Mysiden – Ingo Karwaths Fliegenlexikon Nr. 24

For international readers: We don’t have lakes and reservoirs stocked with mysis, and no famous tailwater, but the little shrimp is an important natural food item in southern lakes for „Renken“, and very abundant in the Baltic Sea. It’s called the fog shrimp and sea trout just love it. 10 min read.

Mysiden, auch Nebelgarnelen, Glaskrebse, Schwebegarnelen, oder wie man in Dänemark sagt, Pungreyer, Beutelgarnelen, sind nicht, wie man hier da mal liest, das Jugendstadium einer Garnele, sondern natürlich eine Art für sich. Eine, nun ja, eher tausend. An allem Wasserbürtigen sehr interessiert, lernte ich Mysis relicta in der Taxonomie Vorlesung von Prof. Dr. Ax in Göttingen kennen. Das war Ende der 70er, und bei mir klingelte nichts, rein gar nichts. Da waren wir in Deutschland gerade auf dem Weg, uns als Fliegenfischer zu entwickeln. Schaut man in alte Hefte vom „Fliegenfischer“, findet man putzige Texte und Fliegen und Gestalten. Mysis war kein Begriff, mit dem ein Fliegenfischer damals etwas anfangen konnte. 2005 tat sich taxonomisch etwas, aber auch das habe ich nicht mitbekommen. Man trennte Mysis diluvia (USA, Kanada), Mysis segerstralei (Acrtic) und Mysis salemanii (Europa, Baltikum) von Mysis relicta (Nordeuropa), mit der man vorher alles erfasst hatte. Hat aber auch keinen so richtig gekümmert. Doch halt, denn während die bildungshungrigen Trockenfischer im Binnenland noch übten Siphlonurus zu buchstabieren, hatten die Ostseefischer längst die Mysiden entdeckt. Das ist ja auch nicht schwer, denn gerade dieser Tage sah ich einen Schwarm entlang der Kiellinie, leider beide Hände fest am Griff vom Kinderwagen mit Enkel und keine Rute dabei. Schon 1980 hatte uns Steen Ulnitz mit einem Artikel in FiN auf den Weg gebracht. Meine Erkenntnisse als Fliegenfischer überholten den Biologen in mir. An den Stränden der Ostsee gibt es eine gepflegte Tradition, mit Mysiden zu fischen. Tiefere Kenntnisse, siehe meine Einleitung, mögen im Binnenland hier und da noch fehlen.

