French Leader

ES ist wieder da!

Kamoufil und selber knüpfen. Charles Ritz hätte seine Freude daran.

 Ja, und was, werden Sie fragen, und dann die Antwort wohl gar nicht so toll finden. Das Französische Vorfach! Ähnlich wie Hosen mit Schlitz oder Schlag und andere lustige Dinge der Vergangenheit war ich mir eigentlich sicher, dem Begriff nicht wieder zu begegnen. So kann man sich täuschen. Die Vorfächer von Charles Ritz und die dazugehörigen Formeln waren Ende der 60er, Anfang der 70er mindestens so wichtig wie Fliegen. Im Garten der Marienbrücke saßen oft Vorfachknüpfer und diskutierten eifrig die Längen und Durchmesser von Nylonstückchen, die dann auf den halben Zentimeter genau zu Vorfächern gefügt wurden. Jedenfalls theoretisch. So auf einen bis zwei Zentimeter genau war eher die Realität. Völlig klar, dass ich ein Teil dieser Gruppe war und mit meiner Sammlung von Rhodiaceta Spulen ebenfalls dort saß. Bis dann eines Tages ein großer BMW mit Autotelefon in der Mittelkonsolle gefahren kam und Peter Schröcksnadel ausstieg. Wir lernten uns kennen, gingen zusammen fischen, und der fröhlich pragmatische Ansatz, der den Peter so auszeichnet, entfaltete seine Wirkung. Während ich als Student meine einzige Brunner hütete wie einen Augapfel, prügelte er mit seinem Rollwurf den Bambus bis zum seriellen Hülsenbruch, den er ‚azwickt‘ nannte. Ich wette der Walter rollte mit den Augen, wenn das dicke Auto mal wieder an seiner Tankstelle hielt. Zuviel Entomologie und Fliegengefummel hielt der Peter für Quatsch, und Vorfächer knüpfen für Zeitverschwendung. Ich wechselte abrupt in die Höller-Eisen-Gruppe, die dort gezogene Vorfächer kaufte. Meine WB Spezial war 175 cm lang, und mit einem 7 Fuß Vorfach fühlte ich mich gut gerüstet. In den Jahren und Jahrzehnten danach fischte ich gekauft und geknotet, fischte Braid und Furled, fischte Airflop und Poly. In der letzten Zeit meist gezogene Vorfächer in 9 und 12 Fuß, auf 3x und 0x, denen ich dann ein dünneres Tippet zufüge. Damit komme ich auf 12 bis 15 Fuß praktische Länge. An der Küste mag ich das Vorfach gern noch etwas länger, und habe tatsächlich vor Jahren angefangen wieder zu knüpfen. Sehr simpel, meist dreiteilig, so 2 Meter 45er, 1,5 Meter 35er und 1 Meter 30er mit Schlaufe und dann das Tippet. Das hat sich bewährt, denn jeder Meter, den man einen Fisch aus Zufall nicht überwirft, kann sehr gut ein Biss werden, wenn denn da einer schwimmt. Aber das Französische Vorfach, mit dem wir es jetzt zu tun haben, ist eine ganz andere Hausnummer. Sehr amüsant danach zu forschen. Geben sie bei google mal „french leader“ ein. Da kommt natürlich der Macron. Das ist jedoch für Fliegenfischer der falsche Mann. Wir suchen jemand anderen. Das sogenannte Französische Vorfach wird Jean-Pierre Guillemaud zugesprochen, der es in den 80er Jahren entwickelte. Der entscheidende Unterschied zum klassischen Vorfach ist die völlige Ignoranz von irgendwelchen Relationen, etwa Rutenlänge oder Fliegengröße, sowie die Preisgabe der Idee, das Tippet kontrollieren zu wollen. Das Tippet wird im Prinzip nicht einmal mehr als Teil des Vorfaches begriffen. Das Vorfach endet mit einer Schlaufe oder einem Pitzenbauer-Ring, das Tippet kommt sozusagen als Extra hinzu. Wer selber Vorfächer knüpft wird wissen, dass man als Knüpfer normalerweise eine Zielscheibe im Sinn hat. Die berühmte Untertasse oder auch einen Hulahoop-Reifen. Guillemaud, den viele besser unter seinem Spitznamen Piam kennen, fischte ein Vorfach von fast 5 Meter Länge mit einem Tippet von fast 3 Meter. Das Tippet wählte er teils bis hinab zu 0,08 mm. Atemlose 9x. Wenn dieses Vorfach gestreckt aufs Wasser fällt, ist die Fliege im Idealfall 8 Meter von der Schnur entfernt. Klar kann man ihren Zielpunkt nicht mehr kalkulieren wie ein Turnierwerfer, aber die superscheue Altforelle, die in einem Land von Butterköchen und Chablistrinkern 5 Kilo schwer geworden ist, hat dafür nichts bemerkt. Fliegenfischer wie Jean-Michel Radix, Didier Perrachon, Norbert Morillas und Philippe Boisset entwickelten die Ideen weiter und fischten teils mit Schwimmweste, um mit einem 8x Vorfach überhaupt eine Chance zu haben den Fisch zu keschern. Wenn er denn über 60 cm ist. Nach dem Biss zieht man die CO2 Kartusche auf und übergibt sich dem Fluss. Nur schwimmend hat man die Spur einer Chance zu obsiegen. Nach verschiedenen Artikeln in französischen Magazinen veröffentlichte Boisson 2010 das Buch „De la peche a la nymphe“, lange vergriffen, teils 500 Euro teuer, aber als eBook zu bekommen. Die FFPLM, die in France die Wettkämpfe reguliert, verbot nach einiger Kontroverse Mitte der 90er sogenannte Microfloats, Schrotkörner am Vorfach und mehr als eine Nymphe. Eine wunderbare Reglung. Das führte dazu, dass man in die Vorfächer farbiges Nylon integrierte. Die vielen selbsternannten oder auch geprüften Kursleiter haben teils noch immer nicht reagiert und verteufeln, was ihnen die erworbenen Kompetenzen raubt. Das Tschechische Nymphen ist gegen das Französische sehr einfach und lobbt die Nymphen schlicht stromauf. Das kann man sich einfach selbst beibringen. Doppelzug, Wasserwürfe und Bogenwürfe sind einfach kein Thema mehr, wenn man so ein Vorfach fischt. Das Französische Vorfach ist dagegen ein Florett. Es ist eine Kunst, damit vor den Fisch zu kommen. Die zu lernen sich lohnt.

