Der Trockenmann Teil 2

Das erste Buch und der Umzug an den Itchen.

Die Fischerei an den südenglischen Kreideflüssen hatte schon eine lange Tradition, als Halford 1877 an den Test kam. Es war allerdings üblich, die Forellen mit allen möglichen Methoden zu dezimieren. Vierzig oder fünfzig „brace“, also je zwei Fische, konnten die Tagesbeute von einem Angler sein. Es waren aber nur wenige Angler, die an den Kreideflüssen fischten, und nach der Maifliegenzeit hörte man für gewöhnlich auf. Die Flüsse verkrauteten, und schützten ihre Forellen vor weiteren Übergriffen. Außer vor den zahlreichen Hechten, die das Kraut sicher vorteilhaft fanden. Trotzdem und trotz des Nahrungsreichtums wurde die Fischerei um die 1850er Jahre stetig schlechter. Der Ertrag aus der Landwirtschaft reduzierte sich ebenfalls, und die Fischwilderei wurde intensiver. Mit durchaus robusten Mitteln. Der Bowler wurde ja erfunden, um Wildhüter, Keeper und Parkwächter vor Schlägen auf den Kopf zu schützen. Mode wurde er erst später. Hinzu kam die Verschmutzung der Flüsse, die entweder von einzelnen Höfen oder aus Städten kam, weniger von Industrien.

Schon 1836 hatte Ronalds in seiner „Fly Fisher’s Entomology“  47 Arten beschrieben, die man mit Fliegen imitieren kann, aber in dieser Hinsicht herrschte an den Kreideflüssen eine gepflegte Ignoranz. Es war durchaus üblich die natürlichen Fliegen als „Hares Ear“ oder „Ginger Quills“ zu bezeichnen. Entomologisch war man noch lange nicht auf der Höhe. Bei den gebundenen Fliegen nicht minder, und der Zusammenhang von Insekt und Imitation war längst nicht allen klar, sondern Fliegen hatten einen ganz eigenen Ruf als „Killer“, unter welchen Bedingungen auch immer. Namen wie „Drake’s Extractor“, „Artful Dodger“, „Flight Fancy“ und „Little Wonder“ sind uns verloren gegangen. Aber die ganze Sache entwickelte sich, und kleinere, imitative Fliegen von Eaton & Deller, Mrs. Brocas, Mrs. Ogden, Currell und Mrs. Cox hatten einen guten Ruf. Eine Maifliege wurde als Ein-Fisch-Fliege benutzt, also nach nur einem Fang pensioniert, und es war üblich, sich für die Saison mit zehn Dutzend pro Muster einzudecken. Denn die Verwendung von Parafin musste erst noch erfunden werden. Die alten Maifliegen hatten Kiele unter ihren Körpern, um für Schwimmfähigkeit zu sorgen. Darum die verwunderlichen Bindeanleitungen, bei denen man einen Kiel windet und dann noch mit Raffia abdeckt. Hinzu kommen die gewaltigen Flügel und Hecheln, und es war ein etablierter Trick, nach jedem Wurf das Vorfach bis zum Spitzenring einzuholen und die Maifliege das Vorfach wieder ausdrehen zu lassen. Eine Fan Wing wirkt nämlich wie ein Hubschrauber am Vorfach.

Also, Halford traf am Test auf eine vorbereitete Lage. Vieles, eigentlich fast alles war schon erfunden. Nur der Code, der Kodex, und seine Sprache fehlten noch. Hier nun beginnt Halfords Wirken.

1877 hatte er seine erste Saison in Houghton, und über das Jahr und auch über 1878 wissen wir wenig. Man darf annehmen, dass die wohl höchstens mäßigen Erfolge der ersten beiden Jahre die Initialzündung waren, mit denen Halford der werden sollte der er wurde. Denn er beschloss sich einer ausgedehnten Studie des Flusses, seiner Fische und ihres Verhaltens und ihrer Insektennahrung zu widmen. Ab 1879 wissen wir exakt wie es ihm dabei ergangen ist, denn er fischte bald sechzig bis siebzig Tage pro Jahr und in drei Jahren mehr als hundert Tage. 1879 fischte Halford 37 Tage, davon 28 am Test, und fing fünfzig Forellen mit einem Gewicht von zusammen 41 lbs 10 oz. Am Test erwischte er 16 seiner 50 Forellen.

