fliege. Der in den USA unübliche Seidenkörper mit der Flashrippung war eine Entscheidung, der Thorax zum Splitten der Flügel und die Z-lon-Flügel eine weitere, und der Haarflügel als Basis für die Parachutehechel war letztlich der größte Wurf dieser Nacht. Gleich am anderen Tag fing die Fliege jeden Fisch, der am Vorabend noch unfangbar war und nahm ihren Weg in die Berühmtheit. Der Name ist wie schon gesagt genial, und dass inzwischen erfundene Internet sowie die Struktur des modernen Bindehandels puschten das Muster an die Spitze der Emerger.
Runde 3: Der Haken
Für die „Missing Link“ wird explizit der Tiemco 102Y in den Größen 11 bis 19 empfohlen. Er hat eine etwas kürzere Spitze. Für die „Quigleys“ soll man den TMC 100 in 12 bis 22 verwenden. Die Hakenempfehlung ist oft damit verbunden, mit welcher Hakenfirma der Fliegenerfinder einen Vertrag hat und mit welcher nicht. Sie lässt auch außer Acht, dass neue Modelle oder sogar ganz neue Firmen entstehen. Man muss außerdem bedenken, dass Gewässer und Forellen unterschiedlich gewalttätig sind. Mein erster Angeltag am Madison war von gerade gebogenen Hamilton Haken geprägt, mit denen ich in Europa jahrelang nie ein Problem hatte. Ich gehe darum davon aus, dass ein Fliegenbinder, der sich mit solchen feinen Unterschieden wie den hier genannten befassen mag, seinen Haken sehr wohl allein aussuchen kann. Aber mit TMC zu beginnen ist eine gute Wahl.
Runde 4: Die Bindetechnik
„Quigleys Cripple“ ist eine strukturierte Fliege, die vergleichsweise einfach zu binden ist. Schwanz und Körper entstehen aus dem gleichen, einmal eingebundenen Material, ähnlich wie bei der „Pheasant Tail“. Der Schwanz, eigentlich ja die Nymphenhülle, und der Körper lassen vielfältige Variationen zu und sind als Angebot einer bestimmten Farbe, einer bestimmten Art, stiller und doch auffälliger und eindeutiger als der Körper der „Missing Link“. Hat man das Marabou verarbeitet und überrippt, macht der kleine Thorax kein Problem und entlässt einen aus der Mühe, den Körper schön abschließen zu müssen, denn er überdeckt den Endansatz. Der Thorax hat danach die Funktion, die unteren Enden der Hirschhaare etwas aufzustellen. Die „Quigleys“ ist sehr viel toleranter gegen alle möglichen Haarqualitäten und lässt sich auch mit dem weichsten Rehhaar binden. Über den vorderen Winkel der Haare wird diskutiert, und ich wähle gern 45 Grad und fische die Fliege dann schlapp. Das Haar ist einfacher zu positionieren und ich stutze das Hinterende gern nach dem Bindevorgang. In die schmale Taille zwischen den Haaren windet man drei Wicklungen aufrechte Hechel. Vorsichtig einen Tropfen Lack einbringen und man ist fertig. Bei der „Missing“ darf man nicht unterschätzen, dass die Bindeseide mit der Flashrippung, ja fast ein körperloser Ansatz, sehr effektiv das gasig diffuse eines Nymphenschlupfes darstellen. Ob weniger mehr ist oder mehr mehr kommt auf die Situation an. Nach einer anspruchslosen Zeit kommt ja oft der Moment, wo wir mit unseren erfolgsverwöhnten Mustern völlig versagen. Immer an diesen Stellen entwickelt sich Fliegenfischen weiter. Ich habe schon Stunden mit steigende Fischen verbracht und keinen gefangen. Das ist nicht wirklich schön, aber andererseits ja doch. Ich schweife ab. Sorry. Der kleine Thorax schließt auch hier den Körper ab und hebt die Hirschhaare später wie erwünscht in eine aufstrebende Position. Es ist eine gute Idee, den Z-lon Flügel schon unter dem Thorax anzulegen, und zwar nach vorn, und dann umzuklappen. So bleiben die vorderen 3 mm blank und frisch. Die Flügelchen etwas nach unten zeigen lassen, dann sind sie später nicht so im Weg. Bis dahin ist alles einfach. Die „Missing Link“ ist ab hier deutlich schwieriger zu binden und verlangt eine bestimmte Haarqualität. Man soll „hock“ verwenden, also Hirschhaare vom Bein, die insgesamt steifer und weniger hohl sind und sich als Post für die Parachutehechel besser eignen. Leider sind die oft zu kurz für Muster in Größe 12 oder 14. Hat man das Bündel eingebunden, mit drei bis 5 Wicklungen übereinander, nicht zu sehr nebeneinander, muss man die Hechel fünf Windungen um und unter beiden Büscheln winden. Mir fällt es dabei leichter, wenn ich die Enden vorher kürze. Dann hat man einen freien Blick und kann Hechel und Faden besser führen. Ist die „Missing“ fertig, muss man sie arrangieren, also Flügel und Kopf etwas trennen, und einen Tropfen Lack einsickern lassen. Der fixiert dann die Frisur. Als ich begonnen habe die Muster zu binden, gelang mir die „Quigley“ sofort, bei der „Link“ musste ich mich erst einbinden. Das spricht ein wenig für die „Missing Link“, denn schwierig ist gut.
