Mein Englischlehrer und ich standen nicht auf gutem Fuß. Er hatte zu mir gesagt: Ingo, du trägst die Dictionaries zurück! Und ich hatte geantwortet: Da fehlt ein Bitte! Ich musste wegen Aufsässigkeit beim Direx antreten, mich erklären, und bekam recht. Das genügte für zwei Jahre Feindschaft und führte zu einer Drei im Abi, weil er mich tiefer nicht drücken konnte. Hübsch gepaart mit Tadeln, Anrufen bei meinen Eltern, und dem Austeilen meiner Klassenarbeiten erst am Tag nach den allgemeinen Ausgaben. Angeblich um noch zwischen zwei Noten zu entscheiden. Trotzdem war Englisch ein Lieblingsfach, und ich habe positive Erinnerungen an die Inhalte. Der Lehrer selbst ist vergessen. Short Stories waren ein wesentlicher Teil des Unterrichts in der Unterprima und Oberprima, da es das Kurssystem zu meiner Zeit noch nicht gab. Ich fand sie schon damals gut, auch wenn ich Edgar Allan Poes Essay über ihre Konstruktion für Satire halte und „The Raven“ nicht mag. Ich will schöne Frauen glücklich alt werden sehen. Ich verstehe das Poe seine Geister abarbeitete, nur bitte nicht bei mir im Lesesessel. Aber wer bin ich, mir so ein Urteil zu erlauben. Englisch entwickelte sich in meinem Erwachsenenleben ganz vorteilhaft, ich wohnte ein paar Monate in London, wegen Katie, und hatte später als Fliegenfischer viele englischsprachige Kontakte. Angelreisen, zunächst mit Interrail und Jugendherberge, später mit Gehalt und Flugzeug, vollziehen sich ja meist auf Englisch. Allein dreißig Jahre beim NFC an der Gaula zu fischen ist mindestens ein Schuljahr mehr, wenn nicht zwei. Und die Bücher an der Wand hinter mir sind zu 90 % in Englisch. Es ist nun einmal die Sprache des Fliegenfischens. Die Bücher mit Short Stories sind eine Gruppe für sich, und es ist eine besondere Freude, sich mit einem unter die Leselampe zu setzen. Gerade jetzt ist eine gute Zeit zu suchen, zu finden und zu bestellen, gerade im Ausland, und bei meinen Lesetips fange ich mal mit Ernest Schwiebert (1931 – 2005) an. Er hatte mit „Matching the Hatch“ schon als Student Aufsehen erregt, und seine drei Bände „A River for Christmas“, „Rememberance of Rivers Past“ und „Death of a Riverkeeper“, sind eine Lesefreude, die ihresgleichen sucht. Die Texte sind in etwa so voll von Barrieren wie das Rennen von Ascot, und man sollte kein Problem damit haben, dass da jemand den Bildungsbürger aber so was von raushängt und in einer Tour Luxusgegenstände erwähnt. Jeder Erniekenner muss sofort grinsen, erwähnt man nur drei Worte: Cornucopia, Piesporter, Cheese. Aber es ist vollkommen falsch, Ernie auf seine Vorlieben für Luxus, Upperclass und Frauen zu reduzieren. Er hat in einem eleganten und gut wiedererkennbaren Stil das weltweite Fliegenfischen von 1950 an für fünfzig Jahre in wunderbaren Geschichten festgehalten, und das sollte man neidfrei einfach nur lesen und genießen. Denn ein Teil dieser Welt ist schon vergangen.
Nick Lyons, ebenfalls Amerikaner, geboren 1932, ist auch ein Schwergewicht unter den Short Story Schreibern, und es ist viel einfacher, zu ihm einen sympathischen Kontakt aufzubauen. In seinen Berufsjahren war er Professor für Englisch und Herausgeber und Verleger für Fliegenfischen Literatur. Zunächst für Crown, später selbstständig mit Lyons Press. Seine Bücher sind hochanspruchsvoll geschrieben, aber bescheiden und gespickt mit den alltäglichen Schwierigkeiten und Sorgen, die uns alle begleiten. Mit vier Kindern und zwei Jobs kann man nur ahnen, wie wertvoll ihm ein ungestörter Tag am Wasser gewesen sein muss. Dabei die eigene Frau inmitten von Mückenschwärmen am Ufer schlicht vergessen, mal wieder die Fähre nach Martha’s Vineyard nicht rechtzeitig buchen und am Kennet als Taucher und Schlammcatcher zu reüssieren sind so typische Lyons Fehltritte, die mit tiefen Einsichten in alles menschliche und fliegenfischereiliche verwoben werden. „Bright Rivers“, „The Seasonable Angler“, „My Secret Fishing Life“, “Fishing Widows” und seine Erinnerungen “Fire in the Straw” sind eine Lesefreude, und ich beneide jeden, der das noch vor sich hat.
