Fliegenbinden ist keine Kunst. Fliegenbinden ist eine Passion und ist ein Handwerk. Ein altes Handwerk. Die Fliegenbinder haben sich nie zu einer Zunft aufgeschwungen, aber noch vor Jahrzehnten wurden viele Informationen nur im Flüsterton vermittelt. Alles war irgendwie geheim. Sie werden sich vielleicht erinnern, wie aus den frühen Kugelkettenstreamern und dem Klebstoff für die ersten slowenischen Sedges ein Riesengeheimnis gemacht wurde. Dabei war es nun wirklich kein Problem, eine dünne Kugelkette in Segmente zu zerkneifen und im Baumarkt einen flexiblen Kleber zu besorgen. Nimm‘ Vergaserkleber, so wurde geflüstert.
Die Zeit der Bindegeheimnisse ist vorbei. Kurse, Bücher, Magazine und das Internet lüften über kurz oder lang jedes Geheimnis. Dafür gibt es neue Geheimnisse, etwa die Gewinnmargen bei den teuren Bindekunststoffen. Es wechseln die Zeiten, aber ein paar dunkle Stellen bleiben.
In den vergangenen fünfhundert Jahren wurde eine unbekannte Anzahl von Kilometern Bindefaden um Millionen von Haken gewickelt. Die Zahlen lassen sich nicht einmal annähernd schätzen. Die Kreisbewegung um eine Achse ist die zentrale Bewegung der Binderei. Eine frühe Frauenbewegung, könnte man sagen, denn schon immer ließen Männer Fliegen von Frauen binden. Jedenfalls nachdem sie die Muster erfunden hatten.
Versuchen Sie es doch einmal selbst. Halten Sie den Zeigefinger der linken Hand ausgestreckt nach rechts zeigend vor sich hin. Pressen Sie nun den Daumen und Zeigefinger der rechten Hand mäßig aufeinander und machen nun damit ein paar Kreisbewegungen um den ausgestreckten Finger ihrer linken Hand. Linkshänder versuchen es natürlich umgekehrt.
Das ist alles. Mehr muss man als Binder zunächst nicht können. Zu dieser kleinen Kreisbewegung sollte sich nur noch der Wille zum guten Handwerk gesellen, und schon sind Sie auf dem Weg zum vollkommenen Binder. Oder zum verkommenen Binder, der sich etwas darauf einbildet, ganz saumäßige Fliegen zu binden.
An dieser Stelle möchte ich einen Markstein setzen. Die handwerkliche Qualität einer Fliege hat nämlich wenig mit ihrer äußeren Form zu tun. Man muss nur einen Blick dafür haben, wie sorgfältig und haltbar mancher „Besen“ gemacht ist, oder wie mies eine hübsche Fliege auf den Haken geschlampt wurde.
Gutes Handwerk und schlechtes Handwerk liegen oft nur einen Gedanken und ein paar Sekunden auseinander. Es ist keine Frage des Könnens, sondern eine Frage des Wollens. Und eine Frage des Wissens. Aber bevor wir da in die Details gehen, fangen wir zunächst mit den Grundlagen an.
Das Werkzeug
Mein Bindestock ist um einiges älter als 30 Jahre. Ein HMH, ohne Neigungsverstellung, den Bill Hunter in seinem Werkkeller noch persönlich poliert und montiert hat. Er hat so um die 500 Mark gekostet, aber jeder Pfennig hat sich bezahlt gemacht.
Ich würde einem Bindeanfänger, sofern er sich über seine Absichten klar ist, zu einem sehr guten Stock raten. In Deutschland wird jede dritte Ehe geschieden. Ein Fliegenbinder aber bleibt meist ein Fliegenbinder. Darum darf der Stock auch so viel kosten wie ein Ring. Es ist jedoch klug, diese Überlegung nicht am Küchentisch zu kommunizieren. Na ja, oder schieben Sie es einfach auf mich.
Für einen sehr guten Bindestock spricht zunächst seine überlegene Haltbarkeit. Lassen sich Ersatzteile und Backen kaufen, wird man ihn lebenslang verwenden können. Hinzu kommen technische Qualitäten, denn ein eingespannter Haken muss sich drehen lassen, damit man die werdende Fliege von allen Seiten bearbeiten und begutachten kann. Die Rotation in einer Ebene ist wohl nett, aber mein HMH bietet das nicht. Bleibe trotzdem treu. Ganz schlimm finde ich Rotationsstöcke, bei denen man den Haken im Vorgang drehen soll. Das ist nicht meine Welt. Da sitzt man ja wie früher ein Ankerwickler in der Motorenherstellung am Fließband. Meine Passion ist das Binden, nicht das Wickeln.
