House of the rising sun

Wie man mit einer dänischen Hütte umgeht

Ein Geschenk des Meeres. Kann man auch mal annehmen.

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er viel erleben. Oder auch nicht. Über die Zahl misslungener Angelurlaube gibt es keine Statistik. Wird es auch nie geben, denn wir sind nicht ehrlich. Anglerlatein bezieht sich ja nicht nur auf Zentimeter und Pfund, sondern schlechthin auf alle Umstände einer Angelreise. Und so wie Fische immer größer, schwerer und auch zahlreicher werden, werden Umstände stetig besser, ja geradezu rosig. Fünf Tage Orkan, auf Rügen, sechs Tage Hochwasser, in Österreich, sieben Tage gar kein Wasser, Norwegen, Lebensmittelvergiftung auf dem Hinweg, Beinbruch am ersten Tag, Raubüberfall beim Zwischenstopp, die Liste ist endlos. Das Vergessen gnädig. Meine Top 3 sind: Kein Wasser, gar kein Wasser und Angelverbot, und Arctic Bomb über BC mit 15 Grad minus Anfang Oktober. Ich habe daraus zwei Schlüsse gezogen. Je mehr man investiert, umso schlimmer zerlegt es einen. Und bucht man alternativlos, desto betrüblicher kann es werden. Sicher hat schon mancher von uns den Hausarzt bemüht, um aus einer Buchungszwickmühle zu entkommen. Aber das behalten wir mal für uns, denn jetzt geht die Sonne auf, und zwar über einer Hütte in Dänemark. Mit keiner anderen Reiseform habe ich so viel Erfahrung, und die gebe ich hier mal zum Besten. Das Reiseland Dänemark kennt die Buchungssaisons A+ bis F, und das bedeutet, dass wir ein 2200 Euro Ferienhaus aus der A+ Zeit für 570 Euro in der F Zeit bekommen, und die F Zeit kann sehr gut für Meerforellen sein. Im Sommer haben wir keine Chance auf das Haus, denn es ist ausgebucht. Aber Familien buchen meist zwei Wochen, und so kommt es bei einzelnen Objekten zu Leerständen, weil sich eine Einzelwoche zwischen den Buchungen nur schwer verkaufen lässt. Da gibt es last minute Prozente, die ganz hübsch sind. Bucht man sich ein Ferienhaus lange vorher, kann man wind- und wettertechnisch enorm ins Klo greifen. Also buche ich nur dann, wenn ich über DMI informiert bin, was mich erwartet. Nehmen wir an wir haben April, Ostern ist gelaufen, noch zwei Wochen F Saison, ich bekomme ein Luxushaus für kleines Geld und kann mit mildem Westwind und so um die 14 Grad rechnen. Jetzt legt man los: Klick. Haus buchen. Da geht schon mal nichts schief. Manche verfallen jetzt in den Irrtum, sie müssten diese Reise bei Aldi oder Lidl oder Netto vorbereiten und beginnen mit dem Ankauf von Vorräten. Ja klar ist in Dänemark alles teuerer, so um die 20%, aber das holt man wieder rein, weil man den Bedarf JIT oder gar JIS, just in time oder just in sequenz, Frühstück, deckt. So ein Super Brugsen ist für einen einkaufenden Lustmolch wie mich ein Paradies, nicht ganz so toll wie Leclerc in Frankreich, aber auf andere Art gut. Wein, Bier, Kräuter, Biofleisch, Grönland-Fisch, Milchprodukte, das Mexikoregal, das Indienregal, der Thai- und Chinabereich, das lässt man sich alles entgehen, wenn man mit Industriebier und Feuertopf anreist. Da man den Schlüssel erst um 15 Uhr bekommt, kann man die erste Wochenhälfte oft gleich am Samstag kulinarisch abdecken. Obwohl natürlich ernährungstechnisch eher untergeordnet wichtig zuerst zum Regal mit den Bierspezialitäten. Dänemark hat über 130 Brauereien! Dann der übliche Einkauf. Kartoffeln, Zitronen und Dill nicht vergessen. Zur Meerforelle. Butterschmalz von daheim mitnehmen. Ist hier weniger bekannt. Heimatbäckerbrösel sind auch eine gute Idee. Und zuletzt eine Handvoll Toffees aus dem Frellsen Regal. Das ist die mit Kronen bezahlte Oberfläche meiner Kulinarik. Ich habe natürlich ein paar Gläser Gulasch, Rouladen, Braten und eine Kiste Wein im Auto. Früher hatte ich sogar Kaminholz mit, heute nur noch den Feuchtetester von Stihl. Braende gibt es an jeder Ecke. Und ein gutes Buch muss mit. Und Musik und eine Boombox. Man kann vorher nicht wissen, wie man so drauf ist. Es gibt Wochen, in denen ich mich nicht vom Wasser lösen kann. Wie die Beduinen bei Saint-Exupéry. In so einer „seatrout bum“ Woche gibt es nur fischen und erschöpft schlafen. Das Ereignis hat mich aber länger nicht mehr ereilt. Vermutlich zu alt.