Das Originalvorfach von Piam knotet man aus 45 cm 0,45, 50 cm 0,40, 55 cm 0,35, 60 cm 0,30, 65 cm 0,25, 70 cm 0,20, 65 cm 0,16 und 65 cm 0,12. Die Spitze dann 250 cm 0,10.

Das Vorfach von Boisson macht man aus 90 cm 0,40, 90 cm 0,35, 90 cm 0,30, 90 cm 0,25 und 90 cm 0,18. Daran knüpft man 280 cm 0,15 bis 0,08.

Das Boisson „short“ knotet man aus 75 cm 0,45, 75 cm 0, 40, 75 cm 0,34, 75 cm 0,30, 75 cm 0,25, dann 60 cm 0,20 in bunt. Dazu kommt ein Tippet von 0,15 bis 0,08 passend zur Gewässertiefe.

Das Boisson „slow action“ besteht aus 50 cm 0,45, 55 cm 0,40, 60 cm 0,35, 65 cm 0,30, 70 cm 0,25, dann 70 cm 0,20 bunt. Dazu wieder 0,15 bis 0,08 Tippet passend zur Gewässertiefe.

Alle Knoten bis 0,30 macht man als Blutknoten, alle Knoten darunter als Chirurgenknoten. Die dünnen 0,08er und 0,10er nimmt man im Knoten doppelt. Das Vorfach und den Bissanzeiger fettet man mit Mucilin weiß. Das Tippet sollte Fluo sein. Jedenfalls mit der Nymphe. Gekaufte Vorfächer verwenden die Experten nicht! Möchte man sich mit der Technik befassen, kann man entweder gleich oben einsteigen, oder aber die Teile verkürzen, denn das Prinzip eines jeden Vorfaches ist ja leicht zu durchschauen. Ein beliebtes Material in Frankreich ist Kamoufil, und so schließt sich der Kreis zum alten Ritz, zu Rhodiaceta, zum Biergarten der Marienbrücke und zur alten Zeit. Keine Neuerung der letzten Jahre bringt auch nur annähernd so viele Fische ins Netz wie diese Vorfächer. Kursleiter, aalglatte Superschnüre und Hyperhyper 1300 Euro Ruten werden daran kaum etwas ändern können. Ein paar Stückchen Nylon haben sie hinweggefegt. Eine leichte 10 Fuß Rute sollte man schon haben. Als Fliegenschnur genügen ein paar Meter Shooting Line von der Lachsrolle. Ob man diesen Weg gehen möchte, muss man selbst entscheiden. Suchen Sie weitere Informationen dazu in Frankreich, nicht in England und den USA. Das sind nur Trittbrettfahrer. Bedenken Sie auch alle Kritiken. Es ist eine Kunst für sich, die dem klassischen Fliegenwurf aber immer noch nahe genug steht. Finden Sie Ihren Weg. Auch mit der Trockenfliege bekommt man damit Driften, von denen man früher nur träumen konnte.  Zumal mit einer Brunner WB, die zu besitzen immer noch erstrebenswert ist. Auch wenn die Kollegen glauben, da fischt einer nur mit dem Handteil. Die Freude und der Anstand, mit denen man fischt, sind nämlich von 175 cm bis 330 cm und vom Höller-Eisen-Vorfach bis zum Französischen völlig identisch.

Ingo Karwath