Chance auf Multe

Ein Schwarm von Meeräschen ist ein beeindruckender Anblick. Dafür reisen andere in die Karibik …

„Als Chance wird eine günstige Gelegenheit oder ein Glücksfall bezeichnet, aber auch die Aussicht, bei jemandem durch Sympathie Erfolg zu haben. In der Statistik ist das Wort ein Synonym für die Wahrscheinlichkeit, mit der ein günstiges Ergebnis eintritt.“ (Wikipedia).

Kein Wind, keine Wolken, keine Weste. Die Sommerpirsch mit kleinstem Gepäck verspricht Bonefish-Feeling zum Nulltarif.

Also, mit Sympathie habe ich es bei Fischen noch nicht versucht. Aber Chancen hätte ich schon ein paar. Über Meeräschen gibt es viele Theorien, von denen man nur die Eine als grundlegend annehmen kann: Wenn man keine Fische findet, dann fängt man auch keine! 2015 etwa gab es an Stellen, an denen es ‚immer‘ Meeräschen gibt, keine Schwärme und kaum mal einen Einzelfisch. In den Angelläden auf Fünen war man sich einig, dass das kalte Wasser die Fische davon abgehalten hatte, an die weiter südlichen Stellen zu schwimmen. In der nördlichen Ostsee, so ab Samsö und weiter hoch, auch an den nördlichen Küsten Jütlands, waren die Fänge so gut wie immer und besser. Das hilft aber wenig, wenn man ein Ferienhaus und keine Ferienyacht gemietet hat. Was also den diesjährigen Urlaub angeht, gehen wir mal lieber davon aus, dass die Fische auch da sind. Theoretisch hat man dann zwei gute Möglichkeiten. Man steht sehr früh auf, nimmt alles mit was man braucht, und geht spät zu Bett. In der Zwischenzeit geht man die Strände auf und ab und sucht die Fische. Die Wahrscheinlichkeit, in vierzehn aufmerksamen Stunden am Strand einen Schwarm zu finden, ist überdurchschnittlich hoch. Und wird jeden Tag besser. Man wird sehr braun dabei, aber die Methode geht aus einsichtigen Gründen nur allein und ohne Familie. Die andere Methode ist die, immer, wirklich immer, eine montierte Fliegenrute bei sich zu haben. Im Auto, am Strand, beim Spaziergang, beim Ausflug, immer. Sie glauben gar nicht, wie oft man dann eine Chance auf Meeräschen hat. Und es geht auch mit Familie. Rechnen sie mit 90 Kronen, drei Eis, auf die halbe Stunde. Derweil die Lieben auf der Bank sitzen und schleckten, sprintet man zur Mole und versucht’s.

Die Sache mit dem Brot

Wer mit Brot lockt und füttert muss danach zur Brotfliege greifen. Die Fische wollen dann nichts anderes mehr.

