Der alte Mann und die Fliegen

Nur Wein altert ohne Plan. Ein Fliegenfischer sollte es mindestens bedenken.

Der Plan, gar nicht oder zumindest langsam zu altern, ist mindestens so illusorisch wie auf einen richtig großen Lottogewinn zu hoffen, mit dem man den Rest seines Lebens jede Saison am Ponoi fischen kann. Man muss es deutlich sagen. Das wird nix. Ich will jedoch nicht über mein Gehalt klagen. Die Brosamen des Staates fallen spärlich aber regelmäßig. Die Grundlage einer ausgeglichenen Einstellung zum Geld erkannte schon vor Jahrzehnten meine Tante Klara mit dem geflügelten Wort: „Kiek‘ nich nach din Mehrmann, kiek‘ nach din Minnermann.“

Was nun das Alter angeht, ich werde nächstes Jahr 64, sollte man den Spruch vielleicht besser umkehren. Schau was die Älteren machen. Statistisch habe ich wohl noch 18,7 Sommer vor mir, so alt wird der Jahrgang 1956 im Durchschnitt, und was hilft da der Blick zurück. Ich möchte so lange mit der Fliege fischen wie es geht und dann – wenn es die morschen Knochen nicht mehr zulassen am Fluss zu fischen – auf Ruderboot und Hegene umstellen. Darin steckt die Hoffnung, dass meine Finger und Augen bei mir bleiben und ich weiter binden kann.

Über das sich vollziehende Altern zu klagen finde ich grundsätzlich in Ordnung, nur nicht in Gesellschaft. Was für ein ödes Thema. Das sollte man mit sich selber abmachen, und höchstens nach Männerart unter Freunden und auch nur ganz selten einmal den Halbsatz sprechen, dass die Knochen und die Augen und Ohren ja auch nicht mehr das sind, was sie früher einmal waren.

Zum Glück sind die Ohren zum Fliegenfischen entbehrlich, und die Wahrscheinlichkeit, dass man sie in vierzig oder mehr Jahren mal mit einer Fliege erwischt hat, ist hoch. Gehören Sie dazu? Es gibt da eine hübsche Geschichte von einem Großstädter, der in Yellowstone mit einem Guide fischen ging und sich eine 6er Steinfliege in die Ohrmuschel warf. Mit Widerhaken. Während der Gast noch überlegte, wo und wie man nun welchen Arzt aufsuchen könnte, hatte der Guide die Fliege schon mit dem Satz: Hier im Westen rupfen wir sie einfach raus!, mit einem herzhaften Ruck entfernt. Wie gesagt, Ohren sind entbehrlich. Aber sie bieten die besten Geschichten.

Meine Ohren sind noch ungelocht, aber ich hatte schon Fliegen in der Kopfhaut, in den Schultern und Armen, in den Fingern und im Bein. Das kommt vor. Die Mehrzahl ohne Widerhaken, aber auch ein paar mit. Die Zahl dieser Unfälle hat mit zunehmendem Alter abgenommen. Das mag daran liegen, dass man insgesamt mit sich vorsichtiger umgeht und Grenzen akzeptiert. Hat man viele Jahre an einem Wasser gefischt und kennt alle Wege, dann wird man unschwer feststellen dass man bei hohem Wasser bestimmte Watwege, die man mit fünfundzwanzig locker meisterte, nicht mehr so einfach gehen kann. Und die Erfahrung der Jahre lässt einen verzichten. Man meidet gefährliche Einstiege und Ausstiege, und eine Böschung, die man früher mit drei großen Schritten überwand, wird zu einer demütigenden Krabbeltour, bei der man hofft nicht beobachtet zu werden.

Lange Rede, kurzer Sinn, ist eben alles nicht mehr so wie früher. Trotzdem werden die Fische dicker. Wie kann das sein? Sie werden in jedem Fall nicht mehr, denn viele Fische fängt man mit Ausdauer und hartem Einsatz. Und daran mangelt es. Es ist auch nicht die Erfahrung. Es ist einfacher.

Ich behaupte mal ganz frech es sind die Altmännerfliegen. Und ein wenig die dazu passenden Methoden. Nehmen wir das Nymphenfischen. Das hat sich zu einer Methode entwickelt, die an erfolgreicher Dummheit kaum mehr zu überbieten ist. Wenn man selbst aus einer Zeit kommt, in der eine „Sawyer Nymph“ von Pezon et Michel ganz oben auf der Wunschliste stand, hat man die ganze Entwicklung mitgemacht. Aus Kupfer wurde Blei, aus Blei wurden Jigs, aus Jigs wurden Wolframkugeln, nun auch asymmetrisch, aus einer Nymphe am Vorfach wurden drei, aus dem aufrechten Normalwurf wurde ein kurzer Schlenker, denn Luftwürfe sind nicht mehr vorgesehen – und das alles muss man sich in der Praxis als Beobachter mal zu Gemüte führen. Ein Nymphenfischer erinnert da mehr an Charlie Chaplin in dem Film „Modern Times“, so industriell beschäftigt ist der arme Kerl. Man möchte eine Gewerkschaft gründen und das verbieten lassen. 

Kann ja sein dass das Freude macht, mir macht es keine und ich nehme in Kauf, dass ich am Tag nur zehn Äschen trocken fange und der Kollege mit den drei Nymphen hat vierzig. Während ich früher mit der Nymphe gefischt habe, um viele Fische zu fangen, benutze ich sie jetzt nur noch a la Skues, wenn es entomologisch passt, und Bleidraht oder irgendwelche schweren Köpfe gibt es in meinen Dosen eher in Unterzahl. Kupferdraht wird man aber hier und da sehen. Wenn es irgend geht fische ich trocken.