Die wunderbare alte Zeit war von den Fängen her durchaus nicht so wunderbar wie wir annehmen möchten. Es sollte auch in den kommenden Jahren so bleiben, dass jeder zweite Fischtag kein Fangtag war. Die Gründe sind vielfältig. Am Test wurde besetzt, aber nur mit Fingerlingen. Die Befischung von Houghton erfolgte durch 20 höchst motivierte und teils sehr erfahrene Angler. Halford fischte zuerst eine 11 Fuß Eaton & Deller und dann eine 10,5 Fuß derselben Firma, 11 ¼ Unzen schwer. Die Fliegendosen waren schwer und es war üblich eine nass gewordene Fliege mit dreißig und mehr Luftwürfen zu trocknen. Und mehr noch: Halford galt eher als langsamer Fischer, kümmerte sich rührend um Gäste und nahm sich mehr Zeit Insekten zu studieren als Fische zu fangen.

Das alles hat Halford nicht angefochten. Unerschütterlich saß er in seinem angemieteten Räumen in der Halford Mill und widmete sich seinen Studien. Bis 1881 fischte er gern allein. Ab da aber formte sich langsam eine Freundschaft mit George Selwyn Marryat, die ab 1884 zu einer intensiven Zusammenarbeit an einem Buchmanuskript führte.

Dazwischen, wenn man so sagen darf, nämlich 1882, trat der Öhrhaken in Halfords Leben, und mit dem Haken von Carlisle und dem Knoten von Mayor Turle begann eine neue Bindeepoche.

1883 verlor „The Field“ mit Francis Francis den anerkanntesten Angelautoren der Zeit, durch einen Schlaganfall, und William Senior, sein Nachfolger, gab sich alle Mühe diese unersetzliche Autorität auszufüllen. Er überredete Halford zu schreiben, und nach einigem Zögern wurde dieser letztlich einer der prominentesten Autoren und lieferte bis 1912 über 200 Artikel ab. Derweil er weiter mit Marryat an seinem ersten Buch arbeitete. Sein Verleger, R.B. Marston von Sampson Low hatte in „The Field“ immer mal eine Vorankündigung gemacht, und so waren im April 1886 die 100 Luxus-Editionen schon verkauft, und die erste Auflage von 500 „Floating Flies and How to Dress Them“ war zügig ausverkauft. Das Buch stellte 90 Fliegen vor, von denen 55 Eintagsfliegen waren. Halford war in diesem ersten Buch noch nicht so streng, aber seine Ansage war klar: An Kreideflüssen hatte man trocken zu fischen. Seine Muster waren überwiegend mit Kielen gebunden, auch mit Seide, einige mit Raffia und Pferdehaar, aber Dubbing kam selten vor. 

Das Buch wurde begeistert aufgenommen, aber ein paar anglerische Schwergewichte wie Senior und Marston lehnten den absoluten Fokus auf die Trockene ab. Und aus Halfords Fangbüchern wissen wir, wie viele Fische er mit der „trockenen“ Hares Ear fing. Von dieser Fliege ist es nur ein winziger Schritt zur Nymphe. Mit den typischen Flügelchen jedoch, und zwei steifen Hecheln gebunden, ist sie eben doch eine Trockene. Diese für uns klassischen Trockenfliegen sollten für Jahrzehnte der Standard werden, und hinzu kamen eine ausgefeilte Wurftechnik und eine komplexe Fachsprache, die so manchen davon abhielten ein Fliegenfischer zu werden. Außerdem musste man etliche Pfund auf den Tisch legen, um in Hampshire fischen zu dürfen. Dort formte sich eine Elite, die später dogmatischer werden würde als der Hohe Priester selbst.

Der aber war 1886 auf einem Gipfel angekommen. Er war plötzlich berühmt, jetzt erst war er der Halford, den wir kennen, oder zu kennen glauben. Die Fischerei am Test war jedoch immer schlechter geworden, und 1888 gab Halford seine Rute bei Dr. Wickham auf und suchte sich eine neue Heimat.