Die Plastikfliegen von Lee Wulff. Erinnerung an eine Zeit der Begeisterung.
In Kanada auf Steelhead zu fischen ist eine Traumreise, die man sich im Verlaufe seines Fischerlebens einmal gönnen sollte. So ein Satz ist ja schnell getippt, aber zwischen Familie und Beruf, zwischen Haus und Urlaub ist es gar nicht so leicht, da die zehn Tage für sich allein und das dazugehörige Geld zu finden. Darum scheint es sich zu ergeben, dass sehr junge Fliegenfischer den Trip auf Backpack-Niveau eher wagen als Familienväter, und ansonsten sind die Flieger von Vancouver nach Terrace oder Smithers meist voll mit alten Herren. Bei meiner ersten Reise nach British Columbia war ich unter dreißig, dann eine lange Pause, und schon war ich über sechzig. Im Flieger nach Smithers war dies das geschätzte Durchschnittsalter.
Surface Stonefly.
Hitch Fly.
Carpenter Ant.
Meine erste Reise verdanke ich der Großzügigkeit von Dr. Wolfgang Thies und Martin Schmiderer und dem Reiseetat des Jahr Verlages. Wolfgang betrieb damals neben seiner Praxis das Unternehmen „Thies Adventure Tours“, aber schon in seinen alten Golf einzusteigen, den er gern kokett zwischen Porscheflitzern und Mercedeslimosinen einparkte, war ein Abenteuer. In Vancouver Übernachtungszimmer zu buchen war nach seiner Ansicht nur für Weicheier, und hätte der Zollhund bei der Einreise sprechen können, hätten wir nicht einmal den kalten Zwiebelkuchen gehabt, den Hans Konrad Fritzel mit der Bemerkung: Oh, that ist just a cake! genial am Zoll und an der kalten Labradorschnauze vorbei eingeschmuggelt hatte. Ey, Alter, sagten die klugen Hundeaugen, ich kann den Speck doch riechen! Aber der Cake durfte passieren. Irgendwann in der Früh machte ein Kaffeeladen auf, aber das Zeug war so ungenießbar dünn, dass man zum Aufpeppen zwei Zusatztütchen Gefriergertrockneten brauchte. Nur einer in der Gruppe, der Verleger Gerd Hatje, konnte auf die Schnelle noch ein Zimmer ergattern und schlief in der Stadt, die wegen der Weltaustellung komplett ausgebucht war. Gerd, ohnehin ein vollendeter Gentleman, stieß frisch rasiert und ausgeruht zu uns, aber wir haben es ihm alle gegönnt.
Blue Squirrel.
Haggis.
Red Squirrel.
Golden Darter.
In Terrace angekommen umfing uns die Hängematte von Martin Schmiderer und seinem Team, und wir erhielten Zimmer wie Könige. Die Ruten wurden bespannt und vorbereitet, Vorfächer geknüpft, Fliegen gezeigt und gewählt, und Headguide Pete Machek fuhr mit uns an den Fluss zum Training. Das hat bei mir wenig gefruchtet, und mit meinem feinst eingestellten Äschenanschlag versiebte ich anderntags einen Fisch nach dem anderen. Nur um es dann am nächsten Tag zu können und ab da weder einen Fisch zu verpassen noch zu verlieren. Ich sage nur autogenes Training. Ich fing in zwei Wochen 64 Fische, und würde es mir selbst nicht glauben, wäre nicht alles notiert. Wie man sich denken kann eine großartige Zeit, aber es kam noch besser, denn Hans Gebetsroither und Joan und Lee Wulff reisten an. Den Hans kannte ich von der Traun, und es war ein Erlebnis ihn hier im Norden die Natur erleben zu sehen. Er war hingerissen und auch ein wenig melancholisch ob seines Alters. Die großen Drei des Fliegenfischens mussten sich natürlich auf der Wiese versammeln und vermutlich wollte jeder mal schauen wie der Andere, die Andere so wirft, und mein innerer Punktrichter vergab 10 an Hans, 9 an Joan und 8 an Lee. Aber während Hans mit ganzem Herzen bei der Natur war und Joan sich entspannte, brannte Lee an beiden Enden für die Fischerei. So ergab es sich, dass ich in der Früh am Bindetisch saß um für die Gruppe ein paar Fliegen zu binden, und Lee Wulff kam mit seiner Bindetasche herein. Ob nur so oder aus Interesse an einem Multiplikator, ich war damals Chefredakteur von „FliegenFischen“, kann ich gar nicht mal sagen. Er breitete jedenfalls seine Sachen aus und zeigte mir, wie man seine Plastikfliegen ‚bindet‘. Die mich nicht die Bohne interessierten. Ich glaube an den Prozess des Bindens, an die Urproduktion eines Federköders, mit Faden und Fell. Und ganz besonders mit Faden. Eine Fliege ist wie ein Pfeil. Wir bebinden sie mit Federteilen und verbinden uns mit unseren Ahnen, die Federn an Pfeile wickelten. Lee hatte diese Fliegen Ende der Vierziger, Anfang der Fünfziger erfunden und immer mal wieder produzieren lassen. Er wollte weg von den Bindeemotionen, hin zu einer industriellen Fertigung fängiger Muster. Was für ein Irrtum. Die „Höhle der Löwen“ hätte die Idee nicht finanziert, selbst wenn man Investoren aus einer Mathefördergruppe bemüht hätte. Sie wissen schon, für 5 Euro einkaufen, für 400 Euro verkaufen, an den 8 Prozent ganz gut verdienen. Aber es war schon interessant mal eine Anleitung zu bekommen, wie man die Plastikkörper zunächst anlöst und dann mit den üblichen Materialien bestückt. Nach gefühlt ewiger Zeit band Lee dann eine echte „White Wulff“, die ich bis heute hüte. Die ganzen Plastikfliegen, von denen er mir eine Handvoll schenkte, habe ich munter verfischt. Besonders die „Dragon“ fing sehr gut. Aber ich bekam auch einen vollständigen Fliegensatz in kleinen Dosen, die ich verwahrt habe. Nun ist es ja so, dass man die nicht nachbinden kann.
Hopper.
Brown Ant.
Red Ant.
Dragonfly.
Moth.
Man müsste sich zunächst eine kleine Einspritzmaschine kaufen, für etwa 2000 Euro bei eBay, und Formen machen. Das geht ein klein wenig zu weit, oder! Aber historisch finde ich die Muster sehr spannend und breche hier mit der Tradition, dass man ein Lexikon nachbinden können muss. Darum also, bevor ich sie doch noch verliere, hier die Fliegen von Lee Wulff. Er war ein sehr netter Mitfischer, und alle sagten Lee zu ihm, aber innerlich sagte man Mr. Wulff. Er war eine Ikone, ein Grande, der Pate schlechthin, der König der Szene. Henry Leon Wulff verstarb am 28.4.1991 im Alter von 86 Jahren bei der Erneuerung seiner Fluglizenz. Er saß am Steuer eine Piper Super Club neben seinem Fluglehrer Max Francisco, als er beim Landeanflug vermutlich einen Herzinfarkt hatte. Der Ausbilder, der den Absturz schwer verletzt überlebte, berichtete dass Lee Wulff vermutlich noch in der Luft verstarb.
Ingo Karwath