Und bei den Trockenen, mit denen ich fische, hat sich ein Wandel zu mehr Größe und gut sichtbaren Flügeln ergeben. Leider kann ich die ganz kleinen Dinger, die ich immer noch gut binden kann, nicht mehr gut sehen. Wenn ich sie ans Vorfach fummle, biete ich ein Bild das Jammers. Ich binde mit dem unbewaffneten Auge, weil meine Nahsicht genau zu der Entfernung passt. Zum Lesen und für die Fernsicht brauche ich jedoch Gleitsicht, und alles zusammen mit einem 20er Häkchenöhrchen, 12er Vorfach, kleinen Wellen und Sonnenlicht ist mein Waterloo. Ich muss zunächst meine Brillen, also Cocoons und Gleitsicht, baumeln lassen. Dann fummel ich die Fliege an, setze die Brillen in umgekehrter Reihenfolge wieder auf, nehme Maß für den Wurf und kann dann nur so ungefähr ahnen, wo das kleine Ding treibt. An englischen Kreideflüssen mit ihrer glatten Oberfläche komme ich deutlich besser klar. Aber mein Konto nicht.

Sicher machen wir das alle gleich, bei Wellen und Sonnenlicht dann anschlagen, wenn im Zielgebiet ein Ring kommt, aber ich konnte das früher mal sehen. Da geht schon Freude verloren, wenn man nicht wirklich sieht was geschieht. 

Ich bin mir erst letzten Sommer selbst auf die Schliche gekommen und habe in meinen Dosen eine Vermehrung der Sichtflügel bemerkt. Ich fische sonst viel auf Meerforellen, und da spürt man die Defizite nicht. Aber so alle Jahre wieder auf Forellen in England und Äschen in Norwegen war es deutlich. Wo früher 16er, 18er und 20er steckten, warten jetzt 10er, 12er und 14er. Und Flügel aus Entenfibern oder Hechelspitzen, die ich so sehr mag, findet man kaum. Eher brockige Segmentflügel oder noch lieber weißer Kalbschwanz, Turkey Flats und Kunsthaar. Sogar Fliegen mit Signalflügel sind dabei, und die habe ich früher verabscheut.

Die Wirkung meiner Bomber ist beachtlich. Ich kann den Wurf und das Vorfach besser manipulieren, weil ich die Fliege wirklich sehe. Und dann ist es wohl so, dass die größere Fliege den größeren Fisch lockt und die Kleinen aussortiert. Muss ich auf einen Schlupf reagieren, dann nicht selten mit einem Stück Vorfach am Hakenbogen meiner großen Fliege und einer passenden als Passagier. Das mache ich aber nur, wenn die Situation das Absetzen der Brillen und das Knotengefummel rechtfertigt. Ist das Hatchmatchen vorbei, schicke ich die Suchfliege wieder alleine los. Das Ganze hat sich als ein sehr effektiver Stil etabliert und ich bin sehr damit zufrieden.

Beim nassen Fischen bin ich viele Schritte in die Vergangenheit zurückgekehrt und fische fast so wie mein alter Lehrmeister, General a.D. Ernst König, der ein Virtuose mit der Lockfliege und der Fangfliege war. Ich habe viele Fliegen für ihn gebunden, aber wenn ich nicht schaute, hat er sie immer durch Fliegen von Dr. Kerstmaker aus Brüssel ersetzt. Das habe ich erst später verstanden, denn die Fliegen waren überwiegend aus Nähseide und eher unordentlich. Aber sie hatten so einen Touch, und ich bin betrübt keine mehr zu haben. Aber ich kann sie binden, und ich muss mich nicht einmal mehr zwingen. Die untere Fangfliege beschwere ich gern mit Kupfer, obwohl die Originale nie beschwert waren, dann ankert sie noch besser. Die Methode ist immer noch geeignet moderne Fischer zu düpieren. Mir ging es ja früher nicht anders. Nur jetzt bin ich der alte Doktor. 

Einen großen Raum nimmt das klassische Streamerfischen ein. Dazu benötigt man eine 8,5 Fuß Rute der Klasse 6, die ewige mittlere Rute, die man uns jahrelang nicht mehr verkaufen wollte. Ich bin ihr großer Anhänger. Dazu eine DT 6 in Floating und eine WF 6 als Sinktip, rutenlange Vorfächer und kleine Streamer mit alten Namen! Ich bin immer wieder verwundert in Kataloge zu schauen und die vielen Neuschöpfungen zu sehen, deren Namen auf dem Niveau einer chinesischen Gebrauchsanleitung sind. Nehmen Sie stattdessen ein paar 10er und 12er „Colonel Bates“, „General MacArthur“ und „Grey Ghost“. Nicht größer. Und dann gehen Sie fischen. Gern am Vereinswasser, und da wo man als Forelle selbst gern stehen würde, genau da bewegen Sie Ihren Streamer. Nicht so viel werfen. Lieber in Situationen reindriften lassen, zupfen, nachgeben, wieder zupfen, gern auch mitten in einem Schlupf, und ich bin bereit zu wetten Sie bekommen die Dicksten. Und das bleibt auch dann so, wenn Ruten und Rollen mit Bluetooth, WLan und App erfunden und verbunden werden. Und das ist nur noch eine Frage der Zeit. 

Wenn mein Plan aufgeht, ich habe keine typische Männerbiografie, werde ich so alt wie der Frauenjahrgang 1956, und dann sitze ich 2042 in einem Boot auf einem bayrischen See und zupfe Renken. Meine Hörgeräte sind aus, ich kann nur noch langsam rudern und sehe nicht mehr viel, aber ich kann mich (vielleicht) erinnern dass ich mal Fliegenfischer war.