Die erste wirklich große Forelle im Leben eines Fliegenfischers wird eine ewige Erinnerung.
Früher war angeln total einfach. Man brauchte eine kurze Vollglasrute, eine Rolle mit 35er Schnur, ein 45 Gramm Sargblei, Messingwirbel, kurzes Vorfach und einen 4er Aalhaken, Nickel mit Ringöhr. Dazu brauchte man Wattwürmer und Flut. Na ja, und ein Fahrrad, um an die Wattwurmstelle und dann an die Mole zu kommen. Und die Erlaubnis mit der teuren Grabgabel überhaupt radeln zu dürfen. Man könnte es fast schon Logistik nennen. In den Ferien ging das besonders gut auf, wenn am Vormittag Ebbe und am Nachmittag Flut war. So konnte man vormittags graben, sich bei Mutters Pasta Asciuta von der Anstrengung erholen, und nachmittags angeln. Aal, Scholle, Flunder, Kliesche und Dorsch fing man an den Molen, manchmal sogar richtig viel und richtig groß. Dann gab es anderntags reichlich Fischfilet in Butter, und ich fühlte mich als Ernährer der Familie. Ich selbst bekam Pellkartoffeln mit Schnittlauchquark, denn ich mochte keinen Fisch. Das hat sich zum Glück geändert, aber eine andere Sache ist geblieben. Meine Vorliebe für extravagantes Angelzeug muss sich damals auf den Molen ergeben haben. Im Laufe meiner Junganglerjahre von sechs bis zwölf, meine illegale Phase, kamen drei Ruten in meine Sammlung. Eine gelbe Vollglasrute aus einer Anfängerpackung, eine braune Vollglasrute von DAM und eine honigfarbene Hohlglasrute von Shakespeare. Letztere mein ganzer Stolz. Mit diesen drei Ruten habe ich tausende von Watwürmern in die trüben Fluten des Jadebusens befördert und hunderte von Fischen gefangen. Nur, wenn es so richtig ordentlich zubbelte, dann immer an der Gelben. Die meisten und dicksten Fische, immer auf die Gelbe. Ganz egal ob sie in der Mitte, rechts oder links lag. Die Gelbe fing. Aus dieser frühen Einsicht, dass nämlich ungewöhnliche, ja nahezu komische Ruten besser fangen als andere, ergaben sich dann in meiner legalen Zeit als Jungangler für den Fachhändler meines Vertrauens solche Probleme wie französische Spinnruten besorgen zu müssen, Maradeur, englische Karpfenruten, Milbro, englische Matchruten, Hardy, und schwedische Grundruten, ABU. Das waren natürlich Einzelbestellungen mit wochenlanger Wartezeit, aber Heinrich Römer hat es mit bewundernswerter Ruhe immer wieder geschafft, die begehrten Stecken zu besorgen. Da fühlte man sich mit 15 als vollwertiger Kunde. Darum kann es nicht wundern, dass mein erster großer Ausflug mit der Zweihandrute von einer Hardy A.H.E Wood No. 3 und einer Silent Husky Multiplier begleitet war. Das war selbst für damalige Verhältnisse eine extravagante Ausrüstung. Wie man in „Flugfiske i Norden“ 1984, Heft 5/6, nachlesen kann, habe ich nicht nur werfen geübt. Aber der Reihe nach.
Die mysteriöse Fliege bei Colonel Bates.
Im Prinzip begann die ganze Geschichte mit Seite 321 der 1970er Ausgabe von Joseph D. Bates, „Atlantic Salmon Flies & Fishing“. Die dort abgebildete Fliege hat lange meine Fantasie beschäftigt. Sie wird mit keinem Satz erklärt. Dann gab es da einen Artikel über eine Fliege namens „Pelzoma“, den Herbert Rausch 1978 im „Fliegenfischer“ Heft 23 veröffentlicht hatte. Es ging dabei um den alten Biberpelz seiner Großmutter, Titel „Mit Pelzoma an der Mörrum“, Seite 20, einer daraus entstandenen Nassfliege und um den Fang einer 13 Pfund Meerforelle an der Mörrum. Eine Bindeanleitung fehlte, aber ein Schwarzweißbild zeigte die Fliege deutlich genug, um sie nachempfinden zu können. Ich habe das Heft vor mir liegen, weiß aber nicht ob ich die Doppelseite fotografieren darf. Das Copyright ist wohl verfallen. Ich mache mich mal schlau. 1978 war ich 22, ein junger Fliegenfischer, und solche Artikel beeindruckten mich sehr.
Sechs Federsegmente, Bisam und drei graue Hecheln. Bis heute ist mir keine bessere Interpretation eingefallen. Damals „Confusion“ getauft.
