Wintertraum und Sommerfuchs

Ein warmer Abend. Ein günstiger Wind. Ein guter Strand. Und eine neue Fliege!

Das Meer, sagen wir, aber meinen den Wind. Es gibt Wind ohne Meer, aber Meer nicht ohne Wind. Selbst die spiegelglatte See, die Windstille, wird durch die Abwesenheit des Windes mehr geprägt als durch die Anwesenheit des Meeres. Nur ein Taucher spürt das Meer ohne Wind, er nimmt Strömung war, wie ein Fisch.

Kurz vor 21 Uhr. Lesebrille vergessen. Jetzt muss ein „Sommerfuchs“ ans Vorfach.

Der Seewind, kann man sagen, hat weit mehr Angeltage ruiniert als jedes andere Wetter. Jedenfalls für den Fliegenfischer. Ich habe bisher etwa reichlich ein Jahr an der Ostsee zugebracht, verteilt auf bald 30 Jahre und Urlaube von einer Woche und zwei oder drei Wochen. Einige wenige Tage waren richtig übel, mit Schneesturm und Hagel, die meisten waren ganz okay, und ein paar waren ein Traum. Man kann es drehen und wenden wie man will und kommt letztlich doch zu einer Normalverteilung, mit den schlimmsten und besten Tagen am Fuß der glockigen Parabel.

„Meven in’t Land, Unweer voor de Hand“. (Fliegen die Möwen ins Land, steht ein Unwetter bevor) Schifferregel, Friesland

Der „Sommerfuchs“ war mal wieder die richtige Wahl.

Die beste Möglichkeit eine richtig gute Sommerwoche an der Ostsee zu planen ist sie nicht zu planen. Jedenfalls nicht zu exakt. Wenn man sich zwischen Weihnachten und Neujahr über die Kataloge von „dansommer“, „Novasol“ und „sol og strand“ beugt und sich mit der Familie für eine Insel, eine Hütte und die Kalenderwochen 29 und 30 entscheidet, dann ist der Zug abgefahren. Wir hatten mal drei Wochen Regen und Kälte auf Aerö, im Juli, und meine Frau redet heute noch davon. Jetzt ist unsere Tochter groß und wir haben im Sommer ein neues Buchungsverhalten entwickelt. Im Frühjahr und Herbst fahre ich ernstlich fischen, also allein, und da ist mir das Wetter egal, aber im Sommer legen wir nur eine Zeitklammer fest und warten auf gutes Wetter. Eine Woche vor dem Zeitfenster wird auf www.dmi.dk geschaut, wie der 7 bis 15 Tage Wetterbericht ausfällt. Ergibt sich eine gute Vorhersage, also milder Westwind, Sonne und Temperaturen über 20 Grad, buchen wir eine Hütte und fahren los. Für eine Woche findet man immer was, denn zwischen den Buchungen der Familien ergeben sich stets freie und günstige Einzelwochen. Bleibt das Wetter gut und man will zwei Wochen bleiben, wechselt man am Samstag spontan in eine zweite Hütte. Hat man eine Zeitklammer von drei oder vier Wochen gewählt, und verbindet das optimale Wetter mit dem optimalen Standort, hat man dem Zufall fast schon ein Schnippchen geschlagen. Zumindest hat er die kleinstmögliche Größe.

Eine Sommerforelle gehört einfach auf den Teller. Das ist Teil des Traums. 

Der optimale Sommerstrand

Ein Strand an sich ist selten optimal. Es sind die Bedingungen, die ihn gut machen. Im Sommer ist ablandiger Wind vorteilhaft, denn er treibt das warme Oberflächenwasser hinaus und die Umwälzung führt frisches Tiefenwasser heran. Das funktioniert nur dann, wenn es auch ein Hinaus gibt. Darum sind offene Strände gut. Die Nordküsten von Fünen und Seeland, Samsö, die Spitzen von Langeland und ganz Nordjütland. Gut sind außerdem Strände, an denen eine frische Strömung geht. 

Meerforelle natur, Dillkartoffeln, Möhren in Vanillebutter, Wein aus dem Dagli Brugsen. Lecker.

Das ist an den Belten der Fall, durch die sich Ebbe und Flut pressen und für einen regen Wasseraustausch sorgen. Offenes Wasser und Strömungen sind wie ein großes Raster, das wir über die Karte der Ostsee legen können. In einem kleineren Raster findet man Stellen, die besonders exponiert sind, und mit noch feinerem Karo kommt man zu den Bedingungen, welche die Bodenstruktur des ausgewählten Strandes erfassen. Mit dem Tidenkalender und der Armbanduhr schließlich bestimmen wir den Zeitpunkt, an dem der höchste Wasserstand zu erwarten ist.

