Drei Daddys im Bad

Bei uns im Norden fegen gerade Stürme über das Land und es tropft aus den vollen Dachrinnen. Da muss ich wohl mal mit der Leiter ran und Blätter entfernen. Das Anknoten einer Trockenfliege ist nur noch eine Erinnerung.

Kein Herbst ohne Daddy.

Forellenfischer werden das gar nicht kennen, aber Lachsanglern überall auf der Welt ist es vertraut. Geht ein Lachsangler ans Wasser, dann in der Regel wie ein Labrador nach acht Stunden im Wohnzimmer. Fröhlicher Blick, fester Gang, gerader Rücken, die Rute wippt im Takt der Schritte energisch vor sich hin, Spitze zum Fluss gerichtet, man spürt die feste Zuversicht. Kommt derselbe Lachsangler nach acht Stunden zurück, wirkt er eher gebeugt, erschöpft, die Rute wippt müde, ihre Spitze zeigt zum Parkplatz. Der fünfte Tag ohne Fisch ist vorüber. Mann wie Flasche leer. Dem Forellenfischer ist das gar nicht vertraut, weil er ja doch meistens was fängt. Der Gang eines Fischers hin zum Wasser erinnert an den Gang der Kinobesucher nach James Bond, nach John Wick, nach Robert McCall, wenn alle Männer aus dem Kino kommen, als wären sie etwas härter als beim Eintritt. Etwas größer, etwas stärker. Sich zu identifizieren ist schon ein Vergnügen, und bei unseren Ausflügen an Eder, Oder oder Diemel pflegte der Udo gern zu fragen: Wer bist du heute? Und ich sagte nicht selten: Ernest! Arnold! Oder Charles! Die Wahl hatte Konsequenzen. Als Charles Ritz musste man natürlich französische Muster fischen. Als Arnold Gingrich auf Nachfrage geschmeidig aus unserer Literatur zitieren. Als Ernest Schwiebert viel über Wein und Käse reden. Aber „Big E“, wie man ihn wegen seines Egos despektierlich nannte, war schon ein kompletter Fischer. Wie man in den zwei Bänden von „Trout“ nachlesen kann, hatte Schwiebert wenig Mut zur Lücke. Er wusste viel, fast alles, und konnte viel. Und es war natürlich komisch, wenn der Ingo-Ernest dann andauernd Baumhänger hatte. Und mit 25 von Wein und Käse ja nur eine Anfangsahnung pflegte. Ich war trotzdem ein Fan von Ernie. Eine meine Lieblingsgeschichten von Schwiebert ist die über den Buttonwood Pool. An einem sonnigen Morgen geht er der Pfad zum Slide und Buttonwood Pool und findet ihn von der Spinne versperrt. „The textbook precision of the spider’s work caused me to stop. Its silken geometry was wonderful, glowing brightly in the sun. Since I was grateful to the spider for its judgement about the weather, and that no one else had fished the pool, I circled cautiously past its web“. Schwiebert, The spider at buttonwood pool, A River for Christmas 1988. Aber der Morgen entwickelt sich nicht wie gehofft, trotz der Frühlingssonne, der Ephemerella Schlupf bleibt spärlich. Unser Angler fängt zwei Forellen. Und kommt auf dem Rückweg wieder an der Spinne vorbei. „It was greedily devouring a mayfly freshly trapped in its delicate traceries, and most spiders have a better thing to do than waste a morning’s work in idle talk about fishing“. 

Mit so einer klassischen Story kann ich hier nicht aufwarten, aber bei uns waren neulich drei Daddys im Bad. Jedes Jahr im Herbst begegnet mir das Daddy Long Leg Phänomen. Mal sitzen sie auf der klammen Hintertür, mal verfliegen sie sich in die Küche, und ja, auch in Spinnennetzen habe ich sie schon bemerkt, oder sie hocken mit mehreren unter der Außenlaterne. Tipula, vermutlich paludosa oder czizeki, die Wiesen- und die Herbstschnake, deren Flugzeiten sich überschneiden. Dann folgt unabänderlich ein Ritual, das ich jedes Jahr vollziehe. Ich packe eine 6er Rute ein, eine Rolle mit Schwimmschnur, ein paar Vorfächer und Nylon, und eine 6fach Dewitt mit „Daddy Long Legs“. Keine andere Fliege kommt mit. Sonst wird das kein reiner Kram und ich knote garantiert eine Nymphe in den Hakenbogen. Ein „Buzzer“ 10 cm unter einem „Daddy“ ist sehr fängig. Verhindert aber, worauf ich scharf bin, den Daddy Ring. So wie das Jahr einer Frau erst vollkommen ist, wenn sie ein Paar zu kleine Schuhe kaufte, ist meines erst vollkommen mit einer Forelle auf „Daddy Long Leg“. Und da ich dieses Herbstritual seit über 40 Jahren beharrlich pflege, regional und auf Besatzfische, möchte ich behaupten, früher war nicht nur mehr Lametta, früher stiegen die Fische auch besser. Ich nehme an, die Umstände der Zucht und die artenärmer werdende Natur haben dazu geführt, dass Forellen sich nicht mehr mit schwimmender Naturnahrung befassen mögen. Man sieht sie unter der Fliege schwimmen und sie steigen nicht. Zufassen mögen eher die Fische, die schon länger im See sind, und das wird dann kein schlechter Drill. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich das so ähnlich gestalte wie Bootsangeln vom Ufer aus. Ich stelle meinen Fox Light Chair auf, lege den Kescher griffbereit, fette die Fliege und entfette das Tippet, beides sehr wichtig, lege zehn Meter Schnur aus und zünde mir eine Mille Fleur an. Der „Daddy Long Leg“ an meinem Vorfach ist altbacken, so mit Raffia und Zwirn, schlechter Hechel und Elchhaarbeinen. Ein „Daddy“ muss an der Oberfläche ein wenig kleben, sonst heben die Forellen ihn an. Sie steigen ja nicht so viel und haben kaum Übung. Manchmal, selten, bekomme ich einen Biss auf die Wartefliege. Aber eigentlich fische ich nicht. Ring, Sprung, Wirbel, Welle, Flosse – darauf harre ich. Die Ringe bis 20 Meter Entfernung werfe ich sitzend an, für mehr muss ich aufstehen. So länger als drei Stunden bleibe ich selten, genieße die eine Stunde, in der ich die Luft kubanisch gestalte, und den Rest, den der frische Herbst gestaltet. Oft fügen sich dabei Ideen für das kommende Jahr, und das hilft die alte Saison vergehen zu lassen. Denn so ab Ende Oktober bestimmt nur noch die Tidenuhr meine Ausflüge, und ich schaue bei Flut mal hier und da eine Stunde ob die Zander mögen. Frust kommt da erst gar nicht auf, ich komme und gehe beschwingt, es ist eher ein Rhythmus, der den Alltag prägt. In der Regel mögen die Zander nämlich nicht, aber alle paar Tage eben doch, und auch diese Tradition bringt mich dem Jahreswechsel näher, an dem mein innerer Fischer sich mit festem Willen dem neuen Jahr stellt. Dann wiederholen sich meine Traditionen, gemischt mit Neueinfällen, nur eben ein Jahr oller.

Ingo Karwath