Die schöne Zeit in Mottisfont.
Das beginnende 20. Jahrhundert markiert wohl den Höhepunkt des Trockenfliegendogmas und Halfords Ruhm und Einfluss ist auf einem Höhepunkt. Nicht auf dem Höhepunkt, denn die 1938er Diskussion um Skues und das Nymphenfischen lässt die rigiden Vorstellungen der Trockenfischer ja noch einmal auf eine große Bühne. Anfang des Jahrhunderts bekam man in den Angelgeschäften Halford Ruten, Halford Rollen, Halford Fliegen, Halford Schnüre und Halford Dosen. Durch den Tod seines Freundes Edgar Williamson war die Saison 1904 Halford‘s letzte am St. Cross Beat. Und es war seine beste Saison aller Zeiten, mit 180 Forellen von insgesamt 221 Pound. Gut vernetzt und wohlhabend wie er war, tat sich für ihn mit Mottisfont am Test eine neue Chance auf. Sein Freund Edgar Valentine Corrie hatte den Beat gepachtet, nahm Halford 1905 mit hinein und übergab ihm für die Saison 1906 die alleinige Kontrolle. Halford sollte hier bis 1913 fischen, und man kann es mit Fug und Recht sein Alterswasser nennen. Er mietete sich Räume im Ort Dunbridge, den er mit der Eisenbahn erreichen konnte. Und stellte Mr. und Mrs. Moore ein. Für fast zehn Jahre entwickelte sich eine wunderbare Routine. Halford kam im April nach Dunbridge und bereitete mit seinem Keeper, Dick Coxon, das Wasser für die Saison vor. Die Besatzabschnitte, die Uferwege und Vegetation, der erste Schnitt der Krautbeete, Arbeiten am Fischerhaus und an einem kleinen Garten waren nur einige der Aufgaben. Mr. Moore fuhr Halford und seine Besucher mit einer Ponykutsche ans Wasser, und kehrte am späten Nachmittag mit einem von Mrs. Moore gefüllten Picknickkorb zurück. Halford hatte keine Passion für Luxusessen und Champagner, sondern einen bodenständigen und mäßigen Geschmack. Völlerei war seine Sache nicht. Das Whiskyregal soll jedoch gut gefüllt gewesen sein, und seine Ausgaben für Zigarren waren legendär. Er soll ein sehr höflicher und zurückhaltender Zeitgenosse gewesen sein, und wir wissen, dass er nie gegen Kritik, sei sie klug vorgetragen oder auch nur blöd herabwürdigend, in irgendeiner Form zurückkeilte. Anthony Quintin überlieferte uns die Erkenntnis, dass die Philosophen Dialoge und Diskussion schätzen, derweil die Weisen dem Zuhörer einfach sagen was Sache ist. Halford neigte zur zweiten Gruppe. Er hat sich in Debatten nie im Ton vergriffen, war bekannt für seine Freundlichkeit und Höflichkeit, für Fairplay und Sportsgeist, er hat unauffällig gespendet und auch direkt Familien in Not unterstützt, er war auch bekannt für Unfug und Scherze und war sich nicht zu gut Forellen mit Sprats Grain zu fangen, einem Fasanenfutter, wenn er gebeten war ein Dinner in London mit Forellen zu unterstützen. Aber diesen ganz privaten Halford kannten nur wenige Freunde. Für die Mehrheit der Fliegenfischer war er eine sehr geschätzte Person, aber weder beliebt noch geliebt. Dazu war die Distanz wohl zu groß. Außerdem war es nicht einfach, der reinen Lehre zu folgen. Man muss sich nur in einen Kollegen der Zeit versetzen. Stressjob in London, freier Tag, Bahnfahrt nach Salisbury, Kutsche zum Test, Wind und Regen, keine Insekten, keine Ringe, kein Erfolg – kurz mal umsehen, Nassfliege anknoten, zwei Zweipfünder fangen, Nassfliege abknoten. Die Fliegenfischer, die da nicht mal schuldig wurden, kann man an einer Hand abzählen. Und natürlich kann man unterschwellig den Kerl nicht leiden, der die Gesetze erfunden hat.
