Bekifft an der Gaula

Oder: Wozu Schwarzer Afghane, wenn es auch mit Lachs funktioniert. Und vielleicht sogar ohne.

Hinfahrt

Mett ist auch so eine Art Marmelade.

Es ist jedes Mal wieder ein Erlebnis, wenn man früh um fünf auf die Autobahn fährt und sich in den noch nicht vorhandenen Verkehr einfädelt. Wenn Vorfreude brennen könnte, stände mein Auto in hellen Flammen. Schon um halb acht bin ich in Lübeck und kaufe mir bei der Bäckerei Junge vier halbe Mettbrötchen und einen großen Kaffee. Wenig später stehe ich in Puttgarden an der Fähre, kann aber in der Warteschlange nicht frühstücken, weil ich mit meinem Flex-Ticket sofort auf die Fähre rollen darf. Das ist doch mal was. Ich eile die Treppen hoch und suche mir in der Kantine einen Platz am Fenster. Die Leute schauen neidisch auf meine Brötchen und den Kaffee, weil die Kassen noch gar nicht geöffnet haben. So langsam kommt meine Seele an, die der zügigen Fahrt wohl nicht ganz folgen konnte. Ich bin tatsächlich auf dem Weg nach Norwegen, seit 2019 erstmals wieder, und ich habe mich für den Landweg entschieden, um das so richtig zu genießen. Die Fahrt von Rödby nach Ljungskille ist dann langweilig wie immer, außer in Göteborg, da ist die Verkehrsführung so wild wie immer, und man muss gut aufpassen.

Ich liebe diesen Ort. Blick von der Terrasse der Villa Sjötorp.

Die Villa Sjötorp in Ljungskille empfängt mich wie einen alten Freund. Wie oft habe ich hier im kleinsten Zimmer, dem Aquarium, übernachtet, und am Abend im Garten fürstlich gegessen. Das Sommermenü 2022 ist wieder ein Erlebnis, aber das ehemals opulente Frühstück gibt es nicht mehr. Alles war hausgemacht, alles. Der Landweg ist also Vergangenheit. Da ist die Fähre besser aufgestellt, wenn ich mir vorher bei Andronaco eine Flasche Wein und Leckerlis kaufe. Am Sonntag fahre ich gemütlich weiter nach Storen und bekomme in Kotsoy einen Anruf von Daniel, wo ich denn bleibe. Da sind es nur noch 15 Minuten. Ich verpasse die Suppe. Zimmer 5 in der Lodge kenne ich auch schon, und ruckzuck bin ich eingezogen. Daniel und Thies raten dringend Bogen Sondre zu fischen, weil ich das ganz für mich habe. Obwohl müde folge ich dem Rat und stehe um 21 Uhr in BS 1.

Das berühmte westschwedische Sommermenü von Elika.
Gruß aus der Küche. Getrocknete Algen.
Jomfruhummer in einer kalten Suppe.
Huhn in Mangold mit Pfifferlingen.
Vanille-Parfait mit Waldmeister und Rhabarber.
Schokolade. Das Wort untertreibt.

Fischen und Fische

Das Fangbuch hatte keinen so ganz entscheidenden Hinweis auf die einzig wahre Fliege gegeben, und ich beginne mit einer 6 cm ViMu am 6 m langen Vorfach an der Schwimmschnur. Die Gaula hat etwa 40 Kubik. Schön viel Wasser für August. Bis Mitternacht bin in gründlich entschneidert und fange zwei Meerforellen und einen Grilse. Ob es an diesen frühen Fängen liegt, an der Auguststimmung, an der Coronapause, an meinem Alter, an meiner Pensionierung, an der Tatsache nun einen Enkel zu haben, ich weiß es nicht, aber ich fische so entspannt wie ein Jamaikaner in der Strandbar. Die Silberbarren im Juni und Juli setzen einen viel mehr unter Druck. So einen will man, muss man haben. Die Augustfische sind meist schon länger da, haben etwas Farbe angenommen, und vermitteln eine andere Art der Freude und Rührung. Fliegen und Taktik scheinen wirklich einen Unterschied zu machen, und es ist vielmehr ein Spiel mit dem Fisch als das es eine Jagd ist. Ich fische drei Schichten a‘ vier Stunden am Tag. So in etwa 8 bis 12, 14 bis 18 Uhr, 20 bis 24 Uhr, plus ein paar Meerforellenwürfe nach Mitternacht. Das ist immer noch fleißig, aber da hat sich was gewandelt. Natürlich will ich den Biss, den Drill, den Fisch, aber anders als früher. Da wollte ICH erreichen, dass mir das widerfährt. Jetzt fische ich und warte, ob mir der Fluss etwas geben mag. Wie sich im Laufe der Woche zeigt, sind 29 Jahre Erfahrung an der Gaula zusammen mit meiner Ganja-Stimmung eine ganz gute Mischung. Wenn es mir gelingen könnte, dass auf Flaschen zu ziehen, wäre ich ein gemachter Mann. Aber ich will schon froh sein, wenn dieses Gefühl in 2023 zu mir zurückkehren möchte. Ich fange nicht jeden Tag, aber fast jeden. Da wir ja in diesen modernen Zeiten gläserne Fischer sind, kann man das unter „elveguiden“ nachlesen. Interessant auch, ich habe mal einen NFC-Abschnitt ausgewertet, dass etwas über 30 % aller Fische vom Personal gefangen werden. Das zieht dem alten Gerücht den Stachel, es wären die Hälfte.

