Streamer und Bucktail

Der Kobuk-Köder, eine Replik von Ingo Karwath.

Die Evolution der Großfischfliegen.

Also, ich bin Fliegenfischer. Und Binder. Rutenbauer bin ich auch. Und ich baue Rollen. Sammler bin ich nicht, aber es hat sich einiges angesammelt. Und vieles hat sich verloren.

Ich habe als Jungangler gestippt, mit Wurm und Kartoffel geangelt, Köderfische auf Hecht und Raubaal ausgelegt, und mit Mepps, Effzett und HiLo geblinkert. Im Meer mit Wattwurm und Heringspilker geangelt, Heringe mit Heringshaken und Makrelen mit Makrelenfedern gefangen. Die Techniken sind mir abhanden gekommen, wie ich unlängst bei einem Versuch mit meinen alten Hardy-Matchruten erleben musste, und von den heute gebräuchlichen Spinnködern habe ich keine Ahnung. Die Vielfalt dieser Plastik-, Blech- und Gummiköder und Riggs ist absolut verwirrend, und ich schaue mir die bunten Kataloge kopfschüttelnd an. Mit meinem alten Wissen bin ich inzwischen ein Laie.

1800 bis 1900 – So könnte ein indianischer Bucktail im 19. Jahrhundert ausgesehen haben. Die Rekonstruktion beruht auf dem Hough- und dem Algoma-Bucktail.

In meiner Passion aber, dem Fliegenfischen, bin ich trittsicher unterwegs. Viele Dinge kenne ich auf einen Blick, und meine Bibliothek bringt mich mindestens auf die Spur von fast allen ungeklärten Fragen. Die besten Fragen stellen oft Neufliegenfischer, und nicht selten bemerkt man, dass man eben nicht wie aus dem Effeff antworten kann. Gegen die Vielfalt der zahlreichen Nassfliegen, Trockenfliegen, Nymphen, Streamer, Lachsfliegen und Salzwasserfliegen ist die Spinnköderwand im Angelladen wie ein Kinderbuch neben James Joyce „Ulysses“.

Und wenn dann so eine Newcomer-Frage kommt: Was ist überhaupt ein Bucktail, was ein Streamer, dann steht man da und grübelt. Dabei liegt die Frage ja auf der Hand, wenn man einem Neufliegenfischer eine „Hairy Mary“ als Lachsfliege, Bucktail und Nassfliege zeigt. Viele sehen die wahren Unterschiede nicht. Da muss man jedes Wort überlegen. Und holt erst einmal weit aus.

Noch Fragen?

1890 – Theodore Gordon selbst hat mehrere Versionen des „Bumblepuppys“ hergestellt. Es ist vermutlich eine seiner Originalfliegen erhalten, außerdem gibt es zeitgenössische Exemplare von anderer Hand.

Die meisten Probleme kann man prima mit Zitaten lösen. Leider ist das Googeln von schlauen Sprüchen zu einer Krankheit geworden, die hier und da noch durch Powerpoint verschlimmert wird. Daher ja der beliebte Spruch: Macht der ne Powerpoint, oder hat der was zu sagen.

 1907 – William E. Scripture, Anwalt aus Rome, New York, bindet den „Scripture Bucktail“, ein heute noch modern anmutender Bucktail.

Ich hoffe mal Letzteres, und ich biete Ihnen mal zwei Fundstücke an. Zunächst William F. Blades: „Streamer flies are simply flies that have long wings and are mostly made on long shank hooks. They are made to represent our many different minnows which form a large part of the food of all the fishes”. Blades 1962, S. 72. Meine Übersetzung: Streamer sind einfach lange Fliegen und meist auf langschenklige Haken gebunden. Sie werden gebunden um unsere vielen kleinen Fische nachzuahmen, die einen großen Teil der Nahrung aller Fische ausmachen.

 1902 – Herbert L. Welch verkürzt neuenglische Bluefish-Haken und bindet lange Hechelfedern auf diese Haken.

1910 – Alonzo Stickney Bacon wird als Erfinder des Kanu-Kíssen-Streamer bekannt, die Fliege als „Morning Glory“ berühmt.

Das ist eine gute Definition, aber für den Zahlenmenschen geht es noch in wenig genauer. Darum Schwab in Bates: „A hair fly becomes a bucktail when the wings are roughly twice the length of a standard-length hook and thus give pronounced swimming action to the lure”. Bates 1979, S. 27. Meine Übersetzung: Eine Haarfliege wird ein Bucktail wenn der Flügel in etwa zweimal so lang ist wie ein normal langer Haken und dem Köder somit eine deutliche Schwimmaktion gibt.

1921 – A.W. Ballou bindet den „Ballou Special Streamer“, und kann für sich reklamieren, den ersten Marabou-Streamer gebunden zu haben.