Das hat Halford schon angefochten, aber Mottisfont entwickelte sich so gut, dass er dort sicher seine Freude hatte. Die Zahl der jährlich erbeuteten Hechte fiel von 800 auf um die 50. Im Besatzabschnitt wurden Forellen auf etwa 450 Gramm herangefüttert und zweijährig in den Fluss entlassen. Das Mindestmaß an der Strecke waren 1lb 4oz., so dass die Forellen 100 Gramm Körpergewicht mit Naturnahrung zunehmen mussten. Das wird sich im Einzelfall nach der Nahrhaftigkeit der Insekten und Flohkrebse richten, aber 1000 Gramm Insekten darf man schon annehmen. Insekten wiegt man in aschefreien Milligramm, und man könnte 15 Milligramm Nährstoffe pro Individuum schätzen. So mühsam ernährt sich kein Eichhörnchen. In jedem Fall musste eine 550 Gramm Forelle in Mottisfont ordentlich steigen, um das reinzuholen. Entsprechend gut naturalisiert und fit war der Fisch. Halford hat sich mit solchen Details ausgiebig beschäftigt, und für seine Gäste hielt er eine Auswahl seiner neuen Fliegen parat, die diese fischen „mussten“. Nur ein paar alte Haudegen wie Senior oder Sheringham trauten sich eigene Fliegen zu fischen. Eine der Gäste, C. Ernest Pain, hatte wohl mal einen besonderen Tag mit ausschließlich untermaßigen Forellen, die ab da den Spitznamen „Pains“ trugen.
Alles war wunderbar vorbereitet um sich an diesem schönen Wasser glücklich ins hohe Alter zu fischen. Halford, obwohl bürgerlich, etablierte sich als der zuständige Landadelige der Gegend. Er unterstützte Bedürftige, lud fast den ganzen Ort zum Essen ein und regelte hier und da Probleme. Dann schlug 1907 das Schicksal zu. Florence Halford stürzte am 15. April aus einem Fenster des Beacon Hotel in Crowborough zu Tode. Ihr Arzt hatte sie wegen eines Nervenzusammenbruchs mit einer Krankenschwester zur Erholung nach Sussex geschickt. Ein Selbstmord ist unbewiesen, aber sehr wahrscheinlich.
Für Frederic Halford begann eine schwere Zeit. Er zog sich aus seinem Sozialleben weitestgehend zurück, stellte seine Tätigkeit als Schriftsteller ein, fuhr aber ab Mai wieder nach Mottisfont. Familie und Freunde kümmerten sich um ihn, aber es war ein sehr depressives Jahr. Der Londoner Winter trug nichts dazu bei ihm zu helfen, und Anfang 1908 war er zu Jahresbeginn krank und kam erst im Mai an sein Wasser. Und begann mit Nymphen zu experimentieren! In seinen Fangbüchern ist eine „Martin’s Nymph“ verzeichnet, die wir in ihrer Bindeweise bis heute nicht kennen. Außerdem hatte er Erfolge auf eine „Grannom Pupa“. 1909 machte er weitere Versuche mit Nymphen, hat aber nie davon geschrieben, und muss in dem Jahr den „way of Halford with a nymph“ verworfen haben. Auch seine privaten Schriften erwähnen das Thema nie wieder. Es gibt verschiedene gute Vermutungen warum Halford und die Nymphe nicht zusammenkamen, und eine davon ist, dass es ihm nicht gelungen ist die Technik zu meistern. Skues machte sich ja noch im hohen Altern unbeliebt, weil zu viel und oft mehr als die anderen fing. Er hatte sich jahrelang geschult die Nymphe zu präsentieren und den Biss zu erkennen. Halford und die Nymphe mag ein wenig so gewesen sein wie ein Schachgroßmeister versus einen Fortniteprofi. Es war nicht sein Spiel. Außerdem kam 1910 Halford’s sechstes Buch auf den Markt, „Modern Development of the Dry Fly“.