Die viel beachtete Haltekraft finde ich nicht so wichtig. Ein Bindestock soll einen Haken so fest wie nötig halten, nicht so fest wie möglich! Ich bin immer wieder sehr erstaunt wenn ich Fliegenbinder beobachte, die sich mit einem ächzenden Geräusch auf den Klemmhebel lehnen und einen Trockenhaken einspannen, als gälte es bei einem 150 Kilo Wrestler die Beinschere anzusetzen. Selbst die allerneuste Wathose, eine Garrison 212 und eine frisch geölte Walker TR 3 können nichts daran ändern, dass eben nur der Haken den Fisch hält. Ein Angelhaken ist kein krummer Draht mit Spitze und Öhr. Wie ein Schwert ist er eine Hochprodukt der Schmiedekunst. Wer ihn im Bindestock festballert und in seinem Gefüge schwächt, muss sich über aufgebogene oder gebrochene Haken nicht wundern. Empfindsamer Umgang mit einem preiswerten Bindestock ist in jedem Fall besser als Krafttraining am teuren.
Zusätzlich zum Bindestock brauchen Sie noch eine Hechelklemme und eine Bindenadel. Eine Nadel kann man leicht selber herstellen, und bei den Klemmen muss man testen was einem gefällt. Der Whip Finisher ist sehr wichtig. Meiner ist fast vierzig Jahre alt, und ich bin von ihm abhängig. Man könnte mich im REM-Schlaf wecken, mir das Ding in die Hand drücken, und noch mit Augen zu mache ich damit einen Kopfknoten. Um ja kein Risiko einzugehen, habe ich mir von dem Modell einen kleinen, unangetasteten Vorrat angelegt.
Jetzt fehlt nur noch eine kleine, scharfe Schere, die auch gut zu unseren Fingern passt. Ich habe mal eine Zeit mit der Schere in der Hand gebunden, also Bobbin und Schere zugleich geführt, habe das aber wieder aufgegeben. Ein Chirurg hat ja auch nicht immer Sachen in der Hand. Einen Haaraufstoßer könnte man sich noch besorgen, aber Haare ablängen geht auch mit den Fingern. Ich besitze immer noch meinen allerersten Bobbin, den ich mal mit Faden und Klebstoff provisorisch repariert habe, aber auch noch einen ganzen Schwung andere. Der Rollenbau hat es ergeben, dass ich mir Bobbins selber machen kann, und da entwickelt sich gerade was.
Die Hände und Finger sind unser Hauptwerkzeug. Sind zwar nur zehn, aber sie spielen zusammen wie elf. Das ideale Zusammenspiel erwächst aus dem Training. Versuchen Sie unbedingt Minimalist zu bleiben. Stock, Klemme, Nadel, Whip Finisher, Schere, Bobbin – Schluss! Gehen Sie zu Ihrer inneren Geschäftsleitung in den achten Stock, bevor Sie was dazu kaufen.
Die Bindeseide
Besser wäre wohl Faden, denn wer bindet noch mit Seide. Können Sie sich noch an diese kleinen Holzspulen mit Seide erinnern? Schimmernde Farben, mal dicker, mal dünner, gelegentlich ein Knötchen, und schief angucken genügte für einen Abriss. Gossamer und Naples waren meine ersten Fäden. Dazu indische und chinesische Bälge. Das sind die apokalyptischen Reiter des Bindeanfängers. Jede Wicklung, jeden Schnitt und jeden Griff musste man vorher überlegen und genau ausführen, sonst gab es ein Malheur. Wenn Sie mal einen Hauch der alten Zeit erleben möchten, dann binden Sie bitte eine 18er „Tricolore foncé“ mit Gossamer und indischen Bälgen.
Aber selbst die alten Seiden hatten ein paar Vorteile, die wir heute vielleicht vermissen. Seide hat ein großes Quellvermögen und kann viel Lack aufnehmen. Eine innen und außen lackierte Fliege ist deshalb sehr haltbar. Gewachste Seide hat einen sehr guten Griff und lässt sich gut über ansteigende oder abfallende Schrägen wickeln. Sie klettert gut. Damit sind Tricks möglich, zumal bei klassischen Lachsfliegen, die mit Kunstfäden schlechter gelingen.
Die Zeiten der Seide sind natürlich vorbei, aber es sollte klar sein, dass nicht allein die lineare Reißfestigkeit einen guten Faden ausmacht. Ein Bindefaden ist keine Vorfachspitze. Er hat eine völlig andere Aufgabe. Ich binde seit Anbeginn meiner Karriere mit Danville Flymaster 6/0, das ist mein Faden, aber unsere Beziehung kriselt gerade. Ich hatte in letzter Zeit sehr viele Spulen, bei denen regelmäßig der Faden riss. So habe ich ein Verhältnis mit anderen Fäden angefangen, und bin auch damit sehr zufrieden. Seinen Lieblingsfaden muss man selber finden. Lineare Zugfestigkeit, Abrieb und Empfindlichkeit, Verhalten mit Lack, Farbe, Wachs und Klebstoff, Griffigkeit, Auftrag, Dubbingannahme, Spaltbarkeit und Klettervermögen. Ein notwendig subjektiver Test. Das entscheidet man allein. Man bindet ja auch allein. Ist ja kein Mannschaftssport.
