Keine Hemmung zu Bremsen?

Was steht beim Entomologen hinten am Auto? Vorsicht. Ich bremse auch für Insekten.

Von Harold S. Gillum, besser bekannt als Pinky Gillum, gibt es eine wunderbare Geschichte. Seine Gespließten gehören zur Spitzenlage der Sammlerszene und erlösen Preise von bis zu 10.000 Dollar. Wie es der Zufall wollte, traf er eines Tages einen Fischer am Wasser, dem er kurz zuvor eine Rute verkauft hatte. Der war gerade dabei, mit roher Gewalt und durchgebogener Rute einen Hänger zu lösen. Pinky watete zu ihm hinaus, nahm ihm die Rute aus der Hand, riss mit geradem Zug die Fliege ab, kurbelte die Schnur auf die Rolle, machte die Rolle ab, drückte sie dem verdutzten Mann zusammen mit dem Kaufpreis in die Hand, stapfte zum Ufer und verschwand. Und das, liebe Rutenbauer, ist doch der Traum, von dem alle träumen. Andere Edelhandwerker dürften die gleichen Gefühle haben, aber auch eine George Daniels Taschenuhr bekommt man aus der Weste eines Börsenbetrügers erst wieder heraus, wenn der sie auf der Flucht verkaufen muss. Ein Handwerk, auf das so leider gar keine Rücksicht genommen wird, ist der Rollenbau. In den letzten Jahren hat ja der Priest einen neuen Namen erhalten und heißt jetzt Video. Statt einen Fisch abzuschlagen und ihn dann zu zeigen, ist es der neue Standard, ihn zu filmen, freizulassen, und das zu zeigen. Diese Entwicklung brachte es mit sich, dass man sehr viele Drillfilme sehen kann, und der gefilmte Drill ist wie der gefilmte Golfschwung – man hat vorher echt nicht gewusst, wie schlecht man ist. Dazu später mehr, ich schwenke mal ein wenig zur Technik.

Stanley Bogdan war der Ansicht, dass es nur lohnt eine Bremse einzustellen, nicht aber eine Hemmung.

Eine Fliegenrolle hat entweder eine Hemmung oder eine Bremse oder sogar beides. Die Urform aller Bremsen ist ein Holzklotz, den man auf einen drehenden Schleifstein presste, um ihn anzuhalten. Dieses Prinzip findet sich auf sehr kluge Art in vielen Bremsen und Rollen wieder. Die alten Pflueger Rollen haben eine Bremsscheibe, die am Rand mit einem Bremshebel gebremst wird. Oben sind zweiachsig schräg Taschen eingefräst, über die beim Einkurbeln ein gefederter Spulenstift gleitet, der dann zufasst, wenn ein Fisch zieht und die Bremswirkung der Scheibe aktiviert. Die viel kopierte Bogdan-Bremse greift mit zwei Delrinbacken eine Trommel, die mit einer Ratchet in Gang gesetzt wird und beim Einkurbeln ruht. In der Siskiyou ist eine Scheibe verbaut, die ähnlich wie beim Auto von Backen gebremst wird. Eine weitere Idee war die Zylinderbremse, die so funktioniert wie eine „expanding mandrel“ an der Drehbank und den Zylinder, also die Spule, von innen bremst. Genial auch die vom Hofe Bremse, bei der ein spinnengefederter, hantelähnlicher Bremsarm aus Federbronze zwei Lederstücke auf die hintere Innenseite der Spule presst, wenn man den Cam-Knopf dreht. Und ein Klassiker ist die Korkscheibe, auf die man mit einem „draw bar“ die Spule presst. In letzter Zeit sind Scheibenbremsen der Hit, so wie wir sie seit Quick Finessa Zeiten aus der Stationärrolle kennen. Mit teils rotierenden und teils nicht rotierenden Scheiben und Bremsscheiben dazwischen können ganze Drucktürme gebaut werden, die viele Quadratzentimeter Bremsfläche bieten. Zusammen mit einem Ein-Weg-Kugellager eine kluge, jedoch auch völlig langweilige Lösung. Mit einem Boca-Bearing und teurer Kohlefaser aus dem Motorsport kann so eine Bremse Material von 100 Euro in sich haben, aber sie lässt sich auch für einen Euro bauen. Was allen diesen Bremsen gemein ist, ist ihre Anlage und Wirkung als Bremse. Sie sollen einen rotierenden Zylinder anhalten.

Arch Walker war der Meinung, dass eine Hemmung nur gegen den abziehenden Fisch wirken sollte und verstellbar sein muss. Eine klassische Ratchet-Konstruktion.