„Jede Bucht hat ihren eigenen Wind“ Schifferweisheit, Kanada

Schauen Sie auch so gern bei den Kollegen in die Fliegendose?

Fügen wir das einmal idealtypisch zusammen. Wir haben Dienstag und die Wochenendhüttenbewohner arbeiten in Kopenhagen und Odense. Die dänische Fußballnationalmannschaft spielt in Malmö gegen Schweden. Auf 3Sat werden ab 20 Uhr zwei Filme von Jane Austen gezeigt und Ihre Frau kann es kaum erwarten dass Sie angeln gehen. Hochwasser ist um 23 Uhr. Der Tag war schön, 26 Grad, frischer Wind aus Südwest. Die ausgesuchte Stelle ist Fyns Hoved, ein höchst beliebter Sommerplatz mit regem Anglerbesuch. Die Sonne geht an diesem Augusttag um 20.50 Uhr unter. Der Boden vor Ihrem Basecamp fällt im Wurfbereich auf etwa 3 Meter Tiefe ab und zeigt eine schöne Leopardenstruktur. Die Strömung kommt aus Nord herein, der Wind schwächt sich ab, reicht aber noch aus, um über die linke Schulter kommend die Wurfweite deutlich zu stützen. Der Strand ist einsam und verlassen. Sie haben nur eine bequeme Stelle mit Sandboden als Standort markiert und wollen an dieser einen Stelle bis Mitternacht fischen. Um kurz vor neun waten Sie in Position. Ihr Tackle ist perfekt gerichtet, die Stirnlampe ist frisch geladen, die Blase ist leer. Pfeife, Tabak und Feuerzeug sind am Mann. Denn eins ist klar. Sie gehen hier nur weg, wenn Sie einen Fisch ans Ufer bringen. Ansonsten ist das für die nächsten drei Stunden exakt Ihr Quadratmeter Dänemark. Die Wahrscheinlichkeit eine Meerforelle zu fangen wird bei 75 % liegen. Mindestens.

„Das schlafende Meer ist das Ziffernblatt des Sturmes“ Schifferweisheit, Portugal

Beim Dosen-Peeping sieht man nicht selten eine Bindeidee, welche die Nachahmung lohnt.

Tackle und Taktik

Ich habe in den vergangenen Jahren meinen Besitz an Fliegenruten noch weiter reduziert und fische auf Meerforellen nur noch ein und dieselbe 10 Fuß Rute der Klasse 7 sowohl am Meer als auch am Fluss und auf Seen. Die drei meist benutzten Schnüre sind eine Outbound 7 F, eine DT 7 F und eine WF 7 Sinktip. An der Ostsee ganz überwiegend die Outbound, außer auf Meeräschen, dann nur die DT. Aber das ist eine andere Geschichte.

Vorfächer knote ich mir aus Stroft nach der 60-20-20 Regel, 60% Kraftübertragung, 20% Taper, 20 % Tippet, mit großzügigem Augenmaß selbst. Ein typisches Nachtvorfach besteht z.B. aus 80 cm 50er, 70 cm 45er, je 20 cm 40er, 35er und 30er und dann 70 cm 25er. Mit dem Grinner-Knoten verbunden. Das kommt so ungefähr hin, und alle diese Vorfächer zwischen 250 cm und 400 cm oder etwas länger fliegen und entrollen sich sehr schön. Man passt die Länge und den Spitzendurchmesser dem Wind und der Dunkelheit an. Je heller und stiller die Nacht, desto länger und dünner das Vorfach. Aber bitte nicht unter 0,25 gehen. Da draußen schwimmen 10 Kilo schwere Fische.

Jetzt muss man nur noch eine Fliege wählen, davon später mehr, zu seinem Quadratmeter waten und  dann in einem Halbkreis vor sich und auch mal ein wenig in Richtung Ufer das Wasser abfischen. Wie man die Fliege einholt ist eine persönliche Sache. Man kann die Striplänge zischen kurz und lang und schnell und langsam variieren und die Pause zwischen den Strips unterschiedlich anlegen. In der Regel hole ich so um die 60 cm in einer halben Sekunde ein und mache eine Sekunde Pause. Damit komme ich bei 20 m Einholschnur auf um die 50 Sekunden, dazu noch die Fliegenbewegung unmittelbar vor der Rutenspitze, dann der neue Wurf, das ergibt um die 50 Würfe in der Stunde. Von 21 bis Mitternacht sind das 150 Würfe, und meine Fliege legt dabei 3 Kilometer zurück. Eine Forelle zu fangen ist ganz einfach. Es müssen sich nur ein Meter von mir und ein Meter von ihr kreuzen. Na ja, und sie muss wollen. Oder verführt werden.