Es war eben dieser Artikel, der dann Oberstudienrat Matschke aus Göttingen auf die Idee brachte, ebenfalls einen alten Pelzmantel zu organisieren. Er verschenkte großzügig einige Stücke, und so kam eine ordentliche Portion Bisammantel in meinen Besitz. Nicht gerade der im Artikel erwähnte Biberpelz, aber das Stück Fell begann so nach und nach sehr viele Fische zu fangen. Überwiegend im Aggregatzustand „Grey Duster“. Den mochten die Harzer Regenbogenforellen in der Vorsperre sehr gern. Mit sehnsüchtigen Gedanken an Meerforellen band ich auch einige „Pelzomas“, bis mich das Fell auf die Idee brachte, die unbekannte Bates-Fliege zu binden. Die sah nach einigen Versuchen sehr lecker aus, sehr, sehr lecker. Von der Materie Zweihand hatte ich noch nicht die Spur einer Ahnung, aber eine fängige Fliege erkennt man auf einen Blick. Versuch und Irrtum bringen einen Fliegenbinder da fast täglich voran. Selbst einen jungen. Das aber gerade diese Fliege später so einen großen Tag erleben sollte, hätte ich nicht zu hoffen gewagt. Im August 1984 machte ich mich auf zu den Schärenhechten und Herbstforellen und war am 30ten des Monats mit Bertil, Frank und Walter in Sölvesborg verabredet. Ich reise am Tag vorher bis Bromölla und zelte dort. Es gewittert die ganze Nacht, aber mein Zelt hält stand und der Morgen belohnt mich mit einem Campingfrühstück in schönster Morgensonne. Um 9.45 Uhr stehe ich vor Bertils Haus und klingle wie verabredet um Punkt 10 Uhr. Der wundert sich über soviel deutsche Pünktlichkeit, und als ich erzähle, dass ich sowohl gezeltet als auch vor dem Haus gewartet habe, um pünktlich zu sein, rauft er sich den Kopf. Frank und Walter treffen bei Bertil ein und wir fahren von dort zur Hütte. Schon um 17 Uhr hat Frank die ersten beiden Hechte im Boot, aber denen fehlen volle 60 Zentimeter bis zum Meterhecht. Wir fischen uns fleißig in den September hinein, und endlich, am 6. September, bricht der Bann und wir fangen bei Vestra Näs große Hechte.
Mit genug Material für einen Artikel, siehe „Fliegenfischen“, verlassen Frank und Walter das Land. Ich fahre für einen Tag an die Helgea und dann zur Mörrum. Bertil zeigt mir die Pools 20, 21 und 22, erklärt Strömungen, Watwege und Standplätze. Ich beziehe ein Kellerzimmer bei Lars im Adalsvägen 36. Noch am selben Tag hake ich einen Grilse in Pool 4, auf „Sunray Shadow“, verliere ihn aber wieder. Am Abend zieht mir ein Fisch in Pool 21 ein paar Meter Schnur von der Rolle, bleibt aber nicht hängen. Durch Lachsliteratur geprägt habe ich nicht angeschlagen, und das ist, wie ich heute weiß, bei Meerforellen nur bedingt richtig. Mehr passiert an diesem Tag nicht, aber ich weiß sehr wohl, dass zwei Chancen an einem Kartenwasser mit hohem Befischungsdruck meinen Kredit an Glück eigentlich aufgebraucht haben. Ich gehe unfröhlich ins Bett. Der nächste Morgen sieht mich ungewaschen und unrasiert am Wasser. Es ist 6 Uhr früh. Die Luft ist klar und kalt, man kann den Herbst fühlen, aber ein warmer Tag kündigt sich an. Kein Nebel über dem Fluss. Ich fische eine DT 9 Floating und die unbekannte Bates-Fliege auf einem 4er Zwilling. Um halb Sieben bekomme ich in der Mitte von Pool 21 einen guten Kontakt. Ganz anders als gestern. Das Wasser wallt auf, und die Wood Nr. 3 erhält einen schweren Schlag. Sie ist sofort krumm, und der Fisch nimmt etwa 80 Meter Schnur mit runter in Richtung Grindarna. Dort pendelt er von Ufer zu Ufer, und immer wieder kommen durch den gebogenen Bambus harte Hiebe im Griff an. Ich habe so etwas noch nicht erlebt und fühle mich völlig hilflos. Das Herz schlägt mal im Hals und mal in der Hose, viel zu schnell, und säße ich auf einem Fahrradergometer, würde mein Hausarzt sofort die Schraube lösen und mir weniger Watt zumuten.