Runde 5: Der Imitationswert
Die „Quigleys“ bietet den Forellen eine Nymphenhülle, einen Körper, einen Thorax, Flügel und Beine. Alle diese Teile kann man variieren, um sie bestimmten Bedingungen oder einem bestimmten Schlupf anzupassen. Wie ein geduldiger Fischerkollege ausgeforscht hat, besteht zwischen einer „Quigleys“ beim ersten Wurf und beim hundertsten ein wichtiger Unterschied, denn die Fliege neigt mit jedem Wurf mehr zum Eintauchen und bietet letztlich eine Schwimmlage an, bei der sie wie eine „Pont Audemer“ nur noch mit dem Flügel aus dem Wasser schaut. Diese beiden Zustände kann man nutzen, indem man einem schwierigen Fisch zunächst eine frische Fliege in die Bahn wirft, und wenn er die nicht mag, eine heftig gewässerte. Bei der „Missing Link“ kann man den Körper variieren, der eigentlich eine verlassene Hülle sein soll, den Thorax und die Seitenflügel, den Flügel und die Hechel. Das sind die gleichen fünf Punkte wie oben, und eigentlich sind die Seitenflügel doch auch eher Teil einer Nymphenhülle als reelle Flügel. Das ist ein Gleichstand, und ob die Fische lieber das matte Marabou wollen oder die glitzernden Fibern ist wohl eine Frage der Tagesform. Die „Missing Link“ schwimmt allerdings viel stabiler und sinkt weniger ein. Serviert man sie stromab und nimmt an, dass die mit dem Hakenbogen zum Fisch ankommt, sieht dieser eher mehr vom Flügel, weil der ja nach hinten zeigt. Der Fensterreiz könnte also eher oder anders ausgelöst werden. Aber unter dem Strich tun sich die beiden Muster nix, sie sind so imitativ wie man sie haben möchte.
And the winner is…
Kann die eine fangen, was die andere nicht fängt, und umgekehrt, und welche ist also besser? Wie wäre es mit ja, ja, keine. Nicht gut, oder. Wie jeder Forellen-und Äschenfischer weiß, können die Fische selbst in der Wildnis ganz eigenartige Vorlieben entwickeln, und am vielbefischten Vereinswasser sogar noch klüger werden. Verändert man die Frage und fragt, ob sie besser sind als eine „Buck Caddis“, kommt man da schon an Grenzen, denn eine fast verfischte „Buck Caddis“ ist sozusagen die Urmutter dieser Enkel. Sie hat kaum noch Hecheln am Leib und die Haare haben auch keine Richtung mehr, und das fängt bekanntlich. Ich führe beide Muster und konnte bisher keine Situation erleben, wo die eine die andere ganz eindeutig ausstach. Je mehr das Wasser fließt, je lieber ist mir die „Missing Link“. Ich fische sie sozusagen nur trocken. Ist das Wasser stiller, und habe ich den Eindruck, ich habe mehr Wallungen als Ringe, im Englischen „bulge“, knote ich die „Quigleys“ an. Auch am See, immer lieber das ältere Muster. Ich kenne keinen Emerger, der so gut ist wie die „Quigleys“, aber viele Trockenfliegen, die auf Augenhöhe mit der „Missing Link“ konkurrieren. Müsste ich mich entscheiden, wäre darum zu 51% die „Quigleys“ meine Wahl. Sie wissen ja, 51% sind das Fundament jeder guten Ehe. Die anderen 49% wandern in den Topf der offenen Ehe. Au weiha!
Ingo Karwath