Das Bier ist so lala. Nicht gerade Craft. Das Picknick ist sonst okay.

Aber nun mal los zur Hütte. Den Schlüssel besorgen, alles reinschleppen, auspacken, zusammenbauen, vorbereiten. Dafür brauche ich nur Minuten. Mein Gepäck sind Zargesboxen, die packe ich nicht aus. Man kann aus ihnen leben wie aus einem Schrank. Bett bauen ist wichtig, und mir ist auch die Bettwäsche wichtig. Weichei. Diese kleinen Elektroöfen an der Wand kennen nur zwei Zustände. Zu kalt. Zu heiß. Schöne weiche Biberbettwäsche ist dann sehr willkommen. Tackle aufbauen ist auch nicht mein Thema. Die Ruten stecken fertig montiert in ihren Ruten-Rollen Rohren. Also anziehen und los, den ersten Spot versuchen. Dazu gibt es im Internet, in Broschüren und insbesondere in alten Ausgaben von „Fisk og Fri“, so man hat, so viele Informationen, dass das selbst für den Erstbesucher kein Problem sein sollte. Meerforellenfischen an sich ist total einfach. Sie durchschweben ihren Raum in teils großen Gruppen, und finden heißt fangen. Es gibt keine Expertise, die das ersetzt. Jahrzehnte von Erfahrung können nicht diesen Moment ersetzen, die Fische vor sich zu haben. Hat man sie gefunden, spielt Erfahrung eine Rolle. Ein Biss ist oft nicht die Entscheidung eines einzelnen Fisches für eine einzelne Fliege, sondern erfolgt aus einer Figuration des Tanzes, in der die Fische auf ihre Nachbarfische und die Fliege reagieren. Nicht zuletzt darum sind zwei Fliegen am Vorfach erfolgreich, weil sich zwei Tänzer einbringen und dann häufiger diese gemeinsamen Aktionen auslösen, die aus Nachlaufen, Nebenlaufen, Scheinangriffen, Abdrehen und zweiten Anläufen bestehen. Man kann den Biss mit Fliegen und Einholtechniken wahrscheinlicher machen, aber im Prinzip ist ein Meerforellenexperte nur ein Platzexperte. Die Kapriolen, auf die wir uns so viel einbilden, sind Schall und Rauch. Sind die Fische vor einem, wird der erfahrene Fischer auf lange Sicht etwas mehr fangen. Aber jeder Ostseeneuling, der mit Sehnsucht nach diesen Fischen womöglich aus Salzburg angereist ist, wird mehr fangen als jeder Experte, wenn er die Fische findet, und der eben nicht. Ausdauer, Platzwechsel, Fernglas, Autos ausspähen, Ohren aufhalten, aber auch moderne Technik wie ein Deeper werden da helfen. Von mir schon mal tight lines! Mein Kriterium für eine gute Woche sind ein paar Fische und einer über 60. Ein Mitte 50er für die Küche ist auch schön. Man sieht viele Fotos von sehr schlanken Fischen, die silbrig sind und eine dunkle Mütze aufhaben. Das sind Kelts. Freilassen. Eine fitte Meerforelle ist dick und rund und wiegt bei 50 cm gute drei Pfund. Die wollen wir. Ist man schon einmal vor Ort, sollte man Fahrten bis 50 Kilometer oder auch mehr akzeptieren. Ich versuche das zu vermeiden und bin gern standorttreu, aber alle Ratschläge sprechen dagegen. Stellentipps aus Angelläden sind mit Vorsicht zu genießen. Die haben einen inneren Kreis, einen inneren inneren Kreis, und da noch so einen klitzekleinen Kreis mitten drin. Die Infos für Kunden sind eher so allgemein. Ich mag mich gern allein mit Problemen auseinandersetzen und habe so schon supertolle Stellen gefunden. Das kann einem keiner abnehmen. So eine Woche vergeht wie im Fluge, und ich versuche einmal zu Go Fishing zu fahren, ein Steak im Hereford zu essen, und vielleicht einen Jazzabend irgendwo zu finden. Aber das sind so meine persönlichen Macken. Am Samstag ist die Woche um, immer mit Endreinigung buchen, und häufiger als nicht ist der Samstag vom Wetter her ein Traumtag. Diese kleine Gemeinheit hat mir Dänemark oft mit auf den Weg gegeben, aber ich komm‘ ja auch wieder.

Das ist ein Kelt. Schon wieder hübsch, nur noch wenig Farbe am Kopf, aber viel zu dünn. Er liegt auf Tang im Wasser, aber das ist unsichtbar klar.

Ingo Karwath