Der FliegenBinder Adventskalender

Das ist der Adventskalender meiner Frau. Wehe mir ich füll‘ den nicht.

Als ich noch ein kleiner Junge war, Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre, kauften meine Eltern jede Woche den Stern und alle zwei Wochen die Constanze. Mit diesen beiden Magazinen habe ich mir selbst das Lesen beigebracht, weil ich im Stern Julio und das Gummipferd verstehen wollte, was dann später in der Grundschule ganz schlecht ankam. Unsere Fibel fing irgendwie mit Peter und einem roten Auto an, und ich musste ständig schönschreiben, während die anderen noch lesen lernten. Caramba, Santos, Sapristi! In der Constanze muss um 1960 wohl mal eine Bastelanleitung für einen Adventskalender aus Streichholzschachteln gewesen sein. Meine Mutter hatte jede Schachtel mit großem Aufwand gestaltet, und es waren Süßigkeiten und an den Adventssonntagen zwei Groschen eingepackt. In einem stillen Moment habe ich alle Schachteln leergeräubert, was mir Zimmerarrest einbrachte und mein Verhältnis zu Adventskalendern bis heute bestimmt. Ich kann da halt nicht mit umgehen. Ich mache sie einfach leer und habe nicht mal ein schlechtes Gewissen. So gesehen bin ich natürlich der Falsche, um hier einen FliegenBinder-Adventskalender zu gestalten, aber ich hatte nun mal die Idee und wollte dann auch sehen ob’s gelingt. Ein Türchen zu früh öffnen scheidet aus. Ich stelle täglich ein Artikelchen ein und bin irgendwann am Vormittag damit online. Nur keinen Stress.

1. Türchen, 1.12.22, Donnerstag

Einfädler aus Zahnseide.

Um einen Faden durch einen Bobbin zu fädeln, braucht man in der Regel keinen speziellen Einfädler. Häufiger als nicht kann man den Bindefaden einfach durchsaugen. Ich habe ehrlich gesagt auch noch nie einen Einfädler gekauft, aber mir schon etliche selbst gebastelt. Das beste Material dafür ist der Draht aus einem kaputten Eischneider, oder auch aus einem heilen, denn die Dinger findet man manchmal auf dem 1 Euro Tisch. Ein Werkzeug mehr auf dem Bindetisch ist aber ein Werkzeug mehr, das man suchen muss, und da bei mir im kreativen Prozess oft eine enorme Unordnung ist, habe ich es aufgegeben einen! Einfädler zu benutzen. Meine Alternative sind Schlaufen aus Zahnseide, die ich 20 cm lang abschneide, kräftig strecke, doppelt lege, auf 8 cm verklebe und an etlichen Stellen in meinem Bindezeug platziert habe. Sie hängen und liegen so vielfältig rum, dass ich nie suchen muss. Man schiebt den verklebten Bereich von unten in den Bobbin, fädelt den neuen Faden in die Schlaufe, und zieht ihn nach oben hindurch. Und im Gegensatz zum Draht schont man dabei noch das Röhrchen. 

2. Türchen, 2.12.22, Freitag

Die berühmt, berüchtigte „Maple Sirup“.

Stöbert man im Internet herum, findet man oft Dinge, die man gar nicht gesucht hat. Ich hatte eigentlich nach Hotels, Airbnb und Bed & Breakfast in den Catskills gesucht, nur mal so, ich muss da mal hin, als ich am Wegesrand die „Maple Sirup“ fand. Eine mir völlig unbekannte Fliege. Das kommt ja wohl mal vor, keiner kann sie alle kennen, aber es war schon verblüffend, dass diese Fliege einen sehr hohen Verkaufsrang hatte. Wenn ich mir in Shops Fliegen anschaue, stelle ich den Filter immer auf Bestseller. Wer will schon Ladenhüter gucken. Die weitere Recherche ergab dann, dass die „Maple Sirup“ wohl früh in den 60ern in der Gegend von Millinocket entstand, das liegt mitten in Maine, und lange als Geheimtipp gehandelt wurde. Dann ist sie als Geheimnis in der Versenkung verschwunden und ward vergessen. In irgendeinem Angelladen tauchte aber eine Schachtel mit vergessenen „Maple Sirups“ auf und ab 2000 entwickelte sich in Maine ein Comeback. Obwohl das Ding ja aussieht wie ein Käseköder, gilt sie dem einen als Streamer, dem anderen als Imitation der Hexagenia limbata, der Rieseneintagsfliege. Wichtig sind zwei Dinge: Man bindet das Chenille von vorn nach hinten und wieder zurück. Sonst wird sie nicht fett genug. Und man soll möglichst weit in den Bogen binden, dann wird sie besser genommen. Man benötigt nur gelbes Haar, Ziege oder Kalb, und Chenille in tan oder peach. Die einen sagen so, die anderen anders. Größe 8 oder 10, 4x. Na, da schauen wir mal, was man im nächsten Jahr damit anrichten kann. Ein Autor nannte die Fliege einen typischen Sleeper. Nun nicht mehr. Jetzt ist sie sogar in Deutschland wach. Ich hoffe sie räumt die Wiesent nicht leer.