Aha, werden Sie sagen, und darum hole ich jetzt mal schnell die alte Redditch-Scale hervor. Leider ist dem modernen und weltweiten Hakenmarkt jede Verlässlichkeit in Bezug auf Hakenlänge, Drahtstärke und Bogenweite verloren gegangen. Es gab jedoch mal eine Skala, die von Haken 22 bis 9/0 zumindest die Länge exakt definierte. Sie kam aus, nun ja, aus Redditch, dem alten Epizentrum der Hakenschmiedekunst. Die Redditch-Skala, nach der auch Firma Allcock arbeitete, und eben diese Haken waren unter den alten Streamerbindern die beliebtesten, definierte die absolute Hakenlänge vom Bogen bis zum Öhr, jedoch ohne das Öhr. Ein 6er Haken ist 13/16 Zoll lang, also 20,6 Millimeter. Die Bogenweite beträgt in der Regel ein Drittel der Länge. Das ist der erwähnte Normalhaken. Bindet man auf diesen 6er Haken einen 40 mm langen Haarflügel, hat man einen Bucktail. Diese Bezugsgröße bleibt auch dann erhalten, wenn man einen 40 mm langen Flügel auf einen 6x langen 6er Haken bindet. Der Haken ist 35 mm lang, so lang wie der Haken sechs Größen über ihm, also Größe 1 1/2. Der Flügel steht nur 5 mm über den Bogen hinaus. Trotzdem ist es ein Bucktail. Nimmt man vier 40 mm lange Hecheln als Flügel, so ist es ein Streamer. Diese Definition gilt auch in England, Schottand, Wales und Irland, wo man Streamers und Bucktails Lures nennt. So, alle Klarheiten beseitigt?

Die Erfindung

Vermutlich sind auf allen Kontinenten in vielen schriftlosen Kulturen lange vor der Erfindung des Buchdrucks Fischköder aus Federn, Haaren oder Pflanzenfasern hergestellt worden. Alle diese Erfindungen hatten keine Beziehung zueinander und haben mit der Entstehung von Bucktail und Streamer nichts zu tun, denn da können wir uns getrost allein auf Nordamerika konzentrieren. Die Bögen und Pfeile der Plains-Indianer und der Westküstenstämme zeigen eine bemerkenswerte Kunstfertigkeit im Umgang mit Holz, Sehnen und Federn. Die Befiederung der Pfeile mit Habichtfedern und zusätzlicher Verzierung mit buntem Pflaum lässt unwillkürlich ans Fliegenbinden denken. In Museen findet man Pfeile mit Glasspitzen, denn das von den Weißen Männern weggeworfene Material lässt sich zu perfekten Spitzen brechen und retouchieren. Ganz sicher ist es den Indianern auch gelungen, im Tauschhandel mit ihren neuen Nachbarn Angelhaken zu erwerben. Dann mussten sie nur noch das Prinzip der Pfeilbefiederung auf einen Haken übertragen.

 1922 – Frank Dufresne bindet in Anlehnung an den Kobuk-Haken den „Alaska Mary Ann Bucktail“. „Mary Ann“ ist ein umgangssprachlicher Ausdruck wie bei uns „die ganze Bande“.

Emerson Hough (1857-1923), Vermesser und Expeditionsleiter, später bekannt geworden als Verfasser von Western-Romanen, ist vermutlich der Mann, der die Hirschhaarfliegen und Eisbärfliegen der Indianer und Inuit in den nördlichen Regionen entdeckte und diese in die Welt der Steinhäuser brachte. Damit kamen diese Fliegen auch in die Welt der Schriftkultur, und ab da wird es möglich, ihren Spuren zu folgen. Aber selbst in unserer Kultur ist es schon hundert Jahre später nicht eben einfach, eindeutige Belege zu finden.

Wie man noch heute an der scheibchenweisen Verteilung der Nobelpreise erkennen kann, sind Entdeckungen und Erfindungen meist nicht einzelne Personen gebunden, sondern werden oft von mehreren Menschen zeitgleich, unabhängig oder ergänzend zu einer großen Sache gefügt. Folgen wir mal den Spuren.

Die Erfinder

Eine Lachsfliege in einen Forellenfluss zu schmeißen ist natürlich eine gute Idee und verführt kapitale Forellen, aber die Sache an sich hat kein Konzept. Zumindest kein neues, was man von großen Nassfliegen auch behaupten kann. Beide Fliegentypen sind weder Bucktail noch Streamer. Auch dass man wohl schon 1886 mit Hirschhaarfliegen auf Bass fischte bringt uns bei den Forellen auch nicht voran.

