Kintsugi

For international readers: Refreshing a bobbin with a kebab stick and polishing paste.

50 years, going strong, my Sunrise bobbin from India.

Mein erster Bindestock war, wie auch der ganze Rest meiner Ausrüstung, von Sunrise aus Indien und über Veniards und dann de la Porte gekauft. Meine Anfänge vollbrachte ich noch allein, bis ich dann 1977 Udo Hildebrandt kennenlernte und wir Freunde wurden. Der Udo war im Gegensatz zu mir schon damals ein wahrer, echter Fliegenfischer, denn er war in Bad Karlshafen groß geworden und also direkt neben Forellen und Äschen aufgewachsen. Und nicht zu vergessen, schlauen Döbeln. Das war bei mir leider nicht der Fall, denn ich war aus Wilhelmshaven und da ging es eher um Aal, Scholle und Dorsch. Udo benutzte einen Eipeltauer Bindestock, und der konnte, spitz wie er war, deutlich besser kleine Haken halten als mein Inder. Von meiner allerersten Ausrüstung verwende ich immer noch den Whip Finisher, eine Dubbingnadel, eine Hechelklemme und einen Bobbin. Den Bobbin habe ich irgendwann mit Faden und Sekundenkleber repariert, aber er funktioniert wie eine Eins und ist weder rauh noch spannungslos. Ein einwandfreies Produkt. Heutzutage gibt es kaum noch Bobbins mit einem Metallröhrchen, denn man bediente sich klug bei der Webindustrie und stattete die Fadenhalter mit Keramikenden oder Keramikröhrchen aus. Ich habe gerade ein paar Prototypen eines eigenen Bobbins in Arbeit, und da es diese Keramikröhrchen bei Troutline in Rumänien nicht mehr gibt, das war mal die einzige mir bekannte Quelle, habe ich mir Edelstahlröhrchen besorgt. Das Material lässt sich mit eine Mikroscheibe leicht trennen, ist aber dann so scharf wie ein Küchenmesser. Man muss zunächst die Enden mit Feile, Schleifpapier und Lappstone schön glätten, und dann die Grate entfernen. Dabei hat sich als bestes Werkzeug der gemeine Schaschlikspieß mit Schleifpaste erwiesen. Ein spitzes Stück Spieß im Dremel Tool und Schleifpaste der Firma Pferd machen die Röhrchen für meine Bobbins an beiden Enden so glatt, dass ich Floss über hundertmal an gleicher Stelle drehen kann. Außen poliere ich mit Filzzylindern. Diese Handarbeit, so ahnt man, ist viel teurer als ein Keramikröhrchen. Auch wenn man ohne Drehbank und Fräse eigene Bobbins eigentlich nicht bauen kann, ist doch der Tipp mit dem Hölzchen und der Schleifpaste gut anwendbar, wenn man schadhafte Metallbobbins wieder auffrischen möchte. Ein Dremel gibt es in vielen Haushalten. Das nennt man ja heute nachhaltig, und es wirkt dem Trend entgegen, Dinge wegzuwerfen und durch überteuerte Massenware zu ersetzen, deren handwerkliche Anmutung ein Witz ist. CNC spuckt die Teile sekundenschnell aus. Wir benötigen zwar kein Gold, aber einen alten Bobbin wieder aufzufrischen ist reinstes Kintsugi. Die Götter und Petrus lieben uns dafür.

Ingo Karwath