Damit kommen wir zu Ernest Hemingway, der wohl einmal gesagt hat, es gäbe nur einen Grund zu schreiben, und der heißt Geld. Genau aus diesem Grund hat John Gierach, geboren 1946, mit der Schriftstellerei begonnen, als er 1969 nach Colorado zog und beschloss jeden Tag zu fischen. Diese absolut intensive Praxis führte zu einer ertragreichen Autorenschaft, und ein Rezensent nannte Gierach „the undisputet bard of flyfishing“, was beiden einigen Spott eintrug. „Trout Bum“ von 1986 markiert den Anfang seiner Berühmtheit, und seither kennen wir den Begriff Angelpenner. Das ist ein Mensch, der alles Bürgerliche hinter sich lässt, vornehmlich Job und Familie, und nur fischt, fischt, fischt. Für diesen Ehrentitel kann man sich aber nur qualifizieren, so Gierach, wenn man über 30 ist. John Gierach fischt Bambus, meist von Mike Clark, und bevorzugt Trockenfliegen, gern die von A.K. Best. Er beschreibt das Fischen von Alaska bis Texas, und bleibt dabei den Forellen treu, denn auf andere Fische geht er selten einmal los. Er fischt gern allein, aber er ist nicht allein, sondern meist mit Freunden unterwegs, und das Knistern der Lagerfeuer und das Brutzeln der Campingküchen ist wie ein roter Faden in seinen Büchern. Diese Lagerfeuerromantik, gepaart gewiefter Praxis und klugen Ansichten und Einsichten, weckt Erinnerungen an die Zeit der Jugend mit Karl May und Jack London, und es ist in der Tat so, dass Gierach den Rauch von May und die Politik von London mit sich trägt. Wie ich das meine? Kann man durch Lesen herausfinden: „Fly Fishing the High Country“1984, „Trout Bum” 1986, “The View from Rat Lake” 1988, “Fly Fishing Small Streams” 1989, “Sex, Death and Fly Fishing” 1990, “Where the Trout are all as long as your leg” 1991, “Even Brook Trout get the Blues” 1992, “Dances with Trout” 1994, “Another Lousy Day in Paradise” 1996, “Fishing Bamboo” 1997, “Standing in a River waving a Stick” 1999, “Good Flies” 2000, “Death, Taxes and Leaky Waders” 2000, “At the Grave of the Unknown Fisherman” 2003, “Still Life with Brook Trout” 2005, “Fools Paradise” 2008, “No shortage of Good Days” 2011, “All Fishermen are Liars” 2014, “A Fly Rod of your own” 2017, “Dumb Luck and the Kindness of Strangers” 2020, “All the Time in the World” 2023. Lesestoff für Monate.
Dana Storrs Lamb (1900 – 1986) war Partner bei Ingalls & Snyder, einer Investment Firma, die schon vor Jahrzehnten über zwei Billionen Dollar im Markt platziert hatte. Zur Erinnerung, eine Billion ist ein 1 mit 12 Nullen, und Ingalls & Snyder kalkuliert mit 1,5 %. Sein ehemaliges Anwesen auf Long Island ist heute ein State Park. Es ging ihm also einigermaßen und er hat für einen guten Zweck geschrieben. Die Einkünfte aus seinen Büchern gingen stets an Umweltprojekte zur Verbesserung der Forellenwelt, und auch sonst war er philanthropisch unterwegs. Trotzdem erlebt man ihn in seinen Texten nicht als die Distanzfigur, die er eigentlich sein sollte, sondern trotz des Reichtums als einen von uns. Viele seiner Geschichten sind so bewegend, dass man mit dem Buch in der Hand sitzen bleibt und erst einmal durchatmen muss. Etwa die von dem Vater, der seinem in Vietnam kämpfenden Sohn eine Gespließte kaufen möchte, aber auf dem Rückweg vom Postkasten zum Haus mit dem Orvis Katalog in Händen verstirbt. Und so nie erfährt, dass auch sein Sohn nie heimkehrt. Natürlich sind da auch fröhliche, komische Geschichten bei Lamb, aber so richtig Mainstream ist er nie. Es geht ihm mehr um die Existenz des Menschen an sich, nur eben in seiner besonderen Ausprägung als Fliegenfischer. Einige seiner Bücher erschienen in einer kleinen Auflage und sind heute vergleichsweise teuer. Aber es gibt Nachdrucke und Ausgaben, die sich nicht so hoch aufschwingen. „On Trout Streams and Salmon Rivers“, „Bright Salmon and Brown Trout”, “Some silent Places still”, “Not far from the River”, “Green Highlanders and Pink Ladies”, “Woodsmoke and Watercress”, “The Fishing’s only a Part of it”, “Beneath the rising Mist”, “Where the Pools are Bright and Deep”. Wollte man die alle antiquarisch als Erstausgabe kaufen, muss man vermutlich den Preis einer schönen Lachswoche einsetzen. Es ist darum eine gute Idee, sich jedes Jahr zu Weihnachten eine Ausgabe zu gönnen.
Zuletzt sei noch Thomas McGuane erwähnt, geboren 1939, der mit „The longest silence“ einen Platz in der Mitte der Besten hat. Er hatte zu seiner Zeit, milde gesagt, ein aufregendes Leben gelebt, heiße Affäre, Scheidung, neue Affäre, Heirat, Scheidung, alles in einem Jahr. Seine erste Ex-Frau heiratete Peter Fonda. In einem Interview im New Yorker beschwerte er sich unlängst über die Art und Weise, in der Montana regiert wird, nämlich von rechts und an den Interessen der Natur vorbei. Bei der Gelegenheit sagte er auch, ein Mann brauche vier Freunde, zwei Bars, eine gute Bücherei im Ort und einen Platz zum Fischen. Und nimmt man alle diese vielen guten Bücher hier zusammen und zieht ein Summenstrich zur Ermittlung ihrer Quintessenz, dann könnte er recht haben.
Ingo Karwath