Bei einer Click & Pawl Rolle greift eine gefederte Metallspitze in ein Zahnrad und soll dieses Zahnrad hemmen, und das ist ein völlig anderer Ansatz als eine Bremse. Aus der Uhrmacherei kennt man das Prinzip der Ratchet, das ist eine gefederte Klinke, die ein Zahnrad davon abhält, sich zurückzudrehen, etwa beim Aufziehen der Uhr. Eine Hemmung, ein Beispiel ist die berühmte Ankerhemmung, kontrolliert dagegen die rhythmische Drehung eines Zahnrades und ist weder Ratchet noch Bremse. Der eingreifende Clicker ist meist so gefräst, dass er sich auf seinem Haltstift ein wenig auf und ab bewegen kann. Das Zahnrad presst ihn hoch und zur Seite, die Feder drückt dagegen, der Zahn rutscht durch, der Clicker fällt wieder in die Fußrundung und macht – click! Die Form und Zahl der Zähne sind ebenso wie der Stahl, aus dem man Zahnräder fräst, eine Wissenschaft für sich. Da aber keine Kräfte formschlüssig übertragen werden müssen, sind Rollenzahnräder mechanisch tolerant. Ein Problem ist eher ihr Klangraum. Ich habe mal eine kleine Rolle mit Nickelsilberseiten gebaut, die ist unerträglich laut. Hab‘ sie Eichelhäher getauft. Räätsch! Die gleiche Rolle mit Delrin-Seiten klingt viel besser. Ritsch! Click & Pawl Rollen sind die berühmten Lightweight Rollen von Hardy, die Marquis Serie, die kleinen Mohlins, die Perfects, die leichten Godfreys, die Forellen-Bogdans, die Peerless oder die Forellenrollen von Engelbrekt. Und viele, viele mehr. Die Bogdans nennt man auch die ‚brakeless‘ Bogdans, womit ich meinen Punkt beschließen möchte. Rollen mit einem Clicker haben keine Bremse. Sie haben eine Hemmung. In der Außenwirkung ist das ziemlich egal, aber gerade Besitzer einer Charlton sind ja unnatürlich stolz auf eine völlig unnütze Eigenschaft ihrer Rolle. Man kann sie so zuknallen, dass sich nichts mehr dreht. Diesen Effekt kann und soll eine Hemmung nicht leisten. Aber sie kann ein 12er Vorfach behüten.

Bo Mohlin lässt die Feder direkt ansetzen und verzichtet ebenfalls auf eine Verstellmöglichkeit.

Im normalen Drillgeschehen unterhalb einer 25 Kilo Grenze, also mit Huchen, Lachs und Hecht, aber ohne Marlin, Segelfisch und Thun, wird man die Oberstufen einer Bremse nie brauchen. Eine Bogdan hat elf Stufen, man braucht drei, höchstens vier. Keine Ahnung wozu die anderen sieben sind. Darum gibt es zwei Mannschaften, die Clicker-Boys und die Brake-Boys, die miteinander um den 20 Kilo Silberpokal mit den Flossen dran antreten. Kann wohl sein, dass beide Gruppen mal unfreundlich miteinander reden, aber die international zur Verfügung stehenden Videos haben sie so was von entlarvt, dass sämtliche Rollenbauer weltweit nun die Köpfe hängen lassen. Beide Gruppen drillen ähnlich blöd. Da wird mit zwanzig Meter Knüddeltüddelschnur gedrillt, obwohl der Rollenbauer ein Getriebe eingebaut hat. Da wird im gesamten Drill mit den Fingern gebremst, obwohl eine erstklassige Hemmung dahinter wartet. Da wird gar mit den Fingern dem flüchtenden Fisch Schnur zugefüttert, obwohl hinten dran ein 130 Millimeter Wagenrad mit perfekter Bremse lauert. Wozu hat denn der Ingenieur überhaupt studiert. Die besseren Driller greifen innen in die Spule und bremsen mit dem Daumen, aber das sieht bei einer 7000 Dollar teuren Bogdan 400 auch lächerlich aus. Allgemein erkennt man an den Videos einen großen Unwillen die Technik machen zu lassen. Das liegt zum einen sicher am Mangel an Übung mit großen Fischen, zum anderen wohl auch an der Neigung wie früher als Kind die Schnur anfassen zu wollen. Santiago, Hemingways alter Fischer, drillt seinen Fisch ja auch von Hand. Und er redet mit sich und seinen Körperteilen. „Jetzt kannst du die Schnur loslassen, Hand,“ sagt er an einer Stelle, „und ich werd‘ ihn mit dem rechten Arm allein drillen.“ Der erste Satzteil muss Motto werden. Haben Sie eine Ahnung, wie lange man justieren muss, bis ein Clicker richtig funktioniert, welche Agonie hinter einer vom Hofe Bremse stecken kann? Kein Rollenbauer wird ins Wasser kommen und Ihnen Ihr Geld zustecken, wenn sie seine Arbeit nicht würdigen. Aber wenn Sie sowieso alles mit der Hand machen, dann können Sie sich mit einem Drahtbügel aus der Wäscherei und einer alten Schnurspule auch selbst eine Rolle bauen. Nen‘ alten Küchenschwamm als Hemmung einklemmen und dann man los. Das hat doch auch funktioniert als wir acht waren. Da das auch keine Lösung ist, wäre mein Rat an die Fischer, die gern sehr viel mit der Hand arbeiten, eine Rolle mit Bremsrand oder rotierender Seitenplatte zu kaufen. Wer gern mit der Hand in den Drill eingreift, aber auch die Hemmung ihr Ding machen lässt, dem genügt es den Daumen innen auf die Spule zu pressen. Kann es gelingen, der Technik doch ganz zu vertrauen, ist eine Bremse die richtige Wahl. Dies alles, wohlgemerkt, unter 25 Kilo der Fisch. Weiter oben bei den Kilos lauert der Fassbinder Film „Rolle essen Clicker auf“.

Ingo Karwath