Videoten

For international readers: Having fun on youtube?

In „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ lässt der strenge Pastor John N. Maclean seinen Sohn mehrmals einen Aufsatz schreiben und schickt ihn jeweils mit der Bemerkung: „Kürzer!“ wieder los den Text zu verbessern. Das trifft nicht so ganz das Problem, das ich mit Angelvideos habe, aber so ungefähr. Dabei habe ich da vollkommen selber schuld, denn ich bin der Konsument, der sie freiwillig anklickt. Manchmal auf der Suche nach Informationen und Input, manchmal auf der Suche nach Zerstreuung und nur so. Aber diese niedrige Latte wird der Sache nicht gerecht, denn hin und wieder grenzt unsere Sehnsucht nach einem ruhigen Kolk und steigenden Forellen ja an das Land der Melancholie, wenn nicht gar an den Ozean des Trübsinns. Mit einem guten Video baut man sich wieder auf und schafft eine weitere Woche bis zum Ende der Schonzeit. Der gut gemeinte Rat: Fahr doch an die Küste, oder auf Huchen, oder nach Holland, in die Karibik gar, verhallt an so manchem Arbeitsplatz, in so manchem Wohnzimmer. Frau, Kinder, Konto. Wir haben Verantwortung. Unsere übliche Ablenkung ist mit Tackle tüddern, Fliegen binden, für 15 Euro (!) Fachmagazine lesen, Bücher kaufen, youtube, Insta, Vimeo oder was auch immer bemühen. Den FliegenBinder lesen tut besonders gut! Sag ich mal so. Denn wenn man eine Fliege in vier Bildern und drei Minuten Lesezeit vorgestellt bekommt, wozu dann die 20 Minuten Filmchen, die manch‘ einer wegen einer „Hares Ear“ gestaltet. Das rechnet sich nicht. Vermutlich hat der Kollege ein Hemd von Mustad, Ahrex oder Fulling Mill an und ist ein Krämer, macht also Werbung für Haken, Material und Werkzeug. Kürzer, sagte schon Vater Maclean. Auf der anderen Seite hat der Videofilmer ein Problem, wenn er sich selbst mit Peter Klöppel verwechselt und seinen eigenen Auftritt eigentlich für ElitePartner oder Parship geeignet hält. Zu alt, zu jung oder insgesamt zu doof führt bei mir dazu, dass ich zunächst den Ton abschalte, was oft nichts hilft, oder dann das Video beende. Auch thematisch bin ich eine Mimose und Drohnenflüge durch ein Flusstal, gefilmte Anfahrten oder zu langes Fischgezappel verlieren zunächst mindestens den Ton oder sind zack, gleich aus. Dabei kann ich Langatmigkeit gut leiden, wenn sie in eine Erzählung eingebunden ist. Bei Astrid Lindgren Filmen z.B., wenn eine Kutschfahrt oder ein Spaziergang eben dauern was sie dauern, dann gefällt mir das. Ich habe kurz versucht, die Videoten mit Schubladen zu erfassen. Mal sehen wie’s gelingt.

Moderne Spiegelreflex können auch Video, aber meine Sony hat einen manuellen Fokus. Das hat Vorteile. Wenn man denn so schwere Kameras schleppen möchte.

Der Laberer. Es gibt tatsächlich Fliegenfischervideos, bei denen setzt sich einer hinter einen Tisch und redet eine halbe Stunde. Im Prinzip ein einsamer Podcast mit sich selbst, nur eben gefilmt. Um diese Nummer einigermaßen über den Runden zu bringen, muss man ein richtig guter Redner sein und mit der Materie absolut vertraut. Nicht umsonst hat sich in der evangelischen Kirche die sogenannte Hochhaltepredigt durchgesetzt, bei der Pastor oder Pastorin mindestens einen Gegenstand zum Hochhalten mitbringen. Beliebt sind dabei vor allem symbolträchtige Dinge wie Kerzen, Laternen, Blumen, Knospenzweige oder Kinderspielzeug. Auch unser Laberer hat gern was in der Hand und kommt dabei vom Hundertsten ins Tausendste, derweil man deutlich spürt er ist ein Ahnungsloser. Er hat es ja nicht mal geschafft mit der GoPro ans Wasser zu gehen, dieser Mindestanspruch eines Angelfilms, und sitzt daheim in seiner Wohndeko. Wisch, klick, aus.

