Der Grizzlybalg ist eine Ikone des Fliegenbindens. Obwohl…
Grizzly kann man gemäß der Rechtschreibreform nun auch Grisli schreiben, aber mir gefällt das nicht. Klingt irgendwie harmlos und niedlich, wie ein Schweizer Knabbergebäck. Dabei geht es hier ja gar nicht um den Grizzly, den respektierten Ursus horribilis Nordamerikas, sondern um den viel kleineren Grizzlyhahn. Den es recht eigentlich gar nicht gibt … In den sechziger Jahren, an deren Ausgang sich in mir so langsam der Gedanke formte, ein Fliegenfischer werden zu müssen, wurde der Grizzlyhahn sozusagen erfunden. Natürlich gab es schon vorher Hähne mit dunkel und hell gebänderten Federn, aber für schwarz und weiß war noch der Name Plymouth Rock üblich, grau mit weiß nannte man Chinchilla, Multi Variants sind hell und dunkel gebändert, in verschiedenen Farben, wobei Cree eine Sonderform ist, die im Idealfall schwarz, weiß, creme, ginger und braun vereint, aber auch ohne creme als Cree verkauft wird. Chinchilla gab es auch in Brauntönen, als Ginger Chinchilla und Brown Chinchilla, und hinzu kommt noch Sperber, eine deutsche Bezeichnung für Bälge, bei denen der dunkle Streifen, ob nun grau oder braun, deutlich viel breiter war als der helle. Die alten Handelsnamen dieser Bälge konnten von Laden zu Laden verschieden sein, denn Geschäfte für Fliegenfischer waren nicht eben zahlreich, und die Ladenbesitzer waren wie Fürsten für uns Fliegenfischer, wie Oasen in einer Wüste aus Mepps und Effzett, und wenn da Chinchilla braun an einem Balg stand, dann war das Gesetz und galt.
Die heilige Hechel der fünfziger und sechziger Jahre war ohnehin die blaugraue Blue Dun. Ich habe zur Stichprobe mal bei Marinaro quergelesen und keine Fliege mit einer Grizzlyhechel gefunden. Er steht damit also in bester Halford Tradition, diese Hechel zu ignorieren, denn die Coloristen unter den imitativen Fliegenbindern schätzen nun mal die eindeutige Farbe, bzw. deren Schattierung. In den USA waren Harry Darbee und Andy Miner berühmt für ihre blaugrauen Hähne, und auch in England, Frankreich und Belgien, ganz sicher in Dänemark und ebenfalls in Deutschland und Österreich, bemühten sich einige Fliegenfischer um private Zuchten. Preben Torp Jacobsen, der auch als „the naughty dane“ bekannte Tierarzt und Weltmann aus Hvilsom, züchtete mit blauen Andalusiern, und in meinem alten Tagebuch kleben noch ein paar Hecheln, mit denen ich entgegen einem Versprechen nie gebunden habe. Als Erinnerung sind sie mir lieber. Erstklassige Hecheln wechselten früher den Besitzer wie Drogen: In kleinsten Mengen unauffällig verpackt, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, nicht selten im Tausch gegen andere Seltenheiten. Oder Informationen. Daran sollte sich mittelfristig etwas ändern, denn in den USA entstand Ende der 60er Jahre ein öffentlicher Markt für Zuchtbälge. Aber obwohl der Golfstrom doch so günstig in unsere Richtung geht und sogar Glasaale die weite Reise schaffen, kamen die Super-Bälge zunächst nicht über den Atlantik. Meine erste Begegnung mit einem Hoffmann Super-Grizzly fand in den 70er Jahren auf einem Balkon an der Kyll statt. Der Balg gehörte unserem Freund Willard McQuarry, und immer wenn der über die Landschaft schaute, zupften der Udo und ich eine Hechel heraus und banden je einen Palmer. Willard war Colonel beim ISR, kein Zweifel also, dass er uns durchschaute. Die losen Palmer konnte man nämlich mit einem kleinen Schnitt später auflösen und zwei normale „Mosquitos“ damit binden. Hecheln waren eben wirklich wie Drogen. Die Dealer hießen Metz, Hoffmann und Hebert, und ihr Geschäft war straffrei. Nach und nach verschwanden meine besten Bälge aus dem heißen Indien und dem fernen China in dunklen Kisten. Ich tauschte Romantik gegen Genetik.