3. Türchen, 3.12.22, Samstag

War echt keine Strafe nach dem Foto „aufzuräumen“.

Ein Tag in einer Lodge in Kanada oder Alaska kostet schnell mal 1000 bis 2000 Dollar, und ganz egal, ob man so einen Urlaub in 2023 realisieren möchte oder nur davon träumt, man kann sich da sehr günstig schon mal eingewöhnen. 200 Gramm Mehl und einen Kaffeelöffel Zucker mit einem Teelöffel Backpulver, einem Viertel Teelöffel Salz und einem Viertel Teelöffel Natron trocken mischen. Zwei Eier mit 250 ml Milch verschlagen und die Mehlmischung einrühren. 10 Minuten ruhen lassen. Dann Pancakes backen, ergibt etwa 8 Stück, Spiegeleier und Speck braten und einen hübschen Teller anrichten. Besser zwei. Drei. Sie werden sehen, das macht nicht nur den träumenden Fliegenfischer glücklich, sondern, so man hat, Frau und Kinder auch. Also, heute ist Samstag, morgen schon 2. Advent. Zeit genug das am Sonntag zu kochen. Auf, auf, Fliegenbinder, ran an den Speck!

4. Türchen, 4.12.22, Sonntag

Vermutlich hat jeder Fliegenbinder so seine Eigenheiten in der Fadenführung oder Materialbehandlung, die er selber gar nicht mehr wahrnehmen kann. Das gewöhnt man sich an wie eine Macke, und dann lebt man halt damit. Ich binde z.B. eine Trockenhechel immer mit einer Kreuzwicklung ein, und sie steht dann zunächst in einem 90 Grad Winkel zum Hakenschenkel. Dann knicke ich den Kiel nach rechts oder links um, je nachdem ob die Wickelreise nach hinten oder vorn geht, und binde drei Windungen über den Kiel und kappe ihn. Ich binde extrem fest, immer kurz vorm Abriss, wer eher loser bindet macht vielleicht fünf Wicklungen. Durch diesen Knick im Kiel rutsch er nicht heraus, ich musste ihn vorher nicht stutzen, sondern nur abstreifen, und die fünf Wicklungen, also einmal kreuz nach links, einmal kreuz nach rechts und dann drei, halten die Hechel prima fest. Das Fundament, über das man dann hechelt, ist außerdem schön glatt. Ich habe die Technik ganz bestimmt nicht erfunden, man findet sie bei Bredow und vorher, und bin sicher nicht der Einzige damit. Ich habe mal damit angefangen, weil mich abkippende Kiele genervt haben. Man könnte es „hackle lock“ nennen, denn die Hechel ist wie eingesperrt. Nur ein völlig verdrehter Kiel kann sich da noch umwenden. Der Bindefaden ist aus fototechnischen Gründen ein 140er in orange.

Die erste Bindung nach links über den Kiel.
Die zweite Wicklung nach rechts über den Kiel. Jetzt ist er eingekreuzt.
Drei Windungen nach rechts.
Den Kiel stutzen.
Hechelbett sauber beenden. Ich gebe dann noch einen Hauch Lack drauf.

5. Türchen, 5.12.22, Montag

Bindet man eine Trockenhechel, gibt es immer zwei Möglichkeiten. Man bindet Schwänzchen, Körper und Flügel, und dann die Hechel vom Körperansatz nach vorn zum Öhr und schließt sie dort ab. Bei der zweiten Methode bindet man die Hechel gleich hinter dem Öhr ein, wickelt sie nach hinten zum Körperansatz, überfängt sie dort und führt dann den Faden wieder zum Öhr. Bei dieser Bewegung nach vorn muss man während der Umkreisungen mit der Bobbinhand etwas zittern, damit sich der Faden schön zwischen die Hechelfibern fügt. Es ist so eine leichte Zickzack- oder Wellenbewegung, die zum Ergebnis führt. Wenn ich es richtig erinnere, wurde diese Technik mal im „Fliegenfischer“ vorgestellt. Ist über 40 Jahre her. Ein Freund vom Udo konnte das perfekt, weil der, obwohl jung, schon von Natur aus zitterte. Insbesondere am Tag nach den acht Halben vom Abend zuvor.