Doch kommen wir nun zur ersten Möglichkeit. Wie alle pflanzenfressenden Fische lassen sich Meeräschen anfüttern. Unsere Kollegen aus der Posen- und Grundbleiecke haben da so einige Methoden entwickelt, von denen mir eine mit einem grün gefärbten Brotbrei am besten gefallen hat. Der mit Sand vermischte Brei wird auf hellen flachen Steinen ausgebracht, in deren Gegend man sich dann mit einer Grundangel auf die Lauer legt. Das ist schon sehr clever. Der ganze Vorgang passt nicht unbedingt in den Wohlfühlbereich eines Fliegenfischers, aber ein Toastbrot im Rucksack sollte sich innerhalb unserer Grenzen befinden. Man könnte es ja auch essen… Oder aber die Meeräschen anfüttern. Dann gilt leider eine Regel. Sind die Meeräschen erst einmal am Brot, wollen sie nur noch Brot. Alle anderen Fliegen kann man in der Regel vergessen, und ohne Brotfliegen geht das nun nicht. Also nicht anfüttern und dann mit der „Seesalat“ fischen. Das wird nix. Aha, wird jeder bayrische Brückenfischer nun sagen, damit kenne ich mich aus. Und Recht hat er, die Prinzipien sind völlig gleich. Brot kann man entweder direkt anködern, unfein, mit Schaumstoff nachbilden, die Dänen sagen „Skum-flue“, oder aber mit Hirschhaar richtig binden, die feine Art. Mit dem Wunsch eine Fliege korrekt mit Naturmaterial zu binden habe ich sehr viel mit verschiedenen Haaren und Fellen experimentiert, bin aber letztlich eingebrochen und binde jetzt mit Rossmann. Es ist natürlich ein Spaß für sich im Drogeriemarkt den perfekten toastfarbenen Küchenschwamm zu finden. Niemand kann auch nur ahnen warum der auf dem Kassenband zwischen Shampoo und Klopapier liegt. Man schneidet sich ein ovales Stückchen zurecht und bindet es mittig oder vorn mit Bindeseide fest. Aber ehrlich gesagt binde ich fast gar nicht mehr damit. Ich schneide den Schwamm in Stückchen und nehme die in einer Filmdose mit ans Wasser. Die Stücke schiebe ich dann nur noch auf einen blanken Haken. Tiefer kann man als Binder nicht sinken. Funktioniert aber tadellos. Die Bisserkennung ist ein Problem. Ein kleiner Bissanzeiger im Vorfach schadet nicht. Meeräschen reagieren allerdings auch auf die gezupfte Brotfliege, und da hat man bessere Chancen. Die Fliege direkt zu sehen ist natürlich die beste Möglichkeit, aber sind Fische am Platz, wird die Fliege oft von ihnen verdeckt und man sieht nicht wirklich was passiert. Ein Meeräschenschwarm kann hunderte Fische zählen. Das ist ein Erlebnis, ob man nun fängt oder nicht.

Maden…

Angetriebener Tang und Wärme können jeweils bei Flut zu einer Schwemme von Tangmaden führen und die Meeräschen anlocken.

Die zweite Fangmöglichkeit hat etwas mit fliegenden Fliegen zu tun, bleibt aber leider knapp vor Halford stehen und wendet sich Sawyer zu. In den am Spülsaum liegenden Tang legen nämlich die Seaweed- oder Kelp-Flies, Coelopa frigida und C. pilipes, ihre Eier. Viel Tang und viel Wärme führen zu einer explosionsartigen Vermehrung dieser Arten, deren Maden dann von den Wellen ins Meer gespült werden können. Die korrekte Größe einer passenden Imitation wäre 18, höchstens 16, und damit stehen unsere Drillchancen schlecht. Wo diese Nahrung vorkommt, akzeptieren Meeräschen aber auch eine schlau gebundene 10er und 12er Madenfliegen, und da muss man vor einer dicken Äsche nicht bange sein, denn so ein Fünfpfünder erinnert im Drill nicht schlecht an einen Bonefish. Da wird viel Backing nass, und das nicht auf dem Rollenkern. Die Maden der Tangfliegen treiben bewegungslos im Wasser, aber auch hier gilt wie beim Brot, zupfen ist möglich. Meine Fliege ist einfach, hinten Chenille und vorne Pfauengras. So beschränke ich die weiße Zone auf den halben Haken und imitiere eine kleinere Made. Die irische und bretonische Küste sind das ideale Revier für Tangmaden.

Der fängige Seesalat

Die „Seesalat“ bindet man mit grünem Marabou in einer Schlaufe. Obwohl die Fliege treibende Algen imitiert, sollte man sie zupfen.