Dabei habe ich den fernöstlichen Bälgen meine ganze Lehrzeit zu verdanken. Die Hecheln waren eigentlich immer zu kurz, die Fibern immer zu lang und der Flaum viel zu viel. Trotz alledem kann man eine wirklich klassische Fliege nur mit einem Indienbalg binden, denn nur dann hat sie die füllige Mitte, vom Flaum, und die nachgiebigen Fibern, mangels Qualität, und sitzt einfach anders auf der Oberfläche als eine Genfliege. Aber bevor Sie nun romantisch werden und losbinden, sei an die alte Krankheit dieser Fliegen erinnert. Blubb, blubb, weg ist sie! Da aber Retrodesign und Inder ohnehin gerade im Gespräch sind, kann man es vielleicht doch einmal versuchen. Die Fliegen im alten Stil sind nicht zum metronomischen Absuchen der Wasseroberfläche gedacht. Sie sind dazu da, einem Fisch in Position ein Angebot zu machen. Die Genhechel aber schwimmt, wo andere tauchen. In ihrer steifen Bürstigkeit kann sich kein Wasser halten, und ist einmal ein Tropfen drin, vertreiben ihn die Luftwürfe. Die Hecheln sind so lang, dass man vollständige Palmer binden kann, und 24er Mücken sind auch kein Problem. Aber leider sind die großen Züchter nicht mehr dem Produkt und dem Binder verpflichtet, sondern dem Gewinn, und da scheint mir der Bogen überspannt. Man hat vermeintlich gute Eigenschaften ausgebaut und versucht, sie wie geschnitten Brot zu verkaufen. Im Endeffekt hat man nun einen Mops, der nicht mehr atmen kann. Als Binder möchte ich aber einen, nur EINEN! Balg, mit dem ich die Größen 14, 16 und 12 zahlreich binden kann, 18, 20 und auch 22 nehme ich dankbar an. Ich will eine Hechel für eine Fliege und diese seelenlosen 20 cm Hechelschlangen will ich nicht. Ich würde gern am oberen Rand 10er und 8er Hecheln finden, gern auch ein paar Federn für Streamer, und an den Seiten will ich Spades, für Schwänzchen. Ich persönlich will also dreißig Jahre zurück in der Qualität, und ich kaufe die Marke, die diesem Anspruch möglichst nahekommt.
Grizzlybälge sind nicht gerade eine alltägliche Handelsware und darum hat man weder in Brüssel noch sonst wo eine verbindliche Qualitätsnorm ausgebrütet. Das geht auch gar nicht, und letztlich werden wir mit den Klassifikationen 1 und 2 und 3, oder Gold, Silber, Bronze, oder auch AAA, AA und A weiterleben müssen. Die Fortschritte und Rückschritte in der Zucht führen ohnehin zu einer gleitenden Klassifikation, die sich verändert hat und verändern wird. Das Internet bringt es mit sich, dass Bälge mit einer Lotnummer verkauft werden. Man kann also den Balg, den man kaufen möchte, vorher exakt auf Fotos ansehen. Denn es gibt Bälge besser als Klasse 1 oder Gold, und die kosten dann schon mal 300 Euro und mehr.
Eine moderne Hechel hat, von ihrem geraden Wuchs, dünnem Kiel, der Länge und Fibernzahl mal abgesehen, auf ganzer Länge höchstens 20 % Flaum. Die kleinsten Hecheln findet man an den sogenannten Balghörnern, aber so 18 mm kurze Winzlinge für 28er Haken sind eher ein theoretisches Angebot. Auf den Hörnern sitzen aber auch ca. 160 Hecheln mit 2 bis 3 mm kurzen Fibern, die für klassische Midges so um Hakengröße 24 schon eher brauchbar sind. Nach den Hörnern findet man auf zwei cm Balglänge um die 200 Hecheln für 22er Fliegen und weiter runter einen cm mit 100 Hecheln für 20er und 18er. Es folgt ein cm mit 16er und 14er, und dieser Sweetspot ist eine begehrte Stelle, leider oft nur mit 100 Hecheln. Dann läuft der Balg aus in den 12er Bereich und größer, den man für große Trockenfliegen, Bomber und Streamer gern benutzt. Seitlich von den Hörnern abwärts findet man die Spades, kurze Hecheln mit langen Fibern, fast flaumfrei und ideal für Schwänzchen. Ein gerupfter Balg zeigt dann meist dieses Bild: Rand und Mitte fehlen, ein paar 10er oder 8er sind noch da, und das Kleinzeug ist reichlich vorhanden. Die 12er bis 20er sind alle weg. Ein langjähriger Binder hat meist mehrere dieser Reste, die man immerhin noch verschieden färben kann. Früher habe ich Bälge mit Freunden geteilt und selbst gefärbt. Im Handel gab es nur ganze. Ich kann mich noch an die Erleichterung erinnern, als sich ein mittig rasierklingengetrennter Balg nach der Färbung in braunem und grünen Simplicol nach der Trocknung als perfektes Ergebnis zeigte. Man tut nicht jeden Tag etwas für 100 DM in den Topf, schon gar nicht als Student. Heute kann man gefärbte Bälge kaufen, und nur außergewöhnliche Farben machen noch einen DIY Sinn. Bei den Grizzlybälgen sind wir Fliegenbinder geradezu überversorgt, und es sind eher andere Farben, die fehlen, und es kommt auch mal vor, dass eine Bindemode den Markt in einem bestimmten Segment leerfegt.