Für Bindearbeiten im XXS und XXL-Bereich benötigt man wieder andere Fäden und sollte auch hier testen. Oft gibt es den gewählten Alltagsfaden auch dünner oder dicker. Dann ist man fein raus. Selber testen und entscheiden. Selbst ist der Mann. Die Frau sowieso.
So, Bindestock, Werkzeuge und einen Faden haben Sie jetzt, und es stellt sich die Frage, wie man den weiteren Einkauf gestaltet. Sehr beliebt ist das Chaosprinzip, bei dem man einfach alles kauft, was einem in den Sinn kommt. Das wird teuer und sehr unübersichtlich. Man könnte besser eine umfangreiche Materialliste schreiben, ordnen, umordnen, verbessern, zusammenstreichen, erweitern und dann zum Einkauf schreiten. Das wird teuer, ist aber ein guter Ansatz.
Vielleicht ginge der praktische Ansatz besser. Schreiben sie zunächst sechs oder zwölf Fliegenmuster auf, die Sie unbedingt binden möchten. Aus dieser Aufstellung ergeben sich die benötigten Haken und Materialien, die man dann bestellt. Manches wird sich doppeln und muss nur einmal besorgt werden. Für eine „Alexandra“ braucht man z.B. Flachsilber, Ovalsilber, schwarze Henne, Pfauenschwertfeder und eine rote Feder. Damit könnte man aber auch „Silver Spider“, „Priest“ und „Black & Silver Palmer“ binden, und das sind nur die Spontaneinfälle.
Auf diese Art nähert man sich konsequent einer umfangreichen und sinnvollen Materialsammlung. Nach einigen Jahren kann man praktisch jede Fliege binden und hat die Kosten wie Raten aufgeteilt. Wie in jedem Handwerk gibt es allerdings auch beim Binden das Phänomen, das just die eine Kleinigkeit fehlt die man braucht. Man möchte eine „Copper John“ binden und hat alles da, nur Thin Skin ist alle. Nun bloß keine dünne Haut bekommen, sondern die Chance souverän nutzen. Was könnte man sonst noch gebrauchen? Diese Bindehändler, so seriös sie auch aussehen mögen, sind doch alles Drogendealer. Sie lauern an den Ecken des Internets auf hilflose Abhängige wie mich, und schon sind wieder 84,95 bei PayPal abgebucht, weil mir zu Thin Skin noch so dies und das einfiel. Es gehört nach wie vor zu meinen Angewohnheiten, alle Naturmaterialien für ein paar Tage einzufrieren. Was immer darin lebte ist dann dahin. Milben, Federlinge, sollte man sich nicht ins Haus holen. Eine frisch gefrostete Tüte Rebhuhnfedern kommt dann nicht in eine große Kiste, sondern wird zunächst geputzt. Dabei wird jede Feder kontrolliert und entflaumt. Das verringert die Federmenge ganz erheblich und erzeugt viel Freude, wenn man später bindet. Bei der Verwahrung versteht sich von selbst das Material trocken und vor Motten und Schädlingen aller Art sicher zu verwahren. Gläser, Tüten, Schachteln, Mottenpapier, Mottenkugeln, Lavendel und Zedernholz sind Pflicht. Ich rauche außerdem jede Woche eine Havanna im Bindezimmer. Meine Frau will einfach nicht einsehen, dass das sein muss. Eine Kiste mit zehn guten Bälgen kostet allein 1000 Euro. Da kann man schon mal 12 Euro für Schutzrauch ausgeben. Womit wir zur letzten Frage kommen, die viele Noch-Nichtbinder stellen?
Lohnt sich binden?
Da hilft Ihnen bestimmt ein glasklares „vielleicht“, ein präzises „jein“, ein energisches „womöglich“. Geht es um geldwerte Vorteile, biete ich ein klares „nein“ an. Der Nichtbinder möchte eine Woche auf Steelhead fischen und kauft sich 60 „Intruder“ für 10 Euro das Stück. Ich binde mir 200 für das gleiche Geld, verfische aber nur 30 und hab‘ dann 170 über. Man kann das nun drehen und wenden wie man will, hier und da auch mal Fliegen verkaufen, letztlich zahlt man drauf. Wenn es denn ums liebe Geld gehen würde. Macht‘s aber nicht.
Frei von ökonomischen Zwängen und Überlegungen kann ich die wunderbare Fummelei mit Haken, Federn und Haaren erleben und genießen. Im Licht der Bindelampe zu sitzen, Federn zu Fliegen und Träume zu Plänen werden lassen ist eine Meditation. Binden ist die Synthese von Weg und Ziel, von Prozess und Produkt, von Hand und Herz. Man findet Glück am Bindestock. Nun denken Sie nicht ich spinne. Obwohl, stimmt ja irgendwie auch. Die pychologische Literatur bietet uns den Begriff „flow“ an, eine Annahme von Mihaly Csikszentmihalyi, und meint damit das perfekte bei sich selbst sein. Ich erlebe genau das beim Angeln und beim Binden. Darum tue ich beides und werde es nie lassen. Kommen Sie zu uns. Werden Sie Binder! Herzlichst, Ihr Ingo Karwath.