Meeräschen sind ja dafür bekannt dass sie Steine, Pfosten, Schiffsrümpfe und überhaupt alles abweiden, auf dem sich leckere Algen gebildet haben. Das ist schon ein Anblick für sich, wenn man als Ostsee-Urlauber in den kleinen Häfen große Meeräschen sieht, die ihrer fleißigen Knabberarbeit nachgehen. Ein Anglerherz schlägt dann deutlich schneller. Meeräschen fressen Algen, also binden wir Algen. Die Dänen haben’s erfunden, und die bekannte Fliege „Sjösalat“ ist eine Ikone der Fischerei. Weidenden Meeräschen ist schwer beizukommen. Das ist so, als würde man einer im grünen Gras stehenden Kuh grünes Gras hinhalten. Im Meer treibende Teile haben ihren ganz eigenen Rhythmus, und treiben in Ufernähe in einem Mix aus Grundströmung und Wellenbewegung. Das ist ein ähnliches Problem wie komplexe Strömungen unter unserer Trockenfliege, aber man darf sich eine Pflanzenfliege nicht als Trockenfliege vorstellen. Lieber als Nassfliege oder Streamer, und also zupfen und strippen. Das ist widersinnig, weil ja die Nahrung natürlich treibt, aber deutlich erfolgreicher als die statische Grünfliege. Diese Erkenntnis hätte ich gern Jahre früher gehabt. Meine ersten Versuche mit der Fliege brachten keinerlei Erfolg, obwohl ich oft mitten im Fisch war. Bei „Go Fishing“ in Odense kam dann von Jens der entscheidende Tipp. Strip it. Und siehe da, es ging. Also, es ging besser, denn so oder so macht man mit jeder Fliege dutzende Würfe bis es mal klappt. Da man selten blind fischt und eigentlich jeder Schwarm ein paar siebziger Fische bei sich hat, ist das hoch spannend. Ich glaube der Biss kommt meist durch komplexes und zufälliges Verhalten zustande. Ein Fisch zeigt 50% Interesse, sein nächster Nachbar erhöht futterneidisch auf 75%, und der übernächste Nachbar fasst zu. Aber auch Einzelfische reagieren auf die „Seesalat“. vermutlich wegen ihrer Bewegung.

Blinde Passagiere

Krebse und Asseln sind zwischen der Pflanzennahrung der Meeräschen allgegenwärtig und werden gerne mal genascht.

Unsere vierte Chance bezieht sich auf ein Phänomen, das auch jedem Salatesser bekannt ist, und Raupen im Salat sind eine Erinnerung, die bei mir schon in der Kindheit beginnt. Vermutlich auch deshalb, weil mein Vater Biologielehrer war und jede Raupe im Zitronenwasser sofort für eine Tischlektion gebrauchte. Wurde ich nur deshalb Fliegenfischer? Ich weiß es nicht, und ich mochte auch keinen Salat, aber das Zitronenwasser mit Zucker war mein Ding. Meeräschen können keine Pflanzen fressen ohne auf die anhaftenden Krebse oder Asseln zu stoßen. Wie viele davon eine Meeräsche intus hat werden wir selten herausfinden, denn während uns der Mageninhalt von Forellen geübt interessiert, werden wohl die wenigsten Meeräschenfänger den Drang haben das genauer zu untersuchen. Meeräschen stinken inwendig. Man kann so oder so annehmen, dass sie Asseln und Flohkrebse aufnehmen, denn man kann sie ganz gut damit fangen. Je weiter das Jahr voranschreitet, umso reizvoller scheint die tierische Nahrung zu werden.

Der räuberische Herbst

Vor der Winterruhe fressen Meeräschen gern auch kleine Fische und lassen sich mit einem Streamer überlisten. Als „Beifang“ hat man nicht selten Meerforellen.