Obwohl sie in Bindeanleitungen wegen ihrer farblichen Unstetigkeit nicht auftauchen und ihre Vermarktung darum schwer zu steuern ist, sollte man ein Auge für alle Sorten gebänderter Variant-Bälge entwickeln. Sie hätten eigentlich ein Grizzly oder eine der anderen bekannten Farben werden sollen, sind aber so verschiedenfarbig mit Streifen, Flecken und Punkten und weißen oder einfarbigen Hecheln durchmischt, dass sie ein Nebenprodukt der Zucht sind und ohne Markennamen in den Handel kommen oder „Reject“, „Tyer“ oder „Commercial“ gestempelt werden. In meiner Zeit als Chefredakteur von „FliegenFischen“ bekam ich mal ein Paket von Metz USA, das ich erst mit einer tierärztlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung vom Hamburger Zoll abholen durfte. Inhalt zweihundert Rejectbälge, die ich vielfach verschenkt habe und selber benutzte. Ein echter Grizzly war nicht dabei.
Die Marktlage bei den Grizzlys hat sich gut entspannt. Wenn man einen schönen Rooster kaufen möchte, wird man den in der Regel auch bekommen. Den muss ein Binder eigentlich haben. Auch ein braun gefärbter ist sinnvoll, für Sedges und Käferchen. Über die anderen Farben kann man bei Bedarf nachdenken. Viele Binder arbeiten gern mit einem Grizzlysattelbalg, den ich wegen seiner aallangen Federn jedoch nicht leiden kann. Ich finde die Anmutung einfach zu genetisch. Ich möchte bei einer Feder so gerade eben noch glauben können, sie wäre ein Naturprodukt, und ich habe auch keine Lust, auf meinem Bindetisch Hechelstückchen und -reste zu verwalten, die ja gut brauchbar und wertvoll sind. Die Sattelhechel ist für Züchter interessanter, denn ihr genetisches Potential ist natürlich höher als das eines kompletten Balges. Der ja viel mehr Variablen hat. Eine möglichst lange Sattelhechel mit einem zähen, dünnen, viereckigen Kiel, mit etwa 70 flaumfreien, gleichlangen Fibern pro Zentimeter ist heute schon möglich und wird uns auf die Fliegengröße abgestimmt nicht mehr als Balg, sondern als Bündel verkauft. Man verkauft die Idee, eine bestimmte Menge uniformer Fliegen damit binden zu können. Das ist wie die feindliche Übernahme von Bruder Hahn, dessen Tranchen nun in den Markt eingespeist werden. Ein ganzer Balg ist old school. Überhaupt gibt es den Balg als solches ohnehin nicht mehr, denn wir haben ja den Rooster, den Saddle, den Hen, den Hen Saddle, wir haben Rooster Spey und Hen Spey, Chickabou auch und dann noch Tailingpacks. Der allgemeine Rooster, also der Hahn, kommt dann noch in den Spezialangeboten Saltwater, mit durchgängig großen Hecheln, Streamer, optimiert als Flügelfeder, und Swing, Salmon oder Steelhead, ein eher weicher Hahn für den Zweihandfischer.
Das ist natürlich eine schöne Vielfalt, aber auch verwirrend und ein Griff in unsere Taschen. Mit einem Rooster wird man in der Regel von Größe 24 bis 10 binden können. Die Spades wurden leider weggezüchtet, und so benötigt man für Schwänzchen ein Tailingpack. Einen Hennenbalg sollte man sich gönnen, und wer an der Küste fischt, träumt natürlich von einem schönen Spey Rooster. Die sind aber gern mal ausverkauft, und Spey Hen hat da eine Lücke gefüllt. Insgesamt kürzer, aber auch sehr schön. Chickabou vervollständigt das Sortiment. Man kann sich Bälge prima teilen und die Kosten halbieren. Sinnvoll ist auch eine Analyse der eigenen Dosen oder der Bindeabsichten, denn wie schon mit Marinaro erklärt, benötigt der Trockenfischer Grizzly meist nur für „Hexe“, „Griffith’s“ und „Mosquito“. In dem Klassiker „Zwanzig Fliegenmuster reichen aus“ von Jean Paul Metz wird nicht eine Grizzylhechel gewunden, nur zwei Flügelspitzen tauchen mal auf. Man muss also sorgfältig überlegen, was man am Bindetisch benötigt und besitzen möchte. Selbstanalyse, Marktanalyse, kaufen – was für schöne Probleme.
Ingo Karwath