Tailwater

Ein zweiter Strang speiste sich in unsere Traditionen aus den USA und Kanada ein. Dort hat man gar nicht selten Talsperren mit Forellen und Mysiden gleichzeitig besetzt, also die vermeintlich beste Nahrung dem Wasser gleich mit beigegeben. Denn den Umweltverbrechern des Dammbaus war ja klar, je eher die Angler mit fetten Fischen glücklich werden, desto früher verstummt jede Kritik. Das war nicht immer ein Erfolg, denn Mysiden sind sehr effektive Vermehrer und fressen Plankton, welches dann anderen Planktonfressern in der Nahrungskette fehlt. Sie wandern des nachts vertikal nach oben, wo sie den Jungfischen das Plankton klauen. Tagsüber werden sie nur dann selbst zum Futter, wenn Strömungen sie hochdrücken. Dann kommen die Forellen und Lachse an sie ran, und das ist dann wie Manna. Nur von unten. Diesen nur an bestimmten Seen und Talsperren vorkommenden Strömungsvorteil hatte man bei der Bewertung von Mysidenbesatz leider verallgemeinert. Tailwater aber, alle Ausläufe von Dämmen und ähnlichen Bauwerken, die aus der Tiefe ablassen, bieten stromab nicht selten ideale Bedingungen für Forellen, denn die Wasserstände sind meist ausgeglichen, die Temperatur ebenso, die Wasserchemie ist gut und Insekten und Krebse gedeihen ganz wunderbar. Mücken sind vermutlich das Hauptgericht. Mysiden sind in Tailouts eine wichtige zyklische Nahrung, denn immer wieder werden ganze Schwärme mit abgelassen. Die Forellen gedeihen dann nicht minder, und sie werden so zahlreich und groß, dass an etlichen Ausläufen eine Guideindustrie entstanden ist, die täglich ab 9 Uhr mit einer Flottille von Plastikbooten ausläuft und an den besten Plätzen ankert. Das Ufer, wenn überhaupt zugänglich, wird ähnlich belagert, und das ist natürlich ein Zirkus, der so gar nicht in das Bild des in der wilden Natur einsam fischenden Fliegenfischers passt. Keine Firma macht hier Werbeaufnahmen. Die Männer auf solchen Fotos haben ja nicht selten die Anmutung des letzten Malborough Cowboys. Sehr lustig. Der Frying Pan unterhalb von Ruedi, der Blue River unter Dillon und der Taylor River abwärts von Taylor Park profitierten von den Schwallmysiden und es wurde unüblich, Forellen in Inches zu bewerten. Zwanzig war gestern. Zehn war die neue Magie, zehn Pfund. Denn die Fische sind kurz und dick. Mit Bäuchen wie ein Football, dabei kleinem Kopf, und der Spitzname blieb hängen. Inzwischen hat sich alles etwas eingependelt und der Hype ist vorbei, aber die vielen dicken Fische gibt es immer noch. 60 lbs Forellen auf einem Acre, das sind 27,22 kg auf 63,5 mal 63,5 Meter, und 12 davon sind länger als 14 Inches, 35,6 cm. Das ist der Gold Standard in den USA. Wir haben in Europa hervorragende Tailouts hinter Talsperren, und ich durfte als Student mehrmals die Eder hinter der Vorsperre befischen, ein Traum, aber einen Mysidenbesatz hat meines Wissens in Deutschland keiner versucht. Das Buch „Fly Fishing Tailwaters“, Pat Dorsey, USA 2009, würde hier keiner schreiben wollen. Kein Wasser, kein Markt.

Ostsee

An der Ostsee ist das eine andere Kiste. Mysiden ohne Ende. Wer nur am Ufer steht, bekommt das Schauspiel der Mysidenschwärme nicht wirklich mit. Nach vielen Jahrzehnten an der Ostsee mit Maske und Schnorchel kann ich sagen, dass man erst mit dem Kopf unter Wasser versteht, warum man die Tierchen auch Nebelkrebse nennt. Wenn ich die Mengen und Verhältnisse aus Bio richtig erinnere, muss es immer 100 mal mehr Beute als Räuber geben. Nicht in der Zahl, als Kilo. Also 1 Kilo Mysidenfresser auf 100 Kilo Mysiden. Die Mysiden jagen auch und benötigen 100 kg Plankton auf 1 Kilo ihrer selbst. Man mag es mir bitte ersparen, das nun auf mein Gewicht und die 60er Forelle umzurechnen, die ich so gern als Beute hätte. Damit ist unser Problem unklar umrissen, denn wir werfen eine vergleichsweise winzige künstliche Fliege in einen riesigen Wasserkörper mit tonnenweise echter Nahrung und hoffen auf den einen guten Fisch, der sich unstet darin bewegt. Grenzt an Wahnsinn, ist es aber nicht. Ich mache das gern an anderen Tieren fest. Auf dem Weg ans Wasser zwei Hasen und drei Rehe im Feld, am Parkplatz ein Fuchs, über mir ein Milan, gar nicht so weit draußen drei Schweinswale. Die sind alle seltener als die Meerforelle, und daraus ziehe ich die Hoffnung, meine Fliegen, ich fische meist zwei, und eine Meerforelle treffen sich mal auf demselben Quadratmeter. Das geschieht nach meiner Meinung häufiger als wir denken. Im Gegensatz zum Trockenfischer können wir es aber nicht sehen, wenn wir abgelehnt werden. Mysiden versammeln sich besonders im Spätsommer und Herbst zu riesigen Schwärmen, um dann gemeinsam für den Winter ins tiefere Wasser zu ziehen. Da Mysiden sich ihrer Umgebung anpassen können, haben diese Schwärme einen Grundton, entweder bräunlich, gelblich, gräulich oder grünlich. Sie können aber auch durchsichtig sein. Die so beliebte Farbe weiß ist die des Todes, und da gibt es einen unglücklichen Übertrag aus den USA zu uns. Wenn Mysiden aus der Tiefe einer Talsperre in das Tailwater gespült werden, sterben sie nicht selten durch das Ereignis und färben sich dann weiß. Eine tolle Beute, frisch, nahrhaft, unbeweglich. Außerdem fischt man dort auch sehr kleine Mysiden, Größe 18 bis 26, weil Tailwater ein Mückenparadies sind und die Fische auf kleine Größen geprägt sind. Es ist darum vergleichsweise lustig, wenn man am Strand steht und eine weiße 18er Mysis durch die Wellen zupft, denn da fehlen ja Leben und Größe. Da sie in der Ostsee 2 bis 3 cm lang sind, wenn auch dünn, ist ein Maul voller Mysiden für eine Meerforelle eine feine Beute. Die Fliege an unserem Vorfach sollte man wohl besser als Karikatur begreifen, denn imitieren kann man Mysiden nur schwer. Je exakter die Imitation in einem Schwarm von Millionen, je unwahrscheinlicher ein Zugriff. Aber wie der Löwe, der sich für ein hinkendes Zebra interessiert, ist auch unsere Fliege inmitten ihrer schwebenden Brüder und Schwestern sehr auffällig, bewegt sich vermutlich nicht wie der Schwarm und sticht hervor. Trotzdem und deshalb fangen wir damit, denn auch überoptimale Attrappen haben eine Lockwirkung.