Die Hechel mit der Methode von gestern einbinden, also „hackle lock“.
Die Hechel nach links winden und hinten dreimal überfangen.
Den Faden über die Hechel mit der Criss-Cross-Zitter Technik nach vorn führen und einen mageren drei Turn Whip machen.

6. Türchen, 6.12.22, Dienstag

„Ginger Bivisible“ mit Turle Space.

An mehr oder weniger allen US-Trockenfliegen gab es früher etwas, was uns verloren gegangen ist, und das ist der Turle Space. Das meint den blanken Millimeter Stahl hinter dem Öhr einer Trockenfliege, die 2 mm blanken Stahl hinter dem Öhr eines Streamers, die 3 mm bei einer Lachsfliege. Extrem viel Platz benötigt man an einer Riffling Hitch Fliege, denn dort müssen ja die Hitches liegen. Der Turle Space ist mit dem Turle verloren gegangen, mit der Schlampigkeit der Hakenhersteller und mit dem Speedbinden in Fernost. Der Turle gilt zu Unrecht als schwierig. Ist er nicht. Das ist kein Glücksknoten, man muss ihn nur können können. Dann war die Hakenqualität früher so viel besser, und das Hakenöhr war perfekt gebogen und präzise geschlossen. Ist das nicht der Fall, kann man keinen zuverlässigen Turle binden. Ja, und dann muss man den Space wollen. Das ist eine Bindekunst, die im produktiven Binden verloren gegangen ist. Aber es ist ein Luxus, den sich der private Fünffliegenbinder gönnen kann. Ich mache immer fünf Muster und halte dann ein Fach für aufgefüllt. Bindet man am Tag zwei Dutzend, ist man im Profibereich. Das kostet echt Disziplin mit Turle Space, aber als Käufer wäre es mir auch mehr wert. 

7. Türchen, 7.12.22, Mittwoch

Nur die Spitze ist „Marabou“.

Eine Maraboufeder besteht natürlich von oben bis unten aus Marabou, aber als Fliegenbinder muss man das anders sehen. Außerdem ist Marabou nicht Marabu, sondern Truthahn, aber das nur am Rande. Wir haben uns halt angewöhnt, weiche Federn so zu nennen. Möchte man echte Federn versuchen, wende man sich an die Kriminaltechnik. Der Preis für so einen Fingerabdruck-Pinsel ist jedoch heiß. Eine Maraboufeder besteht oben aus Marabou, in der Mitte aus Bugger-Schwanz und unten aus Dubbing. Nur die absolute Spitze und ein paar Fibern darunter haben die Qualität, die man für Streamer benötigt. Die Mitte genügt für Schwänze. Der Rest ist einfach zu klumpig und geht gut als Dubbing. Einen klassischen und korrekt gebundenen Maraboustreamer findet man darum nur in den Dosen eines Fliegenbinders. Ein Fliegenkäufer wird es schwer haben auch nur einen richtig gebundenen Marabou zu finden. Darunter hat leider der Ruf dieser Streamer sehr gelitten, denn wie will man etwas beurteilen, das man in seiner echten Form noch nie gesehen hat.

8. Türchen, 8.12.22, Donnerstag

Den Katleen’s 2by2 findet man bei Jan Grünwald auf Seite 186 in seinem Buch „Laks!“ Ich benutze den Knoten auf Lachs, Meerforelle und Steelhead seit 1985. Man beginnt mit einem guten Stück Tippet, so 30 bis 40 cm, und fädelt die Spitze von unten ins hochgestellte Öhr.

Dann legt man eine Doppelschlaufe.

Danach bindet man einen doppelten Schlag um die Doppelschlaufe.

Bis dahin kann nichts passieren, aber jetzt entscheidet sich der Knoten. Den doppelten Schlag zuziehen, zwar fest, aber nicht zu fest. Denken Sie Florett, nicht Keule.

Jetzt die Fliege, in diesem Fall den Shank, durch die Doppelschlaufe stecken und den Knoten zum Öhr manövrieren.

Jetzt zieht man am Tippet vor dem Öhr und die erste Schlaufe wird sich schließen.

Zieht man weiter, schließt sich die zweite Schlaufe und der Knoten setzt sich. Hat man den doppelten Schlag zu fest gemacht, misslingt der Vorgang.

Man überprüft den Sitz der Doppelschlaufe und zieht sehr fest am Tippet vor der Fliege. Dann hält man die Spannung von vorn und zieht am sogenannten Tag-End, um den Schlag noch einmal zu festigen. Zuletzt kürzt man das Tag-End auf 2 bis 3 mm.

