„Witch“ vs. „Red Tag“

Can’t you see the “Witch” by my side? Oder doch lieber „Red Tag“?

Es gibt kaum einen Text über die „Red Tag“, der nicht aus „A Dictionary of Trout Flies“ zitiert und als Erfinder Martyn Flynn aus Worchestershire und das Jahr 1850 nennt. Ach, hoppla, jetzt ist mir das auch passiert. Die „Red Tag“ ist also, wie so oft behauptet, kein Nordmuster, kein Grenzmuster. Worchestershire liegt in der Mitte von England und war und ist nicht für Forellen berühmt. Sucht man dort heute „game fishing rivers“ kommt „no results“. Das war natürlich 1850 deutlich besser, und es gab Forellen und Äschen, nur kam kein Londoner um sie zu befischen. Die „Red Tag“ ist eine wirklich alte Fliege, und es gibt tatsächlich Bücher, die blumig schildern wie ein Squire mit seinem Ghillie beschloss damit trocken zu fischen und ähnliche Prosa. So soll die nasse Fliege zur Trockenen geworden sein. Aber mal ehrlich, das wissen wir nicht. Nass und trocken ist beim Tippfischen durchaus beliebig. Ein Fußabdruck von der Größe eines Elefanten ist ihre Erwähnung bei Halford als Fliege Nr. 56 in seinem Buch „Floating Flies and how to dress them“ von 1886. Die „Red Tag“ wird dort wirklich und wahrhaftig als Trockenfliege beschrieben, von „the man himself“. Allerdings behandelt das Buch auch Äschenfliegen. Erst später hat er sie als unwürdig begriffen und aus seinem Canon aussortiert.

Red Tag. Roter Schwanz, Pfauengras, braune Hechel. Wer kennt sie nicht. Urgestein seit 172 Jahren. Man sieht verschiedene Materialien als Schwanz und verschiedene Hechelmengen. Rotschwanzpalmer und „Red Tag“ werden oft synonym benutzt.

Genau das war die Chance der „Red Tag“. Die Kreideflüsse des Südens wurden von April bis August befischt, und über den September gab es schon verschiedene Ansichten, ob der noch zur Saison gehöre. Die weiblichen Bachforellen entwickelten Rogen und die Fische galten als zu leicht fangbar. Skues hörte darum im August auf. Andere nicht, aber im Oktober war dann endgültig Schluss. Nicht so mit Äschen. Um nun aber für den Keeper und die Kollegen eindeutig zu belegen, dass man nicht auf Forellen fischt, ist eine Äschenfliege der beste Beweis. Eine „Red Tag“ am Vorfach fängt im Oktober natürlich trotzdem Bachforellen, aber zufällig und für den Angler schuldlos. Der, hätte er eine „BWO“ am Vorfach gehabt, in Beweisnot wäre. So gesehen ist es also mal wieder der Codex, der Äschenfliegen von den imitativen Fliegen trennte und für ihre evolutionäre Abspaltung sorgte. Das war nämlich für die wahre Äschenfischerei in Europas Mitte eher ein Vorteil. Die Äsche wurde in England nicht gerade besungen, aber „Grayling Fishing in South-Country Streams“ von H.A. Rolt war dann ab 1901 doch ein Buch zum Thema, das auch bei belesenen Äschenfischern in Paris, München und Wien wahrgenommen wurde. Damit waren die englischen Äschenfliegen auf dem Weg.

Hexe. Die Ur-Hexe hatte einen roten Schwanz, einen Pfauengraskörper und war mit einer Dun-Hechel gepalmert. Der Ton der Hechel ändert nicht den Namen, also ob Pale Watery oder Dark Blue Dun, Hexe bleibt Hexe.