Darum muss man die Fliege in der Dose haben, oder zumindest sehr kleine andere Garnelen, um reagieren zu können, wenn die Forellen fressen und man nicht sehen kann was. Nicht selten eben Nebelkrebse. Im Salzwasser fühle ich mich nicht wohl, wenn ich kleiner Hakengröße 12 unterwegs bin. 14 kann man andenken, 16 ist sorgenvoll. Ja klar fangen wir meist 40er und 50er, aber eine richtig große Forelle ist jederzeit möglich. Im Süßwasser sind wir mit 40 bis 50 cm sehr gut bedient, und in Tailouts auf Bachforellen und Regenbogenforellen sind für die kleineren Mysiden auch kleine Muster üblich. Eben runter bis 18, und kleiner. Steht man nun vor dieser hier angebotenen Menge von Mustern, das ist ja das Prinzip des Fliegenlexikons, sollte man sich entscheiden, welches man möchte, und dann 10er und vielleicht 14er in die Ostseedose stecken, kleinere in die Forellendose. Ich fische privat blinde Zehner ohne Augen. Mir genügt schwarze Bindeseide als Punkt. Und vermutlich ist es klug, jeweils ein paar Ausreißer zu haben. Maßige Grönländer an der 18er Mysis ist schon möglich, und da kann man auch mit der Euronymphrute mal herumprobieren. Sink and draw mögen Meerforellen sehr. Bei zu kleinen Grönländern geht man weg, wie jeder weiß, denn auf die fischt man nicht, wenn die 40er ausbleiben. Aber nach einer erfolglosen Woche an der offenen Küste ist eine windgeschützte Bucht mit 39er Grönländern ein Trost. Ohne Widerhaken kann man das mal machen. Jetzt, mit den bunten Blättern, muss das nicht sein, doch Ende Februar ist unsere Gemütslage eine andere. Da wirken ein paar blanke Fische viel besser als andere Psychopharmaka. Und obwohl die echten Mysiden alle im tiefen Wasser sind, ist eine 10er Mysis trotzdem fängig, hat sie doch den gleichen Imitationswert wie eine rosa Garnele. Die Lockwirkung jedoch kann größer sein.

Ingo Karwath