 

Alle zwei Tage sieht mein ordentliches Auto so aus. Woher kommt das?

Erinnerungen

Am 12.8. hat Terry Geburtstag.

Am Dienstag sitzt Terry Oldfield am Frühstückstisch, und das ist eine Freude, denn wir haben uns lange nicht gesehen. Wir haben einige Wochen zusammen gefischt, aber das war zuletzt vor fünfzehn Jahren. Terry ist ein Phänomen, denn man kann ihm nicht begegnen, ohne hinterher ein besserer Mensch zu sein. Manchmal hörte man die Töne seiner Shakuhachi vom Maela Haus oder aus einem Unterstand am Fluss, und ebenso wie Gespräche mit Terry ließ es einen nachdenklich zurück. Ich weiß nicht genug über die vier edlen Wahrheiten und den achtfachen Pfad, um dazu etwas sagen zu können, aber ich weiß sehr wohl, dass Terry bei jeder Begegnung eine Veränderung bewirkt hat, die zu mehr Achtsamkeit führte. Er betreibt Yoga, meditiert und ist Vegetarier. Seine Wirkung in diesem Jahr auf mich war, dass mein Fleischkonsum seitdem sehr deutlich herabgesunken ist. Obwohl das kein Thema war. Terry war den weiten Weg aus Australien gekommen, um sich von seinen Lachsflüssen zu verabschieden. Eine Rundreise an Gaula, Blackwater, Spey und Tweed. „So you are going to release your rivers”, sagte ich zu ihm, und er nickte stumm. Ich hatte es verstanden. Am 12.8. hatte er Geburtstag, und da wir irgendwie alle noch Jungs in kurzen Hosen sind, zumal an unseren Geburtstagen, bemalte ich ein Blatt DinA 4 mit Lachsen und packte mit Shootingline als Geschenkband einen Tauchretter ein. Noch am selben Nachmittag haben Terry und Manfred damit gespielt und Fliegen aus dem Wasser gerettet. Soviel zu meiner Jungs-Theorie. Ein anderer Junge, den wiederzusehen mich sehr erfreute, war Simon Kitcher. Am 2.7.1993 landete er im New Pool meinen ersten Gaulalachs für mich, und Simon ist durch Jahrzehnte von Guiding-Gesprächen mit seinen Klienten ebenso ein Philosoph der Lachsfischerei wie des Lebens. Jetzt guidete er meinen Gruppenpartner Johannes Wukovits und wir hatten beide die Freude, seinen Weisheiten zuzuhören. Würde man Simon vom 1.6. bis zum 30.8. jeden Tag fischen lassen, finge er vermutlich 50% aller Fische. Gut, dass er das nicht tut.

Die Steinfossen Fliege

Ein Hakan Norling Original.