Es wird immer gesagt sie sei einfach zu binden, aber das stimmt nicht. Es gibt schon ein paar Punkte zu beachten. Zunächst einmal soll sie möglichst pummelig wirken, und ein 1x oder 2x kurzer Trockenhaken hilft dieser Anmutung sehr auf die Sprünge. Hat man den nicht, muss man die Pummeligkeit herstellen. Den Schwanz bindet man idealerweise aus unversponnener roter Wolle, so wie man sie zum Filzen benutzt. Ein kräftiges Büschel davon erzeugt einen strammen Unterkörper. Den kann man mit einem Unterkiel noch deutlich anheben, und das ist dann sehr pummelig. Das Pfauengras deckt alles ab und keiner weiß wie man’s gemacht hat. Die Hechel darf gern ein wenig zu lang und in keinem Fall genetisch sein. Eine Hennenhechel bester Qualität ergibt am ehesten das Bild, das an alte Zeiten erinnert. Eine „Red Tag“ ist keine stolze Yacht, die aufrecht segelnd daherkommt. Fettet man nur ihre Hechel, hängt sie mit ihrem feuchtschweren Po nämlich tief drin und lockt die Äschen hoch wie eine abgehängte Parachutenymphe. Warum so eine Fliege überhaupt fängt, ist das Thema etlicher Theorien. Die klügste ist womöglich diese: Gary LaFontaine schrieb nämlich in “The Dry Fly, New Angles”, dass Fliegen mit einer Mischung von auffälligem und unauffälligen Material eine Mitte bilden, und als grobe Imitation genommen werden, weil sie die Realität dehnen ohne sie zu brechen. Die unauffälligen Anteile imitieren, die auffälligen locken an und bieten Fokus. Die „Red Tag“ ohne Lock-Schwänzchen nennt man „Little Chap“, und ich kenne beide Fliegen, und auch die „Witches“, aus meinem ersten Fachbuch.

Hexe. Die obige Bindeweise lässt sich mit einem dichten Palmer darstellen, aber auch mit einem 2/3 Palmer oder Halbpalmer oder mit einem normalen Hechelkranz. Selbst eine One-Turn Hexe geht. Die Fliege bleibt eine Hexe.

In diesem meinem allerersten Bindebuch, ein Geschenk meiner Eltern zum 16ten Geburtstag – ich hatte weder eine Fliegenrute noch einen Bindestock, nur Träume – findet man drei „Witches“, zwei „Tags“ und die „Bradshaw’s Fancy“. „Das Binden von Forellenfliegen“ von William Ernest Davies ist von 1964. Mein Binde-Geburtstag war acht Jahre später. Als Äschenfliegen findet man bei Davies auf Seite 60 die „Hexe“, die „Goldhexe“, die „Silberhexe“, die „Orange Tag“ und die „Red Tag“ und „Bradshaw’s Fancy“. Aus dem Englischen übertragen von Dr. Rudolf Loebell, der sich entweder wenig trittsicher durch die binderischen Feinheiten bewegte oder aber schlecht redigiert wurde. Es gibt viele Sätze, die so bei Davies natürlich nicht stehen. Z.B. der über Behm, Geißler und Ritz. Ahnungslose Redakteure sind anerkannte Verschlimmbesserer. Als Hechel sollte man für die „Witches“ Dachshaar oder eine dunkelgraue Hahnenhechel nehmen. Das Badger eine Hechel meinen muss, wurde übersetzerisch nicht erkannt. Ich habe mich dann als junger Binder mit 17 schon gefragt, wie man aus Haaren einen Hechelkranz macht. Aber den Rasierpinsel meines Vaters zu schreddern um das zu versuchen habe ich mich nicht getraut. Die „Red Tag“ war eine meiner ersten Fliegen, Wolle aus Mutters Korb, Pfauenfeder vom Rummel, brauner Balg von Bavaria. Einen braunen Balg hatte ich vor einem grauen, denn graue waren teurer. Von Historie hatte ich keine Ahnung und auch kein Interesse daran. Das Ding fing Forellen, Äschen und Döbel, und fangen war mein Ding. So ist er halt, der Anfang eines Fliegenfischerlebens. Das das war auch gut so, denn komplizierter wurde alles von ganz alleine. In den Gewässern östlich von Göttingen fing man selten eine Äsche, Niedersachsen, aber ganz anders westlich von Göttingen, Hessen. Ich habe noch ein altes Foto von Udo Hildebrandt im Grobstrickpullover an der Trendelburger Diemel, mit zwei Äschen an einem Weidezweig, beide sehr knapp unter 50 cm. Die „Red Tag“ hatten wir immer dabei. Mit den „Witches“ habe ich erst angefangen, als ich 1980 erstmals an die Traun kam (hab‘ nachgeschaut, 4.9.80 bis 17.9.80).

Silver Witch. Geißlers Hexe. Mit Silber gerippt wird die Hexe zur „Silberhexe.