Im Original mit 40er Nylon sieht der Knoten natürlich dezenter aus als mit 1,5 mm Geflecht. Für Fliegen mit Öhr gibt es keine Alternative zu diesem Knoten. Er ist der beste.

9. Türchen, 9.12.22, Freitag

Vanilleröhrchen sind ideal für Tubeflies.

Im Verlaufe eines Jahres bekommt man viele kleine Verpackungen in die Hände, die irgendwie cool sind und darum nicht auf direktem Weg im Müll landen. Auf dem Foto sieht man einen Karton von einem Filofax, zwei handgemachte Schachteln, ein Vanilleröhrchen von den Seychellen, einen Karton von einem Starrett-Zirkel und eine Verpackung von einem schwedischen Bartöl. Ist man also auf der Suche nach Umverpackungen für selbstgebundene Fliegen, die man zu Weihnachten an Freunde verschenken möchte, sind diese ohnehin schon etwas männlich angehauchten Schachteln einfach ideal. Ab heute sind es noch 15 Tage. Ein Dutzend schöne Fliegen zu binden ist zeitlich locker drin. Und eine gute Schachtel findet man bestimmt. Selbst für einen Binder ist das ein schönes Geschenk, und obwohl ich eigentlich nur Eigene fische, mache ich bei Freunden eine Ausnahme und knote ihre Fliegen auch wirklich mal an. 

10. Türchen, 10.12.22, Samstag

Der alte Devaux-Trick.

Als wir noch alle mit Begeisterung Devaux-Fliegen gebunden haben, waren die kleinen Ventilgummiringe aus dem Bindevorgang nicht wegzudenken. Man streifte zunächst ein Ringerl über den eingespannten Haken, hat die Hechel gebunden, den Faden verknotet und getrennt, das Ringerl nach vorn über die Hechel gezogen und den Faden für den typischen Devaux-Pressbund wieder angeschlagen. Mir ist nicht ganz klar, ob die Technik inzwischen vergessen oder ein Gemeinplatz ist. In meinem Bindezeug befinden sich seit Jahr und Tag Ventilgummiringe, auf einer Sicherheitsnadel verwahrt, und ich benutze sie für viele Hilfestellungen. Sie leisten in klein, was die berühmte Blumenklammer für den Hechtbinder in groß leistet. Dass man meist den Faden aus dem Weg schaffen muss, also anschlagen und abschneiden, ist ein wenig mühsam, kostet aber kaum fünf Sekunden. Man kann auch ein Ventilgummi auf den Bobbin schieben. Da wartet es dann und stört nicht, bis man es mal benutzen möchte.

Ventilgummivorrat.

11. Türchen, 11.12.22, Sonntag

1. Schnitt
2. Retusche
3. Lack

Wenn man eine Fliege nicht gerade von vorn nach hinten bindet oder aber hinter der Hechel abschließt, zwei sehr praktische Verfahren, beendet man den Bindevorgang vorne hinter dem Öhr. Wie gut einem das Köpfchen gelingt, ist für viele Binder und Fliegenbetrachter die entscheidende Qualität einer Fliege, und das ist zugleich falsch und richtig. Wird ein Köpfchen zu sehr in Richtung Show Case optimiert, hat man eine extrem schlechte Fliege vor sich. Und wirkt ein Kopf zu lang, etwa an einer alten Sunray Shadow, dann ist er eigentlich genau richtig. Schon seit Jahrzehnten beschäftigen sich Lachsbinder damit, ein möglichst kleines und kugeliges Köpfchen zu erhalten. Ich kam dem „Geheimnis“ mal auf die Spur, als ich vor langer Zeit einen supertüchtigen Lachsbinder fragte, ob er nur mit einem Faden mitten auf einem Lachshaken so einen einsamen Kugelkopf binden könne. Die Antwort war ja, aber die Vorführung misslang. Mit Fadenführung allein ist ein Kugelkopf also schwer oder nicht möglich. Ein Kugelkopf entsteht durch einen Flügel-Schnitt im 90 Grad Winkel zum Haken. Es erzeugt eine stumpfe, fast glatte Fläche. Viele Binder tupfen Sekundenkleber in den Bund, damit eine gewisse Haltbarkeit entsteht. Dann gibt man schwarzen Lack auf die bunten Enden des Flügelmaterials. Ist der Lack trocken, lackiert man farblos mehrmals drüber. Vorsicht beim ersten Auftrag, Cellire farblos löst Cellire schwarz an. Zu guter Letzt hat man den perfekten kleinen Kugelkopf. Aber ginge man damit zu David McNeese in den Flyshop, er war berühmt dafür die Flügel der Fliegen seiner Binder mit der Zange zu testen, bekäme man vermutlich keine weiteren Aufträge. Aber für Rahmenfliegen ist das Köpfchen trotzdem perfekt. Ach, und dies noch, trotz aller Klimmzüge mit Pink und UV, ein „Mickey Finn“ ist immer noch die! Winterfliege für Ostseeforellen.