Die Fliegenlücke ganz rechts ist das Quartier der „Sommerfüchse“. Einer ist noch da.

„Sommerfuchs“ und Sommerfliegen

In der warmen Jahreszeit kann man selbstverständlich auch am Vormittag oder zur Kaffeezeit eine Meerforelle fangen, aber der Abend, die Nacht und die Morgendämmerung sind eindeutig die beste Zeit. Dabei fischt man an, in, oder knapp unter der Oberfläche. „Buleflue“ sagen die Dänen, und meinen damit eine Fliege, die mehr oder weniger eine Furche zieht, eine „bule“, also Beule macht. Ist keine Wasserbeule mehr zu sehen und die Fliege zwei, drei Finger breit unter Wasser, ist es immer noch eine Oberflächenfliege, eine „overflade flue“, aber eben ohne „bule“.

Meine Vorliebe war lange Jahre der „Sea Muddler“ von Jan Grünwald. Der macht im frischen Zustand eine Beule und taucht nach einiger Zeit ein wenig tiefer ein. Ein anderer Liebling ist die „Black Bear“, die flach schwimmt und viel Silhouette hat. Die „Odense Zigarre“, bei der man sich als Binder so schön austoben kann, hat mir genug schäumende Fehlbisse eingebraucht, um misstrauisch zu werden. Ich fische darum lieber sehr flach und ohne Beule. Dabei bekommt man eine handbreit unter der Oberfläche mehr und vor allem positivere Bisse. Es ist sehr aufregend einen breiten Rücken der Fliege folgen zu sehen, und der Biss ist an der Oberfläche gut erkennbar. Aber ich habe gelernt zu ignorieren was ich sehe. Die Rute bleibt unten, und meine linke Hand strippt weiter, bis alles fest wird.

Die Sandaale schwimmen flach und sind durchaus in der Nacht zu gebrauchen.

Es ist nämlich so, dass der Mensch in der Nacht wie eine leichtgängige Büchse eingestochen ist. Für Nicht-Jäger: Ein Stecher ist ein zweistufiger Feinabzug. Der hintere Stecher stellt den vorderen Abzug empfindlich frei, und eine nur minimale Bewegung kann nun den Schuss lösen.

In der Nacht ist unser Anschlagprogramm ähnlich fein eingestellt, weil wir meinen nicht genug Sinnesinformationen zu bekommen und darum zu fein, zu schnell und zu vehement reagieren. Das Gegenteil ist richtig. Rute nicht bewegen, Schnur einholen, bei richtig festem Widerstand anschlagen. Und nun denken Sie bitte nicht ich will Sie veräppeln; da man diese Fähigkeit nicht mit Meerforellen trainieren kann, dazu beißen sie dann doch zu selten, ist jeder Hänger ein Schritt vorwärts. Wenn Sie bei jedem Hänger richtig reagieren, dann haben Sie’s drauf. Ich habe es genau so trainiert und es war erfolgreich. Bin in der Nacht phlegmatisch wie ein satter Bär. Man kann das zusätzlich tunen, wenn man mit Absicht etwas zu tief fischt und seine Reaktion an zwei, drei Hängern abstimmt und trainiert.

„Wer Fische fangen will, darf nicht wasserscheu sein“ Fischerspruch, Frankreich

An diesem Platz bissen in einer Woche über 20 Forellen auf den „Sommerfuchs“.

Meine Lieblingsfliege für die Nacht ist seit einigen Jahren der „Sommerfuchs“. Er ist eine Entwicklung aus der „Templedog“. Die Idee war, die optimale Schwimmlage der „Templedog“ auf eine Ostseefliege zu übertragen. Nun werden einige Binder sicher wissen, dass man beim „Templedog“ jede Haarportion nach dem Einbinden noch einmal teilt und nach ein paar Trennwindungen in Position bringt. Dieser Trick erzeugt Volumen. Nach einigen Experimenten entstand ein hübscher Streamer, der genug Vertrauen erweckte, um zunächst mal in der Testbox zu landen. Wie sich bald herausstellte ein überaus schwimmfähiges Muster, das durch den Haken so gerade eben unter Wasser gezogen wird. Eine klassische Oberflächenfliege.

Meerforelle kalt, Rührei mit Schnittlauch, Kartoffelsalat, Bier. Ist schon hart, das Leben am Strand.

Bald zeigte das Muster seine Qualitäten und ersetzte mehr und mehr den „Sea Muddler“. Besonders überzeugend war die Fängigkeit in den grauen Stunden und dann die positiven Bisse in der Nacht. Sagen wir mal so, die Meerforellen wollen das Ding wirklich killen. Man strippt ein, alles wird fest, Rute hoch, Fisch dran.

