Kescheritis

Zu viel des Guten! Ja, möglich, aber Kescher essen kein Brot, oder?

Auf einer Bank am Ufer der Hemsila. Die Fische stehen drüben aufgereiht.

Unser Umzug brachte es nüchtern an den Tag. Ich besitze mehr als ein Dutzend Kescher. Das sieht ein wenig gierig aus, und erinnerte mich an den Tag, als auf meine Kosten ein guter Witz gemacht wurde. Es war ein sehr kalter Mai am Spey, die Fangmeldungen mehr als spärlich, und ich hatte in der Battery und dann im Black Boat je einen Springer gefangen. Auf GP Größe 2! Als ich den zweiten Fisch zur Räucherei brachte, schaute mich der Mann hinter dem Stahltresen ernst an und meinte: Two fish seems a bit greedy these days, Sir! Ich muss wohl, jung wie ich war, ein bestürztes Gesicht gemacht haben, denn der ganze Laden brüllte nur so vor Lachen. Man gratulierte herzlich, aber nicht gierig zu wirken war mir seither wichtig. Nun denn, auf dem Dachboden fand sich in einer Ecke sogar mein allererster Junganglerkescher, ein Automatikmodel von DAM, und der rettete mir vermutlich einst das Leben. Oder mindestens meine körperliche Unversehrtheit. Ich war mit meinem rotweißen Leuchtturmfahrrad, eine mäßige Unangepasstheit hatte ich wohl schon immer, zu einem kleinen Tief gefahren, dass wir Weißer Floh nannten. Ein Tief ist ein natürliches, tideabhängiges Gewässer im Norden. Mal strömt es auf, mal ab. Zum Meer hin hat ein Tief ein Siel. Eine große Klappe. Fliegenfischer war ich damals mit 14 noch nicht, aber Flausen von CDC Qualität hatte ich schon im Kopf. Ich hatte eine ABU Spinnrute im Rucksack, eine Quick 220, ein paar Spinner und außen dran mein Netz. Auf dem Weg zum Wasser galt es eine Weide zu überwinden, auf der schwarzweiße Kühe standen, und mittenmang ein Klotz von Bulle. Das sah aber alles sehr friedlich aus, und ich entschied mich für den Zauntrick. Wenn man nämlich am Südstrand an den Bezahlerstrand wollte, musste man ganz dicht links am Zaun zum Wasser gehen – für den Bademeister unmöglich zu erkennen auf welcher Seite man ging – und dort unauffällig ins Gelände abbiegen. Dann nur noch den Strandkorb von Tante Laske erreichen. Selbst wenn sie nicht da war, dort kannten mich alle Damen um zu, alle ex BDM und von April bis Oktober kaltwassergestählt, mein „safe house“ über CIA Niveau. Der Bulle aber war dem Bademeister über. Er kam locker heran. Wahrscheinlich war ich ihm auf seiner kerrygoldgrünen Wiese eine willkommene Ablenkung, egal auf welcher Seite vom Draht. Ich blieb starr stehen, ein Fehler, wie ich schnell merkte. Der Bulle stellte sich auf und warf mit seinen Vorderhufen mächtige Marschbodenklumpen hinter sich. In Ermangelung eines Degens hielt ich hilflos meinen Kescher vor mich hin und löste aus. Der Bulle machte einen schreckhaften Satz nach hinten, ich auch. Aber das hatte er schnell überwunden und brachte sich wieder in Position. Ich lud meinen Kescher durch, löste noch einmal aus, ließ ihn fallen, und sprang rückwärts über den nun nahen Zaun. Wie gut, dass Dick Fosbury 1968 den gleichnamigen Sprung erfunden hatte. Er schaffte 2,44 m, ich zerriss mir schon bei der Hälfte die Hose. Der Bulle hatte sich nicht bewegt. Irgendwie sah er sehr zufrieden aus, und man fragt sich, ob Hornvieh vielleicht Humor hat. Ich hatte keinen und sagte: Ich will ein Steak vor dir! Dann arrangierte ich Rucksack und Würde, blinkerte zwei, drei Stunden auf Hecht, und konnte auf dem Rückweg problemlos meinen Kescher bergen. Später einmal legte ich ihn auf der Holzterrasse vor einer Hütte ab, und irgendwelche Nager zerfaserten in der Nacht das schleimige Netz. Das kann nicht wirklich nahrhaft sein, also vermutlich eine kalkulierte Gemeinheit. Die Tierwelt überrascht immer wieder. Ich kaufte mir einen neuen Kescher von ABU, mit einem goldgelben Netz, und erhob mich damit in den Expertenstand. Weithin sichtbar, das Teil, und damals sehr begehrt. Heinrich Römer besorgte ihn direkt aus Svängsta. Meinen ersten Watkescher erwarb ich dann in Hermagor, und in dem landete auch in der Tat meine allererste fliegengefangene Forelle. Ich habe bis auf den heutigen Tag, von Hansen Flash Forellen an der Küste mal abgesehen, noch nie eine Forelle mit Blech gefangen. Weitere Netze kamen als Geschenk zu mir, denn im Gegensatz zu Ruten und Rollen sind sie ja preislich in einem Segment, bei dem man gern ans Schenken denkt. Von Sabine bekam ich in Göttingen ein Cascade Lake Teardrop, und ich halte es bis heute in Ehren. Herr Burckert von Burckert Angelsport überreichte mir 150 Mark und ein Hardy Troutfishers Net für einen mehrtägigen Bindekurs. Herr Niedermeier schenkte mir ein Hardy Atlas. Von Bertil Ekholm Erb bekam ich eine großes Holznetz, mit dem ich an der Mörrum in Mai einen 10 kg Lachs landete. Ein blankes Weibchen, foul hooked, und ein vielstimmiger, vielsprachiger Chor hinter mir skandierte laut: Du musst zurücksetzen! Ja, was denn sonst. Da war mehr Missgunst als Stickstoff in der Luft. Ich kescherte den Fisch im Körperschatten, löste noch im Netz die „Garry Dog“, hielt die Lächsin in die Strömung und gab sie frei. Der Chor verstummte enttäuscht. Keiner hatte den Fisch gesehen. Ein Zuschauer sagte mir später, ich hätte wie der abgeklärteste Experte ausgesehen, dabei war die Aktion nur meiner wilden Freude und tiefen Enttäuschung geschuldet. Ein Mailachs, endlich, und dann das. Aber die Dinge gleichen sich aus, und dasselbe Netz erlebte später seinen Triumph mit einer 8 Kilo Meerforelle am Strand auf Langeland.