12. Türchen, 12.12.22, Montag

Die Verwendung von Lack und Wachs bei gleichzeitiger Vermeidung von Sekundenkleber ist für mich so sehr Grundlage des guten Bindens, dass ich für luschige Wachsmeider und faule Antilacker keinerlei Verständnis habe. Je mehr Wachs und Lack ich sehe, umso mehr freue ich mich. Meine Prägung geht zurück auf das Buch „Das Binden künstlicher Fliegen“, Parey Verlag 1964, in welchem Davies u.a. berichtet, wie man aus Kolophonium und Klauenfett ein Bindewachs mischt. Klauenöl heißt in Amerika „neatsfoot oil“ und findet in alten Bindebüchern immer mal Erwähnung. Natürliche Wachse werden im Verlaufe der Zeit härter, aber man kann sie erhitzen und wieder etwas Fett oder Öl beimischen. Bis man endgültig genug Lust hat, diesen Vorgang zu starten, kann man eine kleine Wachskugel im Bindeprozess auch mit einer Kerzenflamme erhitzen und dann warm verarbeiten. Dabei sollte man die Flamme mit dem Wachs nur streifen, denn meine private Mischung aus Kolophonium, Bienenwachs und Rizinusöl brennt recht fröhlich. Das riecht zwar gut, ist aber ja nicht erwünscht. Nachher heißt es noch Advent, Advent, mein Bindetisch brennt.

13. Türchen, 13.12.22, Dienstag

„Augen“ einbinden.

Sparkle Chenille war eine Entdeckung, die ich 1986 für mich machen konnte, als ich das Material in einem Angelladen in Terrace fand. Die Lachs- und Steelheadbinder am Skeena hatten es für gut befunden, und ich benutzte es in den Folgejahren an der Ostsee. Gern in „Woolly Worms“, aber auch in anderen Mustern. Ende der 80er wurde eine Garnelenfliege mit Spektra Chenille dann sehr bekannt und machte als „Glimmerrejen“ die Runde. Dass das Material immer noch en vogue ist kann man an der „Mulkkis“ sehen, einer finnischen Meerforellenfliege, die gerade einen Karrierehöhepunkt hat. Die Originalfliege soll man mit Shrimpaugen binden, ob nun selbst gemacht oder fertig gekauft, und bei Shrimpaugen bin ich ein Verweigerer. Ich finde sie geradezu lächerlich. Shrimps entwickeln die schwarzen Knopfaugen ja eher im gekochten Zustand, aber an der lebenden Garnele sind sie wohl mal dunkel, aber unscheinbar und klein. Der Mageninhalt einer Garnele hätte mehr imitative Aufmerksamkeit verdient als ihre Augen. Die Augen an gebundenen Shrimps sind ein Psychoproblem, denn möchte man bei 600 Kilometer Anfahrt, 1000 Euro Rute, 1000 Euro Wathose, 500 für die Rolle und 700 Euro für die Hütte wirklich 80 Cent sparen und eine augenlose Garnele fischen. Könnte ein erfolgloser Tag daran liegen, dass meine Garnele keine Augen hat? Wir wissen, das ist Quatsch, und binden sie trotzdem ein. Ich habe das Dilemma für mich gelöst, indem ich Garnelen schwarze Tags anhänge, z.B. an meinen „Seepferdchen“, sie einbinde oder Antronstränge einfüge. Dann habe ich den gewünschten Akzent und fühle mich gut, weil ich den Effekt anbiete ohne mich veräppelt zu wissen. Rechnen Sie mal durch, was eine chinesische Haarbürste kosten müsste, würde man ihre beperlten Borsten als Augen im Flyshop kaufen.

„Mulkkis“ mit Antronaugen.

14.12.22, 14. Türchen, Mittwoch

„Thread Zap“ und Hasenohr.

In meinem Lederwerkzeug habe ich einen „Thread Zap“ von Bead Smith, mit dem ich die Nähte an Lederarbeiten beende. Das gleiche Werkzeug eignet sich auch hervorragend am Bindetisch, wenn man z.B. den Kopfbereich von Fliegen vor dem Whip Finish versäubern möchte. Die Spitze wird extrem heißt und man benötigt ein wenig Übung, sonst trennt man den Faden und die ganze Bindepracht ribbelt auf. Aber der „Thread Zap“ entfernt auch Dinge, die man mit der feinsten Schere nicht mehr erreicht. Es lohnt sich unbedingt einen zu haben. Man kann aber auch die ganzen Fusel im Kopfbereich einer Fliege akzeptieren und unter dem Aspekt Materialehrlichkeit einfach so lassen. Ich hab‘ es auch ehrlich versucht, bin aber eher der Typ sauberes Köpfchen. Bindet man außerdem für Fotos und deren Veröffentlichung, hat man ja die Verantwortung musterhafte Vorbilder anzubieten.

