Der März ist die beste Maifliegenzeit. Jedenfalls am Bindetisch. Es gilt, binde jetzt, dann hast du im Mai.
Gute Vorsätze zu Silvester sind eine Sache für sich; mehr Sport, weniger essen, mehr Gemüse, weniger Alkohol, mehr Zeit mit der Familie. Wie man sieht läuft es meist auf eine ausgewogene Mischung von mehr und weniger hinaus. Wer kennt das nicht. Mehr angeln gehen, mehr Ruten, Rollen und Zubehör kaufen, länger am Wasser bleiben, mehr reisen, mehr binden, mehr fangen und tiefer reingehen sind dagegen Vorsätze, die ohne ein weniger auskommen. Und nicht nur das, man bekommt auch mehr Ärger damit. Wir wissen ja wohl alle, dass 2022 nicht das Jahr nach Corona wird, aber es könnte das Jahr mit den wenigsten Beschränkungen seit 2020 werden, und da macht es schon Sinn, einen oder zwei wertvolle Momente mehr zu planen. Eine schöne Idee wäre doch z.B., in diesem Jahr mal wieder der Maifliege zu begegnen und diese besondere Zeit mit ausgesucht schönen Fliegen zu begleiten. Als diensthabender Fliegensommelier, ich sitz‘ hier gerade am Keyboard, schlage ich die Nummern 1 bis 5 von De Boisset in der Ausführung von Chamberet vor. Leider gibt es da ein klitzekleines Problem, denn selbst die Originalfliegen haben in den Jahrzehnten ihrer Vermarktung hier und da mal eine Veränderung erfahren. Zum Glück gibt es eine grundlegende Beschreibung, die fast alle Fragen klärt. Eine Frage klären die Anleitungen nicht, aber sehr wohl Lauftext und Bild. Die Flügel, die bei den Mustern 1 bis 4 aus Federfibern bestehen, trennt man zu zwei Flügeln. Einer fängt auch, wäre aber im Sinne der Originalität nicht korrekt. Und die 3 und 4 haben einen kleinen Thorax, der von kommerziellen Bindern gern ausgelassen wurde. Hinter den von mir interpretierten Hechelfarben steht die Originalfarbe, denn da sehe ich Raum die Tönung verschieden zu verstehen. Meine Wahl ist nur meine Wahl.
No. 1. – Ephemera vulgata, Subimago male. Der Haken ist ein alter 2er, also 12er in unserer Skala, die Bindeseide wird nicht genannt, schwarz geht, aber dunkelbraun würde auch gut passen. Die Schwanzfibern sind vom Hahn, so um die 12 Stück, dunkelbraun (brun foncé), leichte Neigung nach unten, und mindestens so lang wieder der ganze Haken. Der Körper besteht aus braunem Raffia und wird mit dunkelbrauner Seide gerippt. Ein paar Wicklungen dicht an dicht hinten, die anderen spiralig über den Körper. Die Flügel sind rostbraune Hechelfibern („rusty“) vom Hahn, die über den Hechelkranz hinausragen müssen. Die Hecheln sind vom Hahn und ein mittleres Grau (gris moyen) mit einem kräftigen Ingwer (gingembre chaud) gemischt. Im Ergebnis erhält man die kleinste aller Maifliegen, die im Original mit den Hechelfibern hinten noch kleiner wirkt als die für den englischen Markt gebundenen Muster mit Fasanenfibern.
No. 2. – Ephemera vulgata, Imago female. Haken 3, also 11, wir nehmen 10 und legen die ganze Fliege etwas kürzer an. Bindeseide wie No. 1, Schwanzfibern hier nun „roux chaud“, wieder leichte Neigung auch unten, google bietet als Übersetzung heiße Rothaarige an. Na ja, me to, sagen wir mal schön rot. Körper auch wie No. 1, aber mit Ovalgold nach dem gleichen Schema bewickelt. Das ist ein interessanter Punkt. Das sieht an fast nie bei Nachahmungen. Flügel aus Fibern der Mandarin Ente, Hechel Badger (blaireau) und blass Ingwer (gingembre pale) gemischt.
No. 3. – Ephemera danica, Subimago male. Im Original wieder ein 3er Haken, also einen 10er nehmen. Die Schwanzfibern sind Hahn, schwarz, leicht geneigt, und als Rippung wird braune Seide eingebunden. Der Körper besteht aus naturfarbenem Raffia und wird sechsmal gerippt. Dann folgt ein kleiner Thorax aus rußgrauem (suie) Condorersatz. Die Flügel bestehen aus einer Hechelmischung in gelbgrün (vert jaunatre) und grau meliert (gris melange). Die Hechel mischt man aus Honig (honey) und Ingwer meliert (gingembre mélangés). Diese melierten Töne, „mélangés“, nicht zu verwechseln mit Grizzly oder Cree, haben zwar eine Farbe, aber in hellen und dunklen Zonen.