Einige neue Netze, und nicht eben die beste Qualität, kaufte ich, weil ich das eigene Netz vergessen hatte und die Angelkarte einen Kescher vorschrieb. An der Hemsila musste ich eines kaufen, weil sowohl mein Cascade als auch mein Hardy Netzsäcke mit Knoten hatten und knotenlos vorgeschrieben war. Inzwischen habe ich keine Knotennetze mehr. Mit einer Ausnahme. Vor einigen Jahren kaufte ich das Buch „Net making for sport“, war aber tief enttäuscht, weil es inhaltlich nur um Kaninchennetze ging. Immerhin lernte ich damit knüpfen und habe ein Netz selbst angefertigt. Mein letzter Kauf war ein Brodin Netz mit einem Ghostnet. Eine sehr schöne Holzarbeit, aber das flache Gumminetz hat mir gar nicht gefallen. Die Äschen an der Glomma warfen sich darin hin und her wie geplagt. Für einen geplanten und dann wegen Corona ausgefallenen Trip nach Säxnäs ist an dem Brodin nun ein 80 cm tiefer knotenloser Netzbeutel. Braucht es mehr Beweis für Optimismus? Ich habe sogar ein Netz, um es nicht zu benutzen. Ein Solvkroken Mini, als Ergänzung zum Ketchum Release Tool. Ich trage es dort, wo Netze Pflicht sind, benutze aber nur den Hakenlöser. Ich habe mich schon immer nicht für Zentimeter und Gramm interessiert. Man sieht doch auf einen Bick, was man da gefangen hat, und nur sehr außergewöhnliche Fische möchte ich wohl mal vermessen. Aber im Prinzip sagen die Zentimeter nichts, rein gar nichts. Denn was ist der Unterschied zwischen einer 49er und einer 50er Äsche. Man hat eine große Äsche gekeschert, und ich fände es schade, wenn man das wegen 10 Millimetern besser oder schlechter finden würde. Denn das ist es nicht. Ich besitze auch kein Wiegenetz, weil ich einen schweren Fisch allein erkennen kann. Angeln ist doch kein Fischmarkt. Meine Schätzung von Länge und Gewicht ist immer konservativ, ich vertue mich nach unten. Ein neuer Trend in der Szene sind Guide Netze, mit einem deutlich zu großen Kopf, mit einem deutlich zu langen Stiel, und mit einem mitteltiefen Ghostnet. Da wird der Kescher zu Aquarium, denn die Idee dahinter ist, dem Klienten seinen Fang aufrecht schwimmend in einem Netz zu zeigen. Fische an die Luft zu heben war gestern. Das tut man nicht mehr. Korrekt ist ein Mugshot, also ein Bild von oben in den Kescher. Das ist wie ein Blick in einen Mug, einen Becher, meint aber doch eher ein Polizeifoto, ein Festnahmefoto, wie wir es von Trump und Kohorte gerade überall sehen. Ich weiß nicht, ob in der angeklagten Gruppe ein Fliegenfischer ist. Ich glaube nicht, denn wie sagte meine Oma immer: Wenn der Junge angelt, macht er wenigstens keinen Unfug. Aber dafür ist es in den USA wohl zu spät.

Ingo Karwath