15. Türchen, 15.12.22, Donnerstag

Wir basteln uns einen Vorfachglätter.

Bei uns im Ort gibt es noch einen Werkzeugladen, in dem kann man einzelne Schrauben kaufen und außerdem alles bestellen, was das Werkerherz begehrt. Meine erste kleine Drehbank und die Fräse zum Beispiel kaufte ich da. Jetzt steht bei mir schon die dritte Maschinen-Generation. Als ich dort eine spezielle Dichtung suchte, für meinen alten Lieblingsmixer, bekam ich ein paar Gummimatten gezeigt, von 1 bis 5 mm, aus denen man sich eine Dichtung selbst schneiden kann. Das war mit dem Kreisschneider kein Problem, und schon war der Mixer wieder dicht. Das Material ist wunderbar glatt und hat keine reibenden Einschlüsse, so wie Fahrradgummi, und eignet sich vortrefflich für Schnurglätter. Also habe ich mir noch ein Stück geholt und einen Schnurglätter gebastelt. Da wird das Vorfach zum Smoothie. Ob man das Material in Leder kleben möchte oder einfach einen Streifen abschneidet und eine Öse einpresst bleibt einem unbenommen. Man kann es auch pur in eine Tüte und dann in eine Tasche stecken. Wichtig ist nämlich, dass es keine reibenden Partikel sammelt, denn das mögen Vorfächer nicht.

16. Türchen, 16.12.22, Freitag

Wenn weiße Wäsche früher nicht mehr so ganz ansehnlich war, hat man sie mit Tee gefärbt. Das Ergebnis ist nicht wirklich hübsch, aber es war halt ein Trick der Nachhaltigkeit in den Jahren nach dem Krieg. Tee an sich ist ja keine Farbe, aber legt man weißes Bindematerial in Tee ein, erhält man ein schönes Tan. Wann immer man diese Farbe mal benötigt und nicht zur Hand hat – erstmal ‘nen Tee trinken. Meinen Tee bekomme ich morgen in Kiel, wo unsere Tochter seit zwei Monaten wohnt. Da ich also früh auf Tour bin und „afk“, wie man ja sagt, gehe ich hier mal in Vorleistung. Wer das schon am Donnerstag liest, steht in bester Tradition, siehe ganz oben.

17. Türchen, 17.12.22, Samstag

Magnus-Augen sind Liebesäpfel für Meerforellen.

Für diesen Trick benötigt man Wellpappe und Haarnadeln. Man klemmt die Kugelketten- oder Dumbbell-Augen in die Haarnadeln ein, in Richtung zur Biegung, und steckt die Haarnadeln dann auf eine Pappe. Zusätzlich braucht man einen Karton als Sprühschutz, hält die Pappe hinein und gibt den Augen einen Sprühstoß Farbe. Und zwei, drei, bis es gefällt. Mit diesem Trick muss man nur eine blanke Sorte Dumbbells verwahren und kann sich immer die machen, die man gerade braucht. Und rote Kettenaugen, so wie diese, sind ein unverzichtbarer Teil der echten „Magnus“. Sie sehen, fällt mir gerade auf, enorm weihnachtlich aus. Da ich gestern Abend bei Jan & Hein & Claas & Pit war, eher Futur 2, gewesen sein werde, und vielleicht das eine oder andere Craft Beer zu viel hatte, stelle ich den Samstag auch lieber heute schon ein. Für den Sonntag muss ich noch mal eben ins Bindezimmer und ein Foto machen. Das Lied von Jan und Hein haben wir früher im Inselheim Rüstringen sehr gern gesungen. Unsere Lehrer fanden das sicher komisch, wenn Jungs im Stimmbruch von Bärten sangen. Unten am Strand durften wir in der Brandung angeln. Meine Würmer waren damals noch nicht gebunden, eher gefunden.

18. Türchen, 18.12.22, Sonntag

Chenille ist unverzichtbar.