Aber, meiner Vorliebe für gutes Backing und gute Knoten und gute Vorbereitung zahlen sich aus, denn ich gewinne Schnur. Für mich ist das ein harter Drill. Ein erfahrener Lachsfischer würde sagen ich drille wie ein Mädchen. Doch ich muss hier stehen und zittern. Darum halte ich eher mäßig dagegen. Wir machen Fehler und nennen sie dann Erfahrung. Und ich will hier keinen Fehler machen. Der Fisch kommt immer näher und die Schnur ist in den Ringen. Immer noch pendelt er von Seite zu Seite. Die Amplitude ist nur kleiner. Dann ist die halbe Schnur auf der Rolle und, ich kann es nicht anders sagen, eine kleine überhebliche Vorfreude schleicht sich in meine Seele. Ich ahne dass das falsch ist, aber der kleine Teufel der Überheblichkeit hat sich verkrallt. Der Fisch ist noch lange mein, und mit der Zuversicht wächst die Angst ihn doch noch zu verlieren. Natürlich möchte jeder Fliegenfischer in seinem Leben auch mal dramatische Verluste erleben. Wovon soll man sonst später im Altenzentrum erzählen. Aber nicht jetzt. Nicht heute. Ich will diesen Fisch.
Und ich erhasche den einen oder anderen Blick. Mal der Rücken, die Schwanzflosse, dann der Bauch, und meine Meinung verändert sich von der Vermutung Lachs zur Gewissheit eine Meerforelle zu drillen. So ein Fisch ist die größte Sehnsucht der vergangenen Jahre und jetzt tritt etwas ein, was mich schon durch Vordiplome und Diplome begleitet hat und später noch durch Staatsexamen und meine Disputation leiten wird. Ich werde unter Druck ein Prüfungsmensch. Sehr ruhig, fast ein wenig fröhlich, und zuversichtlich. Jetzt kenne ich den Preis. Und ich will ihn.
Mein Tage- und Fangbuch von damals, ein Jugendfoto und der ominöse Priest.
Es dauert noch lange bis der Fisch unter der Rute ist, und seither kenne ich den sturen Infight einer großen Meerforelle. Ich trage keinerlei Landehilfe am Mann, zum Glück, denn das damals noch gebräuchliche Gaff hätte alles verdorben. Ich würde mich bis heute schämen. Da ich mal ein Foto gesehen habe, auf dem Hans Werner Heller eine Meerforelle tailt, fasse auch ich beherzt zu und hebe an. Der Fisch ist viel schwerer als gedacht und rutscht flott durch. Eine Flucht schafft er nicht mehr. Hinter mir ist eine kleine Bucht in den Wurzeln eines alten Baumes, und es gelingt die Forelle dort hinein zu führen. Ich knie mich vor die Bucht und versperre sie wie ein Eishockeytorwart sein Tor. Die Rute lege ich ab und greife mit beiden Händen zu. Nach ein paar Metern landeinwärts falle ich mit dem Fisch wieder auf die Knie. Es ist sieben Uhr. Sie ist mein. Ein roter DAM Priest setzt ihrem Leben ein Ende, und ich muss es wohl meinem Alter zuschreiben, dass sich außer wilder Freude kein anderes Gefühl zeigt.
Oben das Aquarell von Wolfgang Lange, darunter meine „Svend Saabye“ mit einer Hardy „St. George, 1976 in London gekauft, dann meine „Wood Nr. 3“, und mein altes Cascade Netz.
Ich werde an diesem Tag als Fänger einer großen Forelle gewürdigt, Fotos werden geschossen und etliche Leute wollen die Geschichte hören. Bertil schreibt es Gunnar und schickt eine meiner Fliegen mit. So kommt es zu der Notiz in „Flugfiske“. Später wird Wolfgang Lange den Fisch nach einem Foto aquarellieren und wir machen im Büro von Verleger Alexander Jahr ein Foto.
Auf dem Rückweg aus Schweden besuche ich Bjarne Fries in Randers, und er hört sich die Geschichte an und will meinen Priest sehen. „Damit darfst du so einen schönen Fisch nicht töten“, sagt er, und wirft ihn weg. Ich erhalte einen neuen, den er selbst gefertigt hat. Ich riskiere meine Würde und hole den roten Priest wieder aus der Tonne. „Man kann auch einen großen Fisch zurücksetzen“, bekomme ich noch von Preben Torp Jacobsen mit auf den Weg, als ich ihn in Hvilsom aufsuche. Und ehrlich gesagt schmecken die geräucherten Seiten dann doch nicht so toll. Zwei geräucherte Schuppen kleben in meinem Fangbuch aus den Jahren. So ist es gewesen, und ich schäme mich nicht.
Ingo Karwath