Aber es gibt Hinweise, dass der Rancher A.S. Trude in Big Springs, Idaho, so um 1890 mit einer langen roten Fliege auf Forellen fischte. Ein großer Haken, rote Wolle aus einem Indianer-Teppich und die Haare von einem roten Spaniel wurden zu einer Fliege gefügt, die in den Beständen der großen Forellen dann gewaltige Lücken riss. Diese Fliege brachte dann 1901 Carter H. Harrison von einem Besuch der Trude Ranch mit ins heimische Chicago, was ihm den Ruf einbrachte, sie erfunden zu haben. Der Mann war Politiker. Er hat sich vermutlich nicht dagegen gesträubt. Aus dieser Ur-Trude entstand unter den Händen geübter Binder die eigentliche „Trude Fly“, mit einem silbergerippten roten Wollkörper, rotem Eichhornhaar und rotbrauner Hechel.

1924 – Carrie G. Stevens, die berühmteste Streamerbinderin aller Zeiten, erfindet nach einer ganzen Reihe von Experimenten und Verbesserungen den „Gray Ghost“.

Etwa zeitgleich, mindestens im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhundert, experimentierte Theodore Gordon, der Vater des amerikanischen Trockenfischens, mit einem neuen Fliegentyp, den er „Bumblepuppy“ nannte. Eine erste Erwähnung findet sich dann 1903. „Trude“ und „Bumblepuppy“ stehen darum am Anfang unserer Zeitleiste.

Zu diesen beiden gesellt sich der „Scripture Bucktail“, 1907 offiziell erwähnt, aber vermutlich auch etwas älter. Dieser Bucktail wirkt so modern und ausgereift, dass man ihm seine über hundert Jahre nicht ansieht. Konzeptionell war der Bucktail damit natürlich noch nicht am Ende, er wurde schon noch hübscher und besser, aber viel tat sich ehrlich gesagt nicht mehr.

1927 – Herbert L. Welch, dem vermutlich die Ehre gebührt, der wirklich allererste Streamerbinder zu sein, erfindet den „Black Ghost“.

Der lange Haken

Um die Jahrhundertwende waren lange Fliegenhaken mit kleinem Bogen noch nicht bekannt. Aber in Maine tat sich was, denn hier treffen zwei Fischarten vorteilhaft aufeinander. Forelle im Süßwasser und Bluefish im Salzwasser. Letztere haben extrem scharfe Zähne. Herbert L. Welch hatte wohl schon 1902 die hervorragende Idee, die extrem langen Bluefishhaken zu kürzen und mit einem neuen Öhr zu versehen. Er war auch der Binder, der mit ein paar grauen Federn einen Schleppköder für Forellen daraus machte, aber in einer populären Geschichte verbindet sich der Name Alonzo Stickney Bacon mit dieser Idee. Der soll 1910 eine weiße Feder aus seinem Kanusitzkissen gezogen haben, hat diese an einem Fliegenhaken befestigt und fing damit einen Binnenlachs nach dem anderen. Aus der Region kam die Idee nach Boston, und unter dem Namen „Morning Glory“ kam die Fliege, der erste Streamer, in den Handel. Von da an entwickelte sich ein Bedarf nach 4x und 6x langen Haken für Casting Streamers und den 8x und 10 x langen Haken für Trolling Streamers. Und Maine sollte das Zentrum der Streamerfischerei werden und lange Zeit auch bleiben.

Upper Dam

Upper Dam House, das legendäre Hotel am Upper Dam Pool, an dem sich die beiden Seen Mooselookmeguntic und Upper Richardson verbinden, verband von 1897 bis 1949 das zivilisierte, elitäre Fliegenfischen der Ostküste mit den wilden, kapitalen Bachsaiblingen von Maine. Aber schon 1875 hatte man Binnenlachse in den Seen ausgesetzt, 1891 dann Stinte, als Futter für die Lachse, jedoch machten die aggressiven Lachse auch Jagd auf die jungen Bachsaiblinge. Sie dezimierten von Jahr zu Jahr, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt die Bestände, bis sie selbst der Topräuber im Seensystem waren und die Saiblinge verdrängt waren.

1942 – Carrie Stevens gibt Captain Joseph D. Bates ein paar „Reversed Tied Bucktails“. Man kann davon ausgehen, dass sie diesen revolutionären Bindestil erfunden hat.

Die Gegend um Upper Dam war der Mittelpunkt der Streamerentwicklung, denn wenn sie nicht direkt hier wohnten, die bekannten Binder und Fischer, dann doch in der Nähe oder zumindest in Maine, oder aber sie kamen als Besucher: Die berühmten Erfinderinnen und Erfinder von Streamern und Bucktails, die wir noch heute kennen, schätzen und fischen. Um nur einige zu nennen: Carrie Gertrude Stevens, Herbert L. Welch, Gardner Percy, Bert Quimby und Joseph Stickney. Wenn Sie den einen oder anderen nicht kennen sollten, hier in selbiger Reihenfolge eines ihrer Muster: Gray Ghost, Black Ghost, Grizzly King, Green Ghost und Supervisor.