Chenille hat eine erstaunliche Karriere hingelegt. Es besteht aus zwei Seelenfäden, die mit einem Flor verzwirnt werden. Dieser seitlich abstehende Flor gibt dem eigentlich flachen Faden seine dritte Dimension. Im 18. Jahrhundert hat man damit gestickt, 1918 wurde in Deutschland eine Maschine zur Herstellung erfunden und das Fichtelgebirge war das Epizentrum hochwertiger Chenilles. Modernes Chenille wird aus allerlei Effektfäden gezwirnt und hat eine so große Marktbedeutung, dass man auf den Internetseiten von Bindeshops drei bis vier Seiten Chenille finden kann. Nur Chenille, soweit das Auge reicht. Ich habe mal in einem Artikel geschrieben, dass man sich früher als Binder einen Namen machen konnte, wenn man in einer Fliege nur das Chenille austauschte. Etwa von rot zu gelb, aber ohne eine gute Story dazu ging das auch nicht. Dies klassische Chenille, von dem da die Rede ist, ist immer noch aus zwei Fäden gewoben. Man kann im Bindevorgang mit einer spitzen Pinzette eingreifen und die Florfäden verschieben und die Seelenfäden freilegen. Das macht man beim Einbinden und beim Abbinden, und erzeugt damit weder hinten einen unansehnlichen Buckel noch vorn einen dicken Kopf. Ab morgen bin ich wieder am PC.

19. Türchen, 19.12.22, Montag

Kiele und Fibernansatz überbinden.

Als ich erstmals Fotos dieser Methode sah, in einem Buch von A.K. Best, war ich gar nicht begeistert. Aber auf den zweiten und dritten Blick konnte der Trick schon überzeugen, denn nach ein paar Versuchen zeigte sich, dass er meiner bisherigen Technik überlegen ist. Ich hatte Hennenflügel immer sauber abgestreift, dann mit dem Faden über die beiden Kiele eingebunden und danach erst die Federn etwas unter den Bund gezogen. Das gelingt aber nicht immer, sie drehen sich oder werden ungleich, und dann muss man neu ansetzen. Die A.K. Technik geht energischer ran und man überfängt nicht die beiden Kiele der Flügel, sondern ganz unten die Flügel selbst, und zwar ein bisschen rechts und links vom Schenkel. Stellt man sie dann auf, hat man die Kiele und ein paar Fibern unterbunden, wie bei meiner Methode auch, aber man musste nicht ziehen und justieren und alles sitzt von Anfang an. Abirrende Fibern stutzt man weg, die Hechel verdeckt das ohnehin. Typisch Profi, möchte man sagen, schneller, haltbarer, eben besser. Also binde ich meine Hennenflügel seither a la A.K.

Dann aufstellen und abstehende Fibern stutzen.

20. Türchen, 20.12.22, Dienstag

Amadou von Fomesfomentarius aus Rumänien.

Man mag es kaum glauben, aber man kann Amadou-Fliegentrockner für bis zu 80 Euro kaufen. Mit gelochten Kohlefaserplatten oder geprägtem Leder. Man kann aber auch auf Etsy mal gucken, wer Amadou pur verkauft, und wird ein paar sehr zuverlässige Anbieter in Rumänien finden. Das ist EU und die Lieferung klappt flott. Mein Versender heißt Máté Karoly. Dann schneidet man sich zwei Lederstücke und klebt den Amadou mit Sohlenkleber darauf fest. Zwei Löcher mit der Lochzange, Lederband durch, und fertig ist der DIY-Fliegentrockner. Äh, ja, ich würde das natürlich anders machen und polierte an der Lederstückchen herum, prägte einen Rand und ein Basketweave ein, legte eine rote Ziernaht, verbände die Teile mit einem gespaltenen Lederstreifen und nähte einen D-Ring ein. Dann erst klebte ich den Amadou mit Sohlenkleber hinein, und wäre fertig für die Bemerkung: Na, Ingo, wieder mit Rüschen und Sahnehaube gewerkelt? Ja! Da der Umschlag aus Rumänien erst am Samstag kam, ich aber in Kiel war, will ich das Vorhaben nicht über die Kante brechen. Im Januar zeige ich gern wie es geworden ist. Das wird sich gut treffen, denn den Januar habe ich ohnehin als DIY Werkelmonat auserkoren.

21. Türchen, 21.12.22, Mittwoch

Gestellt aber realistisch.

Auf dem Bindetisch Werkzeug und Material zu finden entwickelt sich nach einer langen Bindesession zu einem durchaus komischen Problem. Mit einem Fläschchen Nadellack der grellen Sorte soll man zumindest seiner Schere besser auf die Spur kommen, wenn man nämlich ihre Augen lackiert. Ich hab’s an einer alten Schere versucht, fand aber das Ergebnis nicht schön. Eine gute Schere wollte ich so nicht verhunzen. Da aber gerade jede Menge Geschenkband im Haus ist, habe ich mal ein paar Zentimeter davon mit einem Tubestückchen an meiner besten Schere befestigt. Ja, doch, das geht eigentlich besser, und man findet die Schere deutlich schneller. Ich habe es in meiner Bindejugend cool gefunden, die Schere im Bindeprozess in den Fingern zu lassen. Aber Binden ist wie Chirurgie, im Idealfall bekäme man die Werkzeuge angereicht. Stellen Sie sich mal Ferdinand Sauerbruch mit Skalpell, Schere und Klemme in einer Hand vor. Hat der ja auch nicht gemacht. Wir müssen sie also selber nehmen, unsere Tupfer und so, und Sichtbarkeit hilft.