Der kleine Tauchretter zum Geburtstag erzeugte bei Terry so große Freude, dass er umgehend in sein Zimmer lief und mir eine Fliege holte. Nicht irgendeine, sondern ein Original aus dem Bindestock von Hakan Norling. Wie sich herausstellte, hatte Terry im Vorfeld der Reise mit Hakan Briefe ausgetauscht und der war so nett gewesen, ihm für die Expedition ein paar Fliegen zu binden. Und die Zeiten, dass Hakan für Geld Fliegen bindet, sind nun wahrlich vorbei. Da saß ich also völlig verblüfft und dankbar am Frühstückstisch und hielt eines der seltenen Originale der Steinfossen Fliege in der Hand, auch bekannt als „Wille’s Banana Pig“. Wille ist Hakans Kater. Meine neugierigen Augen bohrten sich förmlich hinein. Nun gehört es sich natürlich nicht, davon ein Bild zu machen. Also schrieb ich Hakan, ich hätte eine Fliege von Terry bekommen, und ob sie in irgendeiner Form privat oder geheim wäre. Ping, schon Minuten später hatte ich eine Antwort. „Feel free to use it!“ Ich schrieb einen Dank zurück und hängte ein Altersbild von mir an, so mit Enkel auf dem Knie und, Ping!, „you look splendid“, sagte mein Bildschirm. Ist ja kein Wunder, dass der Mann die Lachse aus den Pools charmiert. Er hat’s einfach drauf.

Der Rückweg

Nach der Lodge und Jens Küche. Willkommen im richtigen Leben.

Am Sonntag fische ich bis zum letzten Drücker in Tilset und mache Punkt zwölf meinen allerletzten Wurf. Lunch ist nicht mehr im Angebot, denn die Lodge wird geschlossen und da steht jede Menge Arbeit an. Das Team rotiert förmlich. Nach einer schönen Dusche sitze ich um 13 Uhr im Auto und fahre hoch nach Röros, und von dort oben wieder runter nach Kvennan. Für eine Nacht habe ich die Hütte „Tomtebu“ gemietet und mir im Internet einen Angelschein gebucht. Aber die Glomma ist so voll mit Kraut und Algen, dass sogar die Trockenfliege das grüne Zeug einsammelt. Ich finde eine steigende Äsche und fange sie. Schlapper Fisch. Viel zu früh bin ich bei der Hütte zurück, weil es nun wahrlich keine Freude ist da im Wasser zu stehen. Sollte die Zeit von Kvennan wegen der Klimaerwärmung vorbei sein? Oder war das Ende August schon immer so. Die Freude an meiner kleinen Hütte lasse ich mir trotzdem nicht verderben und genieße den Abend mit einer norwegischen Grillwurst und meinem letzten Carlsberg. Ich schlafe wie ein Bärchen auf dem harten Bett und sitze anderntags früh um sieben im Auto. Die letzte Wurst vom Grill hat in der Nacht der Fuchs geholt. Seine Spuren verraten ihn. Das Ziel für heute ist Rödby, und auf der Strecke beschließe ich dann endgültig für mich, dass ich für den Landweg zu alt bin. Das ist einfach elend lang. Am Dienstag bringt mich die Fähre nach Puttgarden, und um zehn sitze ich bei unserer Tochter am Frühstückstisch. Mit einem großen Karton voller Brötchen von Junge. Etwas Wehmut kommt auf, denn die Kinder ziehen in wenigen Wochen von Lübeck nach Kiel. Aber dafür ist eigentlich keine Zeit, denn ich muss weiter, weil ich um 14.45 Uhr einen Zahnarzttermin habe.

Was bleibt

Nächstes Jahr ist mein 30stes an der Gaula und beim NFC. Untreu war ich nie, also an anderen Strecken, aber ich habe wohl mal ein Jahr ausgelassen. Was mich wie jedes Jahr wieder begeistert hat, ist diese Mischung von Effektivität und Herz, mit dem der besuchende, der hoffende, der sehnsüchtige Lachsfischer dort betreut wird. Wir sind keine ganz einfache Klientel. Jeder macht alles, packt mit an, und man spürt die „corporate identity“ im ganzen Lodgeteam, nicht als angestrebte Außenwirkung, sondern wahrhaftig gelebt. Jeder und jede weiß wie man Speck brät und Teller abträgt, und tut es auch, und einige wissen wie man Lachse fängt. Und verraten es auch. Die Wathosen im Eingangsbereich könnten alle von Pampers sein, so umfassend wird man betreut. Mit der Rotation fleißig am Wasser zu sein ist alles, was man abliefern muss. Ob diese Jamaika-Stimmung jetzt dauerhaft zu mir gehört, weiß ich nicht, aber ich würde es mir wünschen. Ich habe mal einen Fisch auf den ersten Wurf gefangen, gleich am frühen Sonntagabend. Und nach einer erfolglosen Woche mal einen um 11 Uhr am Sonntagvormittag. Eine Stunde vor Ultimo. Ich habe noch nie beim NFC nichts gefangen. Und erst das wäre der Test, ob man wirklich zum Bob Jamaica 1 gehört.

Ingo Karwath