Hundert Streamer, hundert Jahre

Ich habe mal wieder ein Buch geschrieben, das nach langen Jahren der Kapitelsammlung schon 2022 soweit fertig war, dass ich vom Typoskript drei gebundene Kopien anfertigen konnte und an Udo und Jasper vergab, damit sie da mal querlesen. Die dritte Kopie benutzte ich als Korrekturkopie. Unser Umzug warf mich aus der weiteren Bearbeitung heraus, dann änderte die Druckerei technische Vorgaben, die ellenlange PDF plötzlich sinnlos, aber jetzt liegt es wieder vor und ist in der Endredaktion. Das Buch enthält, wie man sich denken kann, hundert Streamer, und zwar in einer jeweils zweiseitigen Beschreibung mit Bindeanleitung, Zeichnung, Historie und Anekdoten. Ich hatte Titel wie „Die 100 weltbesten Streamer“ oder „Die besten Streamer der Welt“ oder auch „Hundert Streamer, die man verbieten sollte“ überlegt, aber das ist natürlich nicht seriös. Sinn der Sache soll sein, dass ein analoger Fischer so wie ich, mit einem kleinen Hang ins Digitale, noch einmal die Vergangenheit zusammenfasst, damit sie uns in die Zukunft begleitet. Es ist ja erstaunlich, wie schnell Informationen aus der Zeit vor dem World Wide Web verloren gehen und wir über Dinge rätseln, die kaum 40 Jahre zurück liegen. In Zukunft werden ChatBots solche Kenntnisse vielleicht destillieren und dann auf Nachfrage anbieten. Kann gut sein das funktioniert. Andere Destillate schmecken ja auch. Wenn dann irgendeine Maschine mein Buch liest, existiert es dort weiter. Aber das fängt ja damit an, dass einer so etwas reell machen muss. Im „FliegenBinder“ werde ich als Leserservice nach und nach die 100 Fotos zu den Kapiteln einstellen. Das Buch ist work in progress und wird bis September 2025 fertig sein. Merken Sie es gern für Weihnachten vor. Die Einnahmen sollen das Magazin fördern. Crowdfunding oder Vorbestellen ist nicht nötig. Wenn es fertig ist, öffne ich in der Kopfleiste wieder den Shop. Als Leseprobe biete ich hier das Vorwort an.

Wie man sieht binde ich gerade für die Küste, für einen Freund in Schweden, für ein Fliegenlexikon, und die alte Mercedes von Tante Henny macht mittendrin so gar keinen Sinn. Aber Sie wissen was ich meine.

Vorwort

Ein Buch über klassische Streamer im Jahre 2025 ist zunächst in etwa so, als hätte man sich hinter einen Zug geworfen, der vor Stunden vorbeigefahren ist. Und genau das ist der Punkt. Hinter Zügen läuft man nicht her, man wartet auf den nächsten. Nicht nur an der Mode kann man sehen, dass sich Zyklen, Wiederholungen, Renaissancen und Retrotrends wie ein roter Faden durch die Zeit ziehen.

   Leider hat eine komplexe Mischung von Mustermoden, Gerätetrends, Wertewandel und modernen Medien dazu geführt, dass das moderne Streamerfischen den Kontakt zu seinen Wurzeln anscheinend verloren hat. In den Anfängen berichtete die „Fisch & Fang“ hin und wieder über Streamer, 1973 kam der „Blinker“ hinzu, der Schück startete durch, und 1981 erschien das Buch „Streamerfischen“ von Norbert Eipeltauer bei Parey. Insgesamt verfestigte sich spätestens ab dann die Meinung, man brauche eine spezielle Streamerrute. Stoll und Gebetsroither hatten Jahre zuvor in ihren Büchern zurecht darauf hingewiesen, dass der Forellenfischer viel häufiger mit schweren Fischen zu rechnen hat als der Äschenfischer, und so war es allgemein anerkannt, dass man als Fliegenfischer eine Äschenrute und eine Forellenrute benötigt. Letztere nicht schwerer als Klasse 6 und nicht länger als 2,30, schrieben die beiden Autoren. Eine siebener oder gar achter Rute mit 9 Fuß ergänzte diesen Bestand als Streamerrute, wurde aber auch an Seen und Talsperren gefischt. Ein Streamer hatte üblicherweise die Hakengröße 4. Die alten Herren im Norden fischten entweder eine GBG oder eine GAF, schwimmend oder sinkend, auf Meerforellen. Bei uns sollte es noch etwas dauern, bis aus einer GAF eine WF 8 wurde. Das ist die nordische Beharrung, gern auch Sturheit genannt.