Der Möchtegernexperte. Bei Büchern kann man ja belesen sein und vielleicht erkennen, wenn ein Autor einen anderen imitiert, bei Videos ist das eher schwierig. Aber es gibt ein paar verräterische Formulierungen, mit denen ein Nachahmer sich outet. Man könnte am Stammtisch ein Quiz daraus machen, bei dem einer ein Zitat anbietet und die Runde raten muss, von welchem Filmemacher das kommt. Machen wir mal einen Test. Nice an tight? Richtig. Davie. Really, really, really, really? Schwierig. Daniel. Kann man bei diesem Quiz viel beantworten, unbedingt weniger Bildschirmzeit einhalten.

Der Drohnenpilot. Lange ist es her, dass wir bei diesem Wort nur an einen friedlichen Fluss gedacht haben. Ich hatte mal die Angewohnheit, Drohnenflugangelfilme sofort auszumachen, bis ich dann Meerforellen in der Ostsee von oben sah. Super cool. Inzwischen finde ich die Mischung macht es. Wenn einer so viel den Fluss rauf und runter fliegt, als wäre das ein Golfplatz und er müsste uns alle 18 Löcher zeigen, dann verliert er mich. Klick, aus. Aber Drohnen sind so gebräuchlich geworden, dass demnächst wohl schon Grundschulkinder damit ihre Sandkistenlandschaft dokumentieren könnten. Man muss ein paar Aufnahmen tolerieren. Ist der Flug Selbstzweck, wisch, weg damit.

Die GoPro mit BH ist die Brot-und-Butter Kamera aller Filmemacher.

Der verhinderte Moderator. Moderatoren in Deutschland haben es nicht leicht, denn wir sind ein schwieriges Publikum und ätzen an ihnen rum. Aber die schlechten Moderationen, die man im Fernsehen sieht, sind noch Gold gegen manchen Auftritt im Angelfilm. Besonders komisch wird das, wenn sich der Sprecher für eine Wiedergeburt von Hans-Joachim Kuhlenkampff hält und dann aber mit einem energischen: Hey Leute, was geht, hier ist der Bubi, euer Forellenexperte! in seinen Film startet. Das geht sprachlich dann schon noch tiefer, ohne jeden Genitiv und auch sonst mal falsch, verdrehte Wortschöpfungen und kreative Fremdwörter werden mit großen Gesten rausgehauen, derweil unser Angelfreud mit den Armen rudert und den Augen rollt wie der italienische Frisör in „Eat, pray, love“. Aus!

Der Fischquäler. Für den Quäler ist der Fisch nur Mittel zum Zweck sich in Szene zu setzen, und wir finden ihn leider auf alle Gruppen verteilt. Der Drill wird zelebriert. Dabei ist das so langweilig wie Autorennen. Start und Ziel genügen, wobei das Ziel entlarvt. Oft in eine Illusion von besonderer Sorgfalt eingelullt wird da ein Fisch minutenlang in einem Kescher gehalten, der nach meiner Ansicht damit zum Setzkescher wird und also verboten ist. Ist die ganze Technik vorbereitet, kämmt sich unser Protagonist womöglich noch die Haare und richtet seine Augenbrauen. Hatte er zum Frühstück ein Mohnbrötchen, greift er zur Zahnbürste. Nach langen Vorbereitungen wird der Fisch dann in die Kamera gehalten, und an der Stelle sollte man leise zählen und sich überlegen was man toleriert. Fünf, bis zehn, fünfzehn gar? Was soll das? Wenn das geliebte Weib daheim mal kurz den Bademantel flasht, reichen doch auch zwei Sekunden. Zunächst.