Na bitte, da ist sie ja.

22. Türchen, 22.12.22, Donnerstag

Bausatz für „Pink Mulkkis“.

Möchte man einem Freund zu Weihnachten noch eine Freude machen, sollte man lange und sorgfältig überlegen, sich davon aber nicht irritieren lassen, sodann das Bindezeug checken und einen Bausatz für eine Fliege zusammenstellen. Ein Päckchen Haken, eine Spule Bindeseide, Flügelmaterial, Körpermaterial, Hecheln und ein Fläschchen Lack. Das kann man so umfangreich gestalten wie man möchte, also entweder Material für 12 Fliegen einpacken oder gleich alles tütenweise und einen kompletten Balg dazu. Dann ist das schon ein veritables Großgeschenk. Ich habe mal in Suskeena wegen eines Geburtstages in unserer Gruppe mein Intruder-Etui spontan verschenkt. Eric, der Besitzer der Lodge, war davon ganz gerührt und sprach den Satz: You know, Ingo, gift giving is more important for mankind than we think! Na, das ist doch für Weihnachten ganz passend. Und ohne jetzt mankind gendern zu wollen, natürlich sind Mütter und Frauen, Töchter und Großmütter unbedingt großzügig zu beschenken. Nur Fliegenbausätze mögen da verkehrt sein. 

23. Türchen, 23.12.22, Freitag

„Grey Ghost“ auf Nymphenhaken.

An einem Forellenwasser, an dem man auch mit der Spinnrute fischen darf, kann es zu einer eigenartigen Begegnung kommen. Wenn nämlich ein Spinnfischer mit einem 3 cm Wobblerchen mit Einzelhaken und ein Fliegenfischer mit einer 3 Gramm schweren Doppelhakenkoppe aufeinandertreffen, dann hat ja der Kollege mit der Spinnrute den kleineren und leichteren Köder. Dabei ist klein und leicht doch unsere Bank. Wenn Sie also gerade überlegen, was in den stillen Tagen nach Weihnachten am Bindestock passieren soll, dann will ich dem Auffüllen der Trockenfliegenfächer und der Nassfliegenclips nicht im Wege stehen, aber mein Rat wäre die Nymphenhaken in Größe 10 und 12 hervorzuholen und Streamer zu binden. Selbst ein „Grey Ghost“ mit komplettem Anzug lässt sich auf einem 12er binden. Im Original gehört die untere Crestfeder mit der Biegung ich oben, ich hab’s lieber so. Ich sage mal vorher, dass besonders winzige Streamer in 2023 für die eine oder andere große Freude sorgen werden. 

24. Türchen, 24.12.22, Heilig Abend

Ich wünsche allen, die dem Adventskalender bis hierhin gefolgt sind, und auch denen, die an den Weihnachtstagen noch zusteigen, einen fröhlichen Heiligen Abend und eine wunderschöne Weihnachtszeit. Das Fest kommt ja kalendarisch und gut zu planen auf uns zu, ist dann doch immer so plötzlich da, und was wir daraus machen, das ist unsere Verantwortung. Meine Frau ist Pastorin und hat heute drei Gottesdienste mit Krippenspiel und in der Nacht die Christmette. Ich dagegen bearbeite die häuslichen Aufgaben und habe im Laufe der Jahre gelernt, dass die Küche ein Refugium ist, in dem man kaum gestört wird, denn alle sind heilfroh, dass man drin steht und den Job macht. Aber aus meiner vielfältigen Erfahrung mit Weihnachten kann ich sagen, dass man die drei Festtage in etwa so angehen muss, als hätte man eine 60er Forelle an einer 20er Mücke an einer 3er Rute mit einer Rolle ohne Backing. Das können wir uns vermutlich besser merken als irgendwelche abgekürzten Kommunikationsregeln oder kluge Sprüche. Einfach behutsam sein, jedem fröhlichen oder genervten Mitmenschen seinen Raum lassen und schon einmal im Kopf bewegen, was man im kommenden Jahr gern erleben möchte. Ich wünsche Ihnen eine schöne Weihnacht. Ihr Ingo Karwath