   Die Moderne brachte es nun mit sich, dass viel mit Switchruten gestreamert wird, und eine „5er“ Switch kommt mit bis zu 23 Gramm hernieder, was etwa einer alten AFTMA Klasse 11 entspricht. Und bei den Streamern hat es sich ergeben, dass die Inspirationen von der kanadischen Westküste und den Great Lakes zu Mustern führten, die mit Glitzerfäden und Gummibeinen im doppelten Marabou-Tutu locken. Damit sich diese ganze Bindekunst überhaupt entfalten kann, sind selbst kleine Muster 7 cm lang und mit Bleiaugen beschwert, um unten den Kies zu kratzen. Youtube und Instagram sind voll mit Anleitungen für diese eigentlich namenlosen Kreationen, die nicht mal eine kurze Halbwertzeit haben und unerinnert wieder verschwinden.

Man könnte über diese Moderne auch ein Buch schreiben, aber das wäre wie ein Bild mit zu langer Belichtung bei einem Hundertmeterrennen. Unscharf, sinnlos, und das nächste Rennen läuft längst. Nur Artikel sind noch möglich. Darum blickt dieses Buch zurück und beschreibt die hundert besten Streamer der Vergangenheit, um sie in die Zukunft zu retten. Ihre Farben, ihren Geist, ihre Seele. Denn wenn der nächste Zug vorbeikommt, dann heißt es neben den Gleisen zu stehen und aufzuspringen. Es kann doch nicht sein, dass wir seit langen, langen Zeiten bewährte Methoden wie das klassische Nassfischen, das Nymphenfischen und das Streamerfischen einfach so aufgeben. Behaarte, befederte Grundbleie haben wie ein Über-Kuckuck viele schöne und fängige Fliegen gleichsam aus dem Nest geworfen und sitzt jetzt mit ihrem dicken Hintern mittendrin. Streamerfischen heißt aber nicht, dass man mit einer Schnurklasse 11 eine kaum noch Fliege zu nennende drei Gramm schwere Köderkonstruktion über den Grund schleifen lässt.

   A.J. McClane hat sehr schön beschrieben, wie Fliegen den Charakter ihrer Umgebung annehmen. Die graue Eminenz der Trockenfliege, die elegante Lachsfliege und die ungezähmte Steelheadfliege, die nach vielen Experimenten zu Form und Erfolg gefunden haben, die ein Muster und beliebt werden, besprochen und beschrieben, gebunden und verkauft werden, die zu einem Standard reifen und zu einem Klassiker aufsteigen. Ein Streamer mag auf den ersten Blick nur ein länglicher Federfisch sein, aber seine Magie entfaltet sich, wenn ihm mit der Rutenspitze oder der Schnurhand Leben eingehaucht wird. Sein Charakter ist junges Leben. Leicht, spritzig, flüchtig. Dieses Taschenspiel ist uns verloren gegangen, aber die alten Muster heben es in sich auf. Bevor sie selbst auch verloren gehen, habe ich mir gedacht, baue ich mit diesem Buch mal einen Bahnhof, bis der unvermeidliche Zug der Wiederentdeckung vorbeikommen wird.

Ingo Karwath