Dosensucht

For international readers: How to, or not to, manage your fly boxes.

Juristen archivieren ihre Fehler, Architekten bauen sie, Ärzte begraben sie, und Fliegenbinder stapeln ihre Fehler. Aber so ein Sediment von Fliegendosen ist nach Jahrzehnten am Wasser völlig natürlich, denn wir wissen ja, wie viele schöne Stunden wir mit ihnen verbrachten. Die Suche nach Perfektion in den Dosen ist wie die Suche nach der verlorenen Zeit. Wir suchen und stehen längst im Ergebnis mitten drin.

Ist ein Fliegenbinder und Fliegenfischer an so vielen Boxen- und Westenkonzepten gescheitert wie ich, dann ist er ein ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet. Da ich gerade mal wieder meine Westen für die kommende Saison aufpeppe, kam mir der Gedanke diesen Werdegang einmal zu beschreiben. Der Plural bei den Westen lässt schon ahnen, wie kompliziert das wird. Der Anfang, noch als Schüler, war ganz bescheiden eine grüne Bonnand Fliegendose, die ich immer noch besitze. Eine Weste hatte ich noch nicht, aber so eine grüne Umhängetasche von DAM, und das war’s mehr oder weniger. Zwei gekaufte Vorfächer, eine Spule Tippet, ein paar Fliegen aus dem Jagdladen in Hermagor, Döschen Fett, Nagelknipser vom Frisör und ein Anglermesser in einer eckigen Holzscheide mit Zentimeter Aufdruck. Fenwick FF 755, DT 5 F, japanische Blechrolle. Ich lebte und fischte vollkommen ohne jede Theorie und hatte außer Steinfort und Joe Brooks noch nichts gelesen. Meine erste Forelle nahm eine Fliege, die ich längst aus den Augen verloren hatte und hakte sich selbst. Wie in „Ein Goldfisch an der Leine“. Als Wehrpflichtiger kam ich dann aber nach Newport, New York und Baltimore und kaufte mir eine zweite Fenwick und das Buch „Nymph Fishing for Larger Trout“. Irgendwann im zweiten Semester in Göttingen bekam ich eine Tac-L-Pack von Orvis und das Leben wurde komplizierter. Von englischen Fliegendosen hatte ich zwar schon eine Ahnung, aber mein Portemonnaie war nicht dick genug für Wheatley. Also kaufte ich mir verschiedene Perrine Dosen und füllte meine Weste damit. Inzwischen längst Binder geworden war auch der Inhalt kein Problem. Das Wheatley-Virus sollte alsbald dennoch seine Wirkung entfalteten und ich trug letztlich zwei 32er Klappdeckeldosen rechts und links in den Taschen. Meine Nassfliegen hatte ich in einem Lederetui mit Filzseiten von Bill Hunter. Streamer in einem Lammfelletui von Orvis. Das war ein erster Fehlgriff, denn einmal nass geworden trocknen Filz und Fell schlecht und die Fliegenhaken rosten. Außerdem färben die bunten Hecheln und auf dem weißen Filz entstehen psychedelische Batikmuster. Ja klar, kann man auf die Heizung legen, aber in meinem Zelt ging das jedenfalls nicht. Also sortierte ich die Lederetuis aus und kaufte mir Wheatleys mit verschieden großen Clips.