Den Spuren der „Witch“ kann man, so man ein Muggle ist, gar nicht so leicht folgen. Sie ist kaum jünger als die „Red Tag“. Im Ursprung ist eine „Red Tag“ mit einer gepalmerten Dunhechel eine „Witch“. Eine „Red Tag“ mit einer Dunhechel an üblicher Stelle ist aber auch eine „Witch“, und gibt man noch Silbertinsel hinzu, wird es eine „Grayling Witch“ oder „Silver Witch“. Auf dem Kontinent entstand daraus die „Hexe“, die ebenfalls mit einer grauen Hechel gebunden wurde. In den Jahren nach 1918 waren englische Produkte und Ideen nicht sonderlich beliebt, und solche Ursprünge wurden mit voller Absicht verschwiegen. Die „Hexe“ mit Silberrippung und grauer Hechel, „Geißlers Hexe“ genannt, ist wahrlich keine deutsche Erfindung. Die gab es schon vorher. Aber es könnte sehr wohl eine kontinentale Erfindung und vermutlich Otto F. Geißler zu verdanken sein, dass wir die „Witch“ und die „Silver Witch“ auch mit einer Grizzlyhechel kennen. Da wird es schon originell, denn das ändert ja ein Viertel der Fliege. Noris oder Bavaria könnten der Ursprung sein. Bayern also. Über bayrisch lässt sich trefflich diskutieren bei einem gebürtigen Chemnitzer. Plymouth Rock Hähne, denen wir die schöne Hechel verdanken, sind eine amerikanische Rasse und kamen erst Ende des 19. Jahrhunderts nach England. Die Hechel war dort nie sehr beliebt, weil die Coloristen um Halford damit nichts anfangen wollten. Das sah man in Bayern anders, und hat „Hexen“ damit gebunden. Aber auch bei Bavaria muss es „Hexen“ mit verschiedenen Hecheln gegeben haben. Unterbrechungen der Lieferketten sind ja kein neues Problem.

White Witch. Hexe mit weißer Hechel. Eine häufig verkaufte Variante.

Hexe. Hexe mit Grizzlyhechel. Sie könnte eine kontinentale Erfindung sein. Denn die Mitte dieser Fischerei ist hier. Die schönsten Äschen Mitteleuropas sind die Alpenäschen.

Ich habe eine Bavaria „Witch“ 2125 in meiner Sammlung, die eine sehr dunkle Dun-Hechel hat. Bei Balzer gab es die „Hexe“ mit hellerer Hechel, und ich erinnere mich an eine weiße „Witch“ in den Kästen bei Höller-Eisen in Gmunden. Was auf „Zwanzig Fliegenmuster reichen aus“ zurückgehen könnte, Schück Verlag 1977, denn dort wird die „Hexe“ entweder mit Grizzly oder Weiß reklamiert. Die „Hexe“ von Solohow in Steinfort 1984 ist mit Badger gebunden. Bei Bredow wird erwähnt sie mit Grizzlyhechel zu binden. Was für ein Kuddelmuddel! Norddeutsch für Durcheinander. Die Linzer kennen es als Theater. Es stellt sich die Frage, wie man etwas vergleichen will, was auf der einen Seite steht wie eine Burg, die „Red Tag“, und auf der anderen Seite herumgeistert wie Bellatrix Lestrange, die „Witch“. Die Vielgestaltigkeit der „Witch“ müsste ein Vorteil sein. Aber ob das zum Sieg genügen kann? Ich sage nö. Man kann weder mit der „Red Tag“ noch der „Witch“ etwas falsch machen, auch nicht mit allen ihren Schwestern und auch nicht mit der „Treacle Parkin“ oder der „Terry‘s Terror“. Das gilt ebenfalls für das „Orscherl“. Den Begriff Käferfliege würde ich streichen wollen. Da gibt es andere. Man kann den Körper grün oder bronze halten, auch Sword benutzen, die Tags variieren und die Hechel verändern. Es bleibt immer erhalten, was Gary LaFontaine sagte: Wir dehnen die Realität! Und das fängt. Es sei aber nicht verschwiegen, dass es eine Selektivität auch bei diesen Fliegen geben kann. Also Orange geht und Rot nicht. Was für eine Freude das mal zu erleben. Ach, und sollten sie die Titelzeile ab und zu beim Fischen summen, „The Rattles“, dann waren sie vermutlich auch so um das Jahr 1970 jung.

Hexe. Hexe mit Hennenhechel. Eine Alternative zu den pieksigen Genhecheln. Obwohl, ist ja Genhenne.

Ingo Karwath