Der „Sommerfuchs“ ist meine Sommerfliege Nr. 1, und wenn in der Nacht oben bei Lohals die Oslofähre mal in Sicht kommt, dann ist da zwar ein klein wenig Wehmut in mir, weil dort glückliche Lachsfischer an Bord auf dem Weg nach Norwegen sind, aber mein kleiner Ableger ihrer „Templedogs“ ist mehr als ein kleiner Trost. Denn ich rechne. 1000 Euro die Fähre, 3000 Euro die Fischerei, 1000 Euro Nebenkosten. Ein Lachs. 100 cm. Macht 50 Euro auf den Zentimeter Fanggefühl. Meine Rechnung geht so. Last-minute-Hütte 600 Euro, Nebenkosten 400 Euro, Angelschein fast geschenkt, 10 Meter Meerforellen aneinandergelegt. 1 Euro der Zentimeter Fangfreude. So geschehen in einer Augustwoche 2012, die zugegeben absolut klasse war. 

„Steh nicht am Ufer und sehne dich nach Fisch, gehe heim und webe ein Netz“ Fischerspruch, China

Nacht-Tipps

1. Hat man das Gefühl einen unsauberen Wurf gemacht zu haben, sofort danach das Vorfach auf Knoten prüfen. Überhaupt regelmäßig das Vorfach kontrollieren.

2. Fliege wechseln, Knoten machen, Vorfach erneuern nur bei Rotlicht. Moderne Kopflampen bieten rote Zusatz-LED’s an. Eine rote Plastiktüte über der Taschenlampe geht auch.

3. Am Ufer eine kleine Laterne entzünden ist wie ein Leuchtturm in der Nacht. Schafft Zuversicht und erleichtert den Rückweg.

4. Bleiben nach dem Wurf regelmäßig ein paar Meter hinter der Hand zurück, die Schnurlänge verkürzen. Sonst strengt man sich an und verliert den guten Rhythmus.

5. Bei gutem Licht das Wasser erkunden und drei optimale Stehplätze mit Leuchtposen am Grundblei markieren. Je Platz eine Stunde von 21 bis 24, 0 bis 3 und 3 bis 6 Uhr fischen, Bojen einsammeln, Fische aufnehmen und ab ins Bett.

6. In der Nacht keine extravaganten Knoten machen. 30er Vorfach, Clinch, fertig. Hände weg von Rapalaknoten und Double Turle. Double, double turle and trouble. Shakespeare?

7. In der Hütte nicht liebevoll den Tisch mit Erdnüssen und Schokolade dekorieren und dann fischen gehen. Alle Verlockungen mit ans Wasser nehmen. Dann bleibt man länger.

8. Fischen Sie ohne Hut, Kappe oder Mütze. Eine Kopfbedeckung bedeckt immer auch die Sinne. Sollte es mal zu kalt sein, nehmen Sie eine Mütze ohne Schirm. Beschattete Augen machen keinen Sinn.

9. Trauen Sie Ihren Gefühlen. Ich kann aktives, chancenreiches Wasser spüren. Das ist so eine Grundstimmung, die sich aus vielen Eindrücken fügt. Der erahnte Biss ist häufiger als nicht tatsächlich gekommen.

10. Und noch einmal. Nicht wild und wüst anschlagen. Fliege bewegen bis alles fest wird, Schnur halten, Rute heben. Oft schäumen die Forellen dann wie eine Kaffeemaschine in der dunklen Küche. Spannung halten und die Schnur mit der Hand im Korb ablegen. Weiß man woran man ist, Kontrolle herstellen und Schnur auf die Rolle nehmen. Dann erst geht der Drill los.

Sommerfuchs

Eine Portion weißes Ziegenhaar und ein paar Fäden Angelhair als Unterflügel einbinden. Die Bindestelle mit einer Grizzlyhechel überwinden.

Eine Portion braunes Fuchshaar nach hinten zeigend einbinden. Die Portion mittig teilen, ein paar Windungen Bindeseide dazwischen legen, ein paar Fäden Angelhair einbinden und den Flügel dann nach hinten binden. Die Bindestelle mit Grizzlyhechel überwinden.

Eine Portion schwarzes Fuchshaar nach hinten zeigend einbinden, mittig teilen, mit Windungen etwas trennen, Angelhair einlegen und nach hinten festlegen. Die Bindestelle mit Grizzlyhechel abdecken. Ein paar rote Schlappenfibern als Kehlhechel einbinden, wenn man mag, einen schönen Kopfknoten machen und lackieren. Fertig ist der „Sommerfuchs“. Ich habe andere Farben probiert. Dieser genügt. Er ist der Beste.

Ingo Karwath