Der Poet. Der Poet schnüffelt mit der Kamera an jeder Naturerscheinung, die ihm irgendwie auffällt. Und ihm fallen viele auf. Schon am Auto filmt er die Tautropfen, die an der Rolle hängen, widmet sich sofort der ersten Blume am Wegrand und kommt eigentlich an keinem Spinnennetz vorbei. Er filmt Nebelfetzen, Regenschauer, Wolkenformationen und kann Minuten mit einer Wasseramsel verbringen. Wellen, die über Steine gluckern finden seine Aufmerksamkeit ebenso wie kehrende Rückwasser, die er mit großer Geduld aufnimmt. Da sind schnell 20 Minuten um, in denen weder gefischt noch gefangen wurde. Das Fatale ist, wird einem immer zu spät klar.

Der Langweiler. Quälende Diavorträge oder noch schlimmer, der Super 8 Ferienfilm „Helga und ich in den Dolomiten“ sind mitnichten eine Erscheinung der 60er Jahre und also Vergangenheit, sondern durch die sozialen Medien auf einmal mitten unter uns. Es gibt einfach Menschen, die haben nichts zu sagen, oder besser gesagt, sie können es nicht. Schon die Aufsätze in der 3. Klasse sind ihnen misslungen und sie finden den roten Faden auch dann nicht, wenn man ihnen ein Ende davon in die Hand gibt. Zum Glück merkt man das schnell und kann ausmachen.

Mit kleinen Stativen und Halterungen ist ein iPhone vielen Aufgaben gewachsen.

Der Pornograph. Dieser hassenswerte Typ ist meist Neuseeländer und fährt zunächst mit einem Auto viele Stunden durch die Nacht, holt dann ein Quad vom Hänger und fährt viele Stunden durch einen Wald, nimmt danach seinen Rucksack und geht viele Stunden bergauf, irgendwann viele Stunden bergab, und baut zuletzt erschöpft sein Zelt auf. Am Folgetag baut er eine Rute zusammen mit Bissanzeiger und Nymphe, und fängt trotz seiner erstaunlich schlechten Annäherung und noch schlechterer Würfe, eine 2 Kilo Forelle nach der anderen. Er drillt extrem schnell, wiegt schnell mit dem Netz, und hält den Fisch dann eher beiläufig vor die Kamera, um gleich den nächsten Fisch anzugehen, denn 2 Kilo ist ja nur Durchschnitt. So entsteht von Pool zu Pool ein Fischporno, der sehr an Skues Beschreibung der Hölle erinnert und eher abstößt als anlockt. Kann aber auch sein, dass ich persönlich einfach keinen Zugang zu dieser Fischerei finde und mich ein sanfter Nachmittag mit ein paar hübschen Äschen deutlich mehr lockt. Na gut, anlassen.

Der Nachwuchs. Hat man als Erwachsener einen Film angeklickt, in dem ein 14jähriger das Euro Nymphing erklärt, dann ist man schlicht und einfach falsch abgebogen. Er hat diesen Film sicher für andere Jugendliche gemacht, und man sollte sich da als alter Fischer nicht einmischen. Die Erfahrungshorizonte sind einfach zu verschieden, um hier zu einer Passung zu führen. Fliegenfischerwelpen, niedlich, trotzdem: Aus!

Verräter. Spinnfischer und Wurmangler machen natürlich auch Videos und sind im Gegensatz zu Fliegenfischern viel unbesorgter mit Locations. Wenn nicht sogar benannt, sieht man häufig Straßenschilder, Ortsnamen oder Bauwerke und Landschaften mit hohem Wiedererkennungswert. So kann man ihre Gewässer ausforschen und hinfahren. Ein unter Fliegenfischern ja selbst mit KI betriebener Trick, mit dem man sogar norwegische Gipfel, Regionen und Gewässer ausforschen kann. Aber Vorsicht, die richtig klugen Nord(fliegen)fischer zeigen gern Panoramen, in denen sie gar nicht fischen.

Wir sind das Publikum und das worldwideweb ist gnadenlos. Es ist unser gutes Recht zu kritisieren und auszumachen. Namen müssen Sie selbst einsetzen. Gleichwohl muss man sagen, dass auch der schlechteste Versuch immer noch Anerkennung verdient. Der kreative Mensch da draußen hat zumindest etwas getan, und wir können ihm/ihr zugestehen sich zu läutern, besser zu werden, gut zu werden, bis er/sie auf der Rolf Nylinder Skala oben steht, bei den Guten, bei den Besten. Bei mir hat es dazu nicht gereicht.

Ingo Karwath