Die Jahre bis 1950 waren die goldenen des Streamerfischens, und fast alle klassischen Muster sind bis dahin entstanden. Der „Muddler Minnow“ von Don Gapen aus dem Jahr 1948 ist sicher noch einmal als Großereignis zu bewerten.

1948 – Don Gapen erfindet den „Muddler Minnow“, der dann weltweit Furore macht.

Das heißt aber nicht, dass es danach so richtig langweilig wurde. Weitere Meilensteine waren der „Blonde Bucktail“ in den 50er Jahren, der „Gibbs Striper Bucktail“ in den 60ern, dann die weltweite Entdeckung der Neuseelandstreamer, dank Norbert Eipeltauer auch in Europa, die 70er wurden die Zeit ganz extravaganter Koppen, in den 80er kam der berühmte „Clouser Minnow“ hinzu, und kurze Zeit später begann die Mode mit Kunstfasern zu binden. Man kann mit speziellen Fasern oder Fasersträngen und vorgefertigten Köpfen oder speziellen Harzen Streamer binden, die sich kaum noch von einem Rapala unterscheiden.

1958 – In einer stürmischen Winternacht erfindet S.R. Slaymaker II den „Little Brown Trout Bucktail“, der als Forellenimitation bis heute kannibalische Großforellen abräumt.

Diesen Weg gehe ich nicht mit. Ich mag Bucktails und Streamer, die man aus Haaren und Federn bindet, denen man kein Gewicht mit auf den Weg gibt, und in letzter Zeit habe ich ein besonderes Vergnügen daran, meine eher kleinen Streamer mit einer 8,5 Fuß oder 9 Fuß Gespließten zu fischen. Diese Längen sind bei den Sammlern unbeliebt und selbst ein Payne oder Dickerson liegt preislich im Bereich des Möglichen. Damit bin ich mal wieder nicht im Zentrum der Moderne, aber wenn ich einen echten 8er „Gray Ghost“ anknüpfe und meine nachgebaute „Canadian Canoe“ schwinge, mit der 8cm Streamerrolle aus eigener Werkstatt, dann habe ich jede Menge Spaß daran.

Dieser Artikel ist ein Teil meines Vergnügens, denn ich mag Fliegen, die einen Namen haben, ein Leben und eine Geschichte. Namenlose Pinsel, in fernen Ländern lieblos gefertigt, kommen mir nicht ans Vorfach.

1950 – Joe Brooks fischt auf seinen Weltreisen mit dem „Blonde Bucktail“ und macht die Fliegenserie weltweit populär.

1960 – Spätestens mit dem „Gibbs Striper Bucktail“ kommt das mehr imitative Binden auch im Salzwasser an.

Was hier mit leichter Hand aneinandergefügt ist, könnte einen ernsthaften Historiker der Materie womöglich mit Groll erfüllen. Darum muss man bekennen, dass die widersprüchliche Forschung zur Darstellung einer Zeitleiste vereinfacht wurde. Die historische Originalität ist oft nur in Briefen und Gesprächsnotizen belegt, und die Echtheit alter Fliegen ist ein schwieriges Thema. Fälschungen sind leicht möglich und haben unter Sammlern einen beträchtlichen Handelswert. Aber das ändert natürlich nichts an der Tatsache, dass diese Zeitleiste einen völlig korrekten Überblick gibt. Die Auslassungen, sollte nun gerade Ihr historischer Lieblingsstreamer oder allerbester Bucktail nicht dabei sein, bitte ich zu entschuldigen.

1970 – Norbert Eipeltauer macht verschiedene Streamer aus Neuseeland in Europa bekannt, hier sein „Taupo Tiger“, und bricht grundsätzlich eine Lanze für diese Art des Fischens.

1975 – Auf der Basis des „Muddler Minnow“ entstehen vermehrt Koppenimitationen, die mit ihren kleinen Augen und Flossen die Fliegenfischer faszinieren.

1982 – Al Troth stellt in Fly Fisherman den „Zonker“ von Dan Byford vor, gebunden mit Mylar, Fellstreifen und Epoxyüberzug. Bis heute ein Hit.

1987 – Bob Clouser bindet den „Clouser Deep Minnow“ und erfindet damit einen Bucktail, der sich einfach binden und tief fischen lässt.

Um nun praktisch zu werden würde ich raten ein paar 10er oder 12er „Alaska Mary Ann“ zu binden. Die Chance, damit die beste Forelle des Jahres zu fangen, ist weit besser als nur durchschnittlich. Tight thread.

Ingo Karwath