Ingo Karwaths Fliegenlexikon Nr. 22 – Troutintruder

Maximal invasiv! Aber mit Augenmaß

Eines der einfachsten Marketingkonzepte mag sein, dass man drei Handtaschen ins Schaufenster stellt und mit 130 Euro, 240 Euro und 440 Euro auspreist. Dazu seitlich eine für 70. Das mittlere Modell wird am häufigsten gekauft, die beiden anderen Taschen sind nur eine Entscheidungshilfe. Die 70er sammelt das kleine Geld ein. Wir haben eine Neigung zur Mitte. Darum hat es sich in der Produktentwicklung bewährt, drei Größen anzubieten. Dieser Gedanke lässt sich nicht auf Beutegreifer übertragen, denn die haben ja oft eine Neigung zum Kleinen, Schwachen und Kranken. Die Erfindung der „Intruder“ folgte da einer ganz anderen Idee, denn sie sind als Störer konzipiert. Sie sollen den Fisch nerven, Territorium verletzen, Aggressionen wecken und einen Angriff provozieren. Wie die Muleta, das rote Tuch des Stierkämpfers. Man hat sie in den Anfängen bis zu 25 cm lang gebunden, aber die Umstände und die Vernunft führten dazu, dass wir heute einen 5 cm „Intruder“ als kurz begreifen, 10 cm als lang, und die goldene Mitte so bei 7 sehen. Und ja, man kann auch 6 und 12 und 9 annehmen.

Die Entwicklung der Switchruten und der sehr leichten Zweihandruten ist dabei auch dem Umstand geschuldet, dass sehr viele US- und Kanada-Fliegenfischer mehr nicht mit der Einhandrute werfen können. Sie hatten noch nie eine. Skagitcasting, zumal mit kurzen Köpfen, ist viel näher am Baitcastwurf als am Fliegenwurf. Ein längliches Gewicht wird mit dem Wasser verbunden und gegen diesen Widerstand mit einem kräftigen Schwipp nach vorn geworfen. Das ist keine Kritik, sondern ganz im Gegenteil supercool, denn so holt man ja die Baitcaster ins Lager der Fliegenfischer. Und wenn sich dann der in den USA und Kanada sehr großen Gruppe der Zweihandfischer keine Einhandrute verkaufen lässt, muss man eben aus der üblichen 13 Fuß Klasse 9 die Luft ablassen und sehr viel leichtere Zweihandruten anbieten. Also erfindet man Switch und Trout Spey und macht den Rest der Welt auch glauben, dass es eine Freude ist damit am Wasser zu sein. Das hat bei mir überhaupt nicht verfangen, und ich propagiere seit Jahren die als Rentnerrute diffamierte 260 cm Klasse 6. Das klassische Streamerfischen hat, auf über hundert Jahren Erfahrung basierend, einen Streamer der Größe 10 als die beste Wahl begriffen. Der Haken ist ca. 22 Millimeter lang, der ganze Streamer etwa 30. Ein kleiner „Intruder“ kommt auf etwa 6 cm und ist damit doppelt so lang. Während also das Streamerfischen eher eine Imitation ins Sichtfeld der Forelle schwimmen lässt, ist ein „Intruder“ wahrlich eine Störung, aber bei der Größe natürlich eine immer noch essbare Störung. Welcher Ansatz besser funktioniert ist sicher situativ bedingt, aber Forellenintruder haben ohne Zweifel ihre Berechtigung. Hinzu kommt das Spielerische, das Träumerische, das Übende, denn vermutlich haben wir alle deutlich häufiger die Einhandrute in der Hand. Eine leichte Zweihand ist wie ein Lachsanglerrollenspiel, und das übt und freut. Überhaupt ist jede Stunde am Wasser grundsätzlich gut, völlig egal ob mit einer Fenwick FF 505 oder einer Hardy 20 Fuß Klasse 12. Einen Troutintruder kann man nicht von einem kleinen Steelheadintruder unterscheiden. Da gibt es eine Schnittmenge, denn die in Oregon, Washington und Kalifornien aufsteigenden Steelheads sind teils so „klein“, dass man sie nur an der Fitness oder im Labor von einer Regenbogenforelle unterscheiden kann. Bei einem Intruder scheiden beide Methoden aus. Allein die Absicht zählt.

Troutintruder sind meist etwas kleiner als 6 cm, haben weniger Flash und weniger Gummibeine, und erdige, imitative Töne kommen ins Spiel. Ihr Vorteil gegenüber großen Streamern sind der kleine Haken und die relative Leichtigkeit. Und die flexible Konstruktion, die im Drill Verluste verhindern kann. Durch ihre Konstruktion und Bindeweise haben sie die Neigung, im Wasser ein besserer Ankerpunkt zu sein als normale Streamer, was für die extravaganten Ballettwürfe der Skagitcaster ein Vorteil ist. Man kann sie aber auch sehr gut an einer 260er fischen. Die hier vorgestellten Muster sind nur eine Momentaufnahme. Das unterscheidet sie von altbekannten Trockenfliegen. Sie sind schon in der Anlage nicht so präzise wie etwa eine „Quill Gordon“, und Variationen bei den Tönen und Materialien führen zu einer unvermeidbaren Verschiedenheit. Man muss diese modernen Fliegen eher als Idee begreifen. Es sind Fliegen des synthetischen Zeitalters, und jeder Binder, jede Binderin, der die sich hinsetzt sie zu binden, ist eigentlich verpflichtet, sich nicht an irgendeine Anleitung zu halten. Sie ist nur der Anfang. Enhancement und Advancement, also Erweiterung und Fortschritt, sind die Daueraufträge, denen man verpflichtet ist. Typisch Tinseltown, möchte man meinen, aber die Ideen kommen ja aus dem Norden. Reduce, reuse, recycle sind kein Intrudermotto. So gesehen dringen sie auch in unser Territorium ein und fordern uns heraus, die wir eigentlich einen 10er „Grey Ghost“ fischen wollen. Am besten bleibt man ruhig bei der Sache und bindet mal ein paar. Das macht nämlich viel Spaß. Und dann lässt man am Wasser die Finger entscheiden. Finden Sie den Weg zum Intruderfach?

Ingo Karwath