Anders als man annehmen könnte, beschäftigt sich das Buch nicht mit der Trockenfliege an sich, sondern müsste eigentlich „Development of my Dry Fly“ heißen. Das Buch ist sehr gut aufgebaut und vermindert die nötigen Fliegen von früher 100 Mustern, 1885, auf nur mehr dreiunddreißig Muster. Vermutlich können nur sehr wenige Fliegenbinder den Finger heben, wenn man fragt: Wer hat alle diese Fliegen schon einmal korrekt gebunden? Zwischen den Seiten 56 und 57 findet man nämlich 18 Farbtafeln der französischen Chrysanthemengesellschaft, kein Witz, mit denen man die Farben der Fliegen exakt abstimmen kann. Für den männlichen „Sherry Spinner“ etwa Tafel 298, Farbe 4, Hechel; Tafel 334, Farbe 4, Körper; Tafel 340, Farbe 1, Rippung; Tafel 298, Farbe 1, Schwanz; und drei Wicklungen Pferdehaar als Kopf, Tafel 341, Farbe 1. Diese extreme Hinwendung zur Farbe hatte bereits einige Kritik erfahren, etwa durch Frances oder ganz besonders durch Maxwell. Maxwell hatte mit blauen und roten Maifliegen erfolgreich gefischt, und die argumentative Lösung, seine gefangenen Fische für blöd zu erklären, war schon schwach. Skues und andere schrieben geschliffene Beiträge über die Versäumnisse und Irrtümer des Buches. Die Trockenfliegenpuristen wurden insgesamt mit einigem Humor überzogen und gehörig veräppelt. Trotz aller Kritik haben die Halford Fliegen fast 40 Jahre durchgehalten und wurden erst ab 1945 von den eher impressionistischen Mustern verdrängt. Wichtiger als aller Disput um kleine Fliegen, die schwimmen, und kleine Fliegen, die untergehen, war um 1910 eigentlich die Regenbogenforelle. In die Seen beim Buckingham Palace hatte man sie schon 1903 ausgesetzt, und so langsam kam auch Halford zur schönen Amerikanerin. Die amerikanische Forelle verdrängte anscheinend erfolgreich die Äsche, denn deren Fänge ließen nach und die der Regenbogen nahmen zu. 1912 wurde in Mottisfont die erste gefangen, und 1913 fing Halford’s Enkel Cecil zwei schöne Fische, die mit einem Cooper-Kasten gewürdigt wurden und bis heute existieren. 1913 markiert auch das Jahr einer der besten Mottisfont Bachforellen, denn Halford fing auf eine „Welshman’s Button“ eine Kapitale von 4lb 3oz. Das war zwar nicht sein letzter Fisch, aber 1913 war seine letzte Saison. Im Frühjahr 1914 wollte Halford dem Winter entkommen und reiste nach Tunis und ging einer anderen Passion nach, dem Fotografieren. Auf der Rückreise von Tunis nach Marseilles war er noch wohlauf, aber auf dem Schiff von Marseilles nach London entwickelte sich eine fiebrige Erkältung zu einer Lungenentzündung, und obwohl sein Arzt in Plymouth an Bord kam gab es keine Chance den schwachen Patienten an Land zu bringen. Am 5. Marz 1914 verstarb F.M. Halford auf der „Morea“ kurz vor den Tilbury Docks auf der Themse.
Wer dies alles genauer lesen möchte, dem empfehle ich von Tony Hayter das Buch „F.M. Halford and the Dry Fly Revolution“. Dieser Artikel ruht so heftig auf diesem Buch wie ein Anker am Grund. Herzlichen Dank, Tony.
Ingo Karwath