Das bringt uns zur wahrhaft letzten Chance, die sich mit der Vorliebe für tierische Nahrung im Herbst beschäftigt. Im Herbst werden überdurchschnittlich viele Meeräschen beim Meerforellenfischen gefangen, weil die Meeräschen dann gern mal einen zarten Fisch naschen. Womit das zusammenhängt ist wissenschaftlich unbekannt, aber es gibt ohnehin nur zwei Annahmen. Hunger oder Aggressivität oder beides. Das Wasser wird kälter, der Winter kommt, der Stress nimmt zu, der Rückzug in tieferes Wasser und eine nahrungslose Zeit kommen. Darum die erfreulichen Angriffe auf unsere Streamer.Die Herbstwinde bringen es mit sich, dass man nur noch selten auf Sicht fischen kann, und eigentlich muss man keinen besonderen Aufwand treiben und kann schlicht und einfach auf Meerforellen fischen und auf Meeräschen hoffen. Im Laufe der Jahre glaube ich aber festgestellt zu haben, dass kleine und möglichst echte Fische wie „Sinfoils Fry“, „Polystickle“ und „Sea Habit“ die Nase ein wenig vorn haben. Die eher rotorangenen Herbstfliegen für Meerforellen haben mir noch nie eine Meeräsche eingebracht. Die silberhellen schon, und die „Sinfoils“ war jahrelang meine Wahl. Die „Habit“ ist besser und lockt gleichzeitig mehr Forellen.

Die schönste Zeit für die Meeräschenpirsch ist, wenn die Hagebutten rot sind. ‚Hyben‘ sagt der Däne.

Der Biss

Wenn es gelingt, eine Fliege am Rand eines Meeräschenschwarmes zu positionieren, wird diese nicht selten vom Schwarm überschwommen. Fischt man eine statische Fliege und schaut wie ein Schießhund auf Vorfach und Schnurspitze, setzt man wegen der Körperbisse viele vergebliche Anhiebe und hat gute Chancen die Fische zu vergrämen. Die Fische rempeln das Vorfach und die Fliege immer wieder an, und diese Rempler sind von einem echten Biss nicht zu unterscheiden. Stript man die Fliege, kann es vorkommen Meeräschen an den Flossen oder am Körper zu haken, und auch dann führt ein Anhieb zu mächtigem Alarm. Bewährt hat sich eine Bonefish-Technik, die man Strip-Strike nennt. Einfach einen kräftigen Strip machen und schauen ob alles fest wird. Mit der Schnurhand kräftig ziehen und mit der Rutenhand gerade nach hinten rucken. Nicht die Rute heben. Die Fliege wird bei diesen Bewegungen einen kräftigen Satz machen, oder aber sie sitzt fest im harten Maul der Meeräsche. Sitzt sie nicht, sind Fliege und Schnur immer noch in einer Chancenposition und es hat keine wesentliche Beunruhigung ergeben. Hat man jedoch eine Meeräsche angekratzt, dann explodiert die See. Wir nehmen aber mal an der Fisch sitzt und der Verfasser gratuliert Ihnen zu Ihrer ersten Meeräsche.

Ich verwahre meine Meeräschenfliegen in Filmdosen, die mit einem Band gesichert in den oberen Taschen warten. Gehe ich ohne Weste, hänge ich sie mir einfach ans Hemd.

Info

Die Meeräsche an und für sich gibt es nicht. Die Familie zählt 70 bis 80 Arten und ist mit den Barschen verwandt. Nach Auskunft der Deutschen See werden 44 Arten als Speisefisch gehandelt. Sie schmecken ganz hervorragend. Der Rogen der Großkopfmeeräsche wird in Italien als Bottarga und in Frankreich als Portague gehandelt. Die Italiener essen den Rogen auf Pasta oder servieren ihn, wie die Franzosen, als Vorspeise. Eben diese Großkopfmeeräsche ist auch der Zielfisch der Fliegenfischer. Eine Internet-Information erwähnt bis zu 120 cm Länge und 9 Kilo Gewicht, was aber, wie jeder Angler weiß, so nicht stimmen kann. Das Gewicht wäre zu niedrig angesetzt. Schon eine 83er zieht die Waage auf 15 Pfund. Ein Meterfisch dürfte auf 10 Kilo plus kommen. Dass es diese Kapitalen in der Nordsee und Ostsee gibt, steht außer Frage.

Ingo Karwath