l’esquimau

Irgendwann nähte ich mir eine grotesk mit Taschen bestückte Weste, die sich beladen als untragbar erwies. Man nannte mich den schwangeren Schwarzbären damit. An einem Angeltag mit Walter Brunner, Hans Gebetsroither und Walter Hitzenberger, ich ihr adoptierter Student, wurde mir schlagartig klar, dass ich mich von den USA ab- und Frankreich zuwenden musste. Ich wollte auch so elegant aussehen wie meine Vorbilder. Graue Watstiefel und eine Hodgeman Wathose hatte ich schon. Bei Bavaria kaufte ich zunächst eine, dann noch eine l‘esquimau Weste, und füllte sie für Fluss und See. Ab da wurde die Dosentheorie zum Westenkonzept. Ich bin Udo sehr dankbar, dass er mir die Erich Stoll Thermohose ausredete, die damals für 180 DM wirklich ein Starstück war. Zum Vergleich, eine Lewis Jeans kostete 14 Dollar, 25 DM, als der Dollar damals schwächelte. Da mir meine Wheatley Brotdosen zu schwer wurden, verkaufte ich alle Aludosen und stellte auf federleichte DeWitts um. Das verfeinerte ich später noch und kaufte mir einen ganzen Schwung kleine Sechserdosen, mit der Idee die kleinen Dinger als Module zu verstehen und im Verlaufe der Saison passend hin und her zu tauschen. Das war ein Irrweg, ebenso wie die schuhkartongroßen Holzdosen, die ich mir zum Bootsfischen anschaffte. Zum Glück gab es dann plötzlich C&F, und ich wechselte mit fliegenden Fahnen ins japanische Lager. Da ich zu der Zeit sehr viel an der Küste fischte, waren meine jagdgrünen Westen nicht mehr die richtige Wahl, und ich kaufte mir so eine Weste mit vertikalen Taschen. Da passten diese japanischen XL Boxen mit ihren 20 cm wunderbar hinein und das Konzept steht 30 Jahre und wird unverändert so bleiben. In der Rückentasche habe ich eine schlanke DeWitt mit Borstenwürmern und vorn noch ein paar Filmdosen mit Meeräschenfliegen. Nun ist es aber so, dass man manchmal einfach Sachen haben will, die man cool findet, und so kam ich in den Besitz von Filson Packtaschen, und für einen Steelheadtrip anlässlich meiner Pensionierung bekam ich eine weitere Weste geschenkt.

Napoleon

Und auch Fliegendosen haben grundsätzlich etwas Anziehendes und ich kann jeden verstehen, der sich hin und wieder eine kauft. Ich z.B. musste unbedingt so eine Richardson Chest Box haben und verwahre darin alle meine Nymphen und Streamer. Die Filson Büddel benutze ich zum Lachsfischen, und die völlig neue Guide Weste habe ich nach einer Woche Fischerei einfach nur weggehängt. Und ich bin völlig im Frieden mit allen Dosen und Westen. Perfektion ist nicht möglich. So einfach ist das. Es gibt auch keinen Weg der das Ziel ist. Alles ist irgendwie kosmischer. Man kann sich nur schwer dem Reiz entziehen, Dosen und vor allem Reihen zu füllen. Da fühlt man sich wie Napoleon, der seine Schlachtordnung aufstellt. Im „Art of Angling Journal“ aus den USA gab es früher sehr schöne Dosenfotos, und mein wichtigster Rat für alle Dosenfüller wäre: Gestalten Sie keine Fotodose. Man sieht ihr förmlich an, dass sie nicht zum Fischen ist und auch nicht zum Fischen taugt. Sie wurde für ein Foto gefüllt und das ist ihr Zweck. Nun ist es aber so, dass jede gut gefüllte Dose ohne Lücken wie ein Fotomodell aussieht. Sehr methodische Menschen verlieren vier „Buck Caddis“ und binden sie sofort nach. Da ist dann nie ein Platz frei. Aber das erfahrene Auge erkennt an der Verteilung trotzdem, dass da ein richtiger Fischer am Werk ist, denn die Muster sind praktisch gestreut. Also nicht 60 „Gasolina“ nebeneinander, sondern eher 10 verschiedene Muster a 6 Stück. Während ich bei Lachs und Meerforelle sehr viel Wert auf geschlossene Reihen lege und auch kein Bindezeug mit auf Reisen nehme, sehe ich das bei Forellen und Äschen anders. Da fahre ich mit Bindestock und finde es gut, wenn in einer Reihendose noch Reihen frei sind. Nur das ist die Grundlage für Weiterentwicklung. Mir ist darum der Gedanke gekommen, dass Dosen mit Fächern auf der einen und Reihen auf der anderen Seite, ich habe noch keine, die richtige Wahl sein könnten. Fächer kann man nicht ordentlich füllen. Die Fliegen in ihnen wirken immer wie Streugut und sie sind ein viel besserer Hort für Experimente und Entwicklung. Entweder ist das eine richtig gute Theorie oder ich suche nur mal wieder einen Grund Dosen zu kaufen.

Ingo Karwath