No. 4. – Ephemera danica, Imago femelle. Hier wird ein 4er Haken vorgeschlagen, wir können also einen 10er nehmen und voll ausnutzen. Die Bindeseide gern in weiß und abschließend in schwarz. Der Schwanz besteht aus schwarzen Hechelfibern, wieder geneigt, die Rippung ist ein dunkelbrauner Faden. Das Original verlangt nach „tinsel brun très foncé“. Dunkelbrauner Lurexfaden könnte gehen. Der Körper soll farblos lackierte, elfenbeinfarbene Seide sein, der Thorax aus pechschwarzer Seide. Die Flügel sind aus Fibern einer Badgerhechel (coq badger) und einer grauen Chinchillahechel (chinchilla gris). Bei letzterer wird der Unterschied zu Grizzly langsam akademisch, Chinchilla hat immer etwas braun im Ton. Die Hecheln sind mittelgrau (gris moyen) und rostmeliert (coq rusty mélangé). In der Praxis nimmt man, was man in der Nähe dieser Ansprüche hat. Wie man auf jedem Schiffsfriedhof sehen kann, ist Rost sehr vieltönig. Fröhlicher Eisenrost oder trauriger Stahlrost. Das geht von hell bis dunkel. Rost ist eine Idee, eine Vorstellung, an der sich der Binder orientieren soll.
No. 5 – Imago mort. Bei diesem Muster nennt De Boisset keine Art, was wohl dafür spricht Vulgata und Danica hier gleich zu behandeln. Die Schwanzfibern sind vom rotbraunen Hahn (coq rouge), hier extra benannt horizontal eingebunden, die Rippung ein bräunlicher Pfauenfederkiel und der Körper besteht aus naturfarbenem Raffia. Die Flügel sind hier nun hellgraue Hechelspitzen in Spentposition und die Hechel eine Mischung von Ingwer (gingembre) und Blaugrau (gris bleu).
Das wären sie, die wahrlich großen Fünf von De Boisset aus den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts. Nachdem Gérard de Chamberet 1941 verstarb, übernahm Madame de Chamberet die Firma und die Serie Gallica wurde über Jahnzehnte gebunden und verkauft. Sie ist natürlich die kontinentale Antwort auf die Halford Fliegen, aber in der Bindeweise wohl etwas besser an unsere Flüsse und unser Licht angepasst. Halfords Fliegen entstanden ja auf wenigen Meilen Chalkstream, und die sind nicht, obwohl das viele glaubten, der Mittelpunkt der Welt. Die kommerziellen No. 1 bis No. 5 aus der alten Produktion werden heute unter Sammlern gehandelt. Es gibt verschiedene Ausführungen, teils mit viel zu kurzem Schwanz, ohne Mischhechel oder gar mit Fasanenfibern, die Flügelfibern fehlen, sind ungemischt oder schlampig dargestellt, der Thorax fehlt, kurzum, wie Produktionsfliegen halt so sind. Die Rückkehr an die Quelle führt aber zu schönen Fliegen, die man von 1951, ich habe die zwölfte Auflage von „Les Mouches du Pecheur de Truites“ und beziehe mich darauf, nach 2022 überführen kann. Bei allen Klimmzügen muss man jedoch sagen, dass man das alte Profil der Fliegen, ihre Anmutung, nur annähernd hinbekommt. Das liegt an der Hechelqualität unserer Tage, denn die Fibern haben ein anderes Taper. Man könnte das debattieren wie Gespließtentaper. Sie sind zylindrischer, von unten bis oben etwa gleich dick, und enden dann mit einer Spitze. Die alten Fibern waren konischer und darum unten dicker. Dadurch erhält eine Fliege im Hechelkranz mehr Innenvolumen und wirkt voller. Man kann das durch die Einmischung von Henne zwar herstellen, aber das kann ja nicht der Sinn der Sache sein. Amüsant natürlich, dass man früher einen Balg verzweifelt nach guten 18er Hechel absuchte und heute Probleme hat, genug 10er Hecheln zu bergen und an den Seiten keine Spades mehr für Schwänzchen findet. Da hat eine Optimierung stattgefunden, die ich so gar nicht gewollt hätte. Hat man diese fünf Fliegen korrekt gebunden, steht einem klassischen Angeltag in der Maifliegensaison nichts mehr im Wege. Mit einer Pezon & Michel „Fario Club“ und einer l‘Esquimeau Weste ist das dann in etwa so, als wäre die alte Zeit wieder auferstanden. Aber das wäre vielleicht zu viel der Show. Den klassischen Fliegen sollte man einfach so eine Chance geben. Sie sind sehr haltbar, schwimmen gut, wahren die Form und werden nicht zuletzt deshalb gern genommen, weil die Forellen CDC schon mit Farbnummern unterscheiden können. Hat